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US-Politik auf dem Prüfstand

Sabina Casagrande / nis15. September 2012

Neue Gesprächspartner in der arabischen Welt zwingen die USA und andere westliche Staaten zu einer Neuausrichtung ihrer Politik. Die aktuellen Proteste werden zum schwierigen Test.

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Brände auf dem Gelände der US-Botschaft in Tunis am 14. September 2012 (Foto: AP/dapd)
Bild: dapd

Es war eine gewaltige Welle der Empörung und der Gewalt, die sich in Windeseile über viele Staaten der Arabischen Welt ausbreitete. Nach der Veröffentlichung des Films aus den USA, der den Propheten Mohammed verunglimpft, gingen erneut Bilder um die Welt, von denen man gehofft hatte, sie nicht so schnell wiederzusehen: Tausende Ägypter strömten auf die Straßen, die US-Mission im Jemen wurde erneut attackiert. Traurige Höhepunkte der Protestwelle waren die Stürmungen der US-Botschaft in Libyen, bei der der Botschafter getötet wurde, und der deutschen Botschaft im Sudan. Ein Ende des Aufruhrs ist nicht in Sicht, die Proteste schwappen weiterhin auf arabisch-muslimische Staaten über.

Ein ausgebranntes Auto in der Nähe der US-Botschaft; Kairo, und zahlreiche Demonstranten (Foto: Matthias Sailer)
Welle der Empörung in Kairo: Protest vor der US-BotschaftBild: Matthias Sailer

Gleichzeitig sollte die Bedeutung der Proteste aber auch nicht überbewertet werden, meinen Experten. Seit Jahrzehnten gibt es in der arabischen Region vor allem anti-amerikanische Strömungen. "Die Proteste kann man nur zum Teil als Reaktionen auf den Film begründen", sagt Jane Kinninmont, Politikwissenschaftlerin am Chatham House in London. Die Expertin für die Oppositionsbewegungen des Arabischen Frühlings weiß, dass die Proteste vor allem die "instabile politische Lage und bereits bestehende Unzufriedenheit reflektieren".

Was nun jedoch weitaus wichtiger ist als die Analyse der Gründe für die Proteste, ist die Reaktion darauf, weiß Riccardo Alcaro, Forscher am Institut für Auswärtige Politik "Istituto Affari Internazionali" in Rom. Der Umgang mit der gegenwärtigen Gewalt sei für die gerade neu gewählten Regierungen in vielen Protestländern eine wesentlich größere Herausforderung als für den Westen, sagt Alcaro. Der ägyptische Präsident Mohammed Mursi beispielweise müsse die Balance halten zwischen seiner offiziellen Rolle als Politiker und der öffentlichen Meinung in der Gesellschaft, alles, was mit dem Islam verbunden ist, als heilig anzusehen.

"Wenn man Teil der Regierung ist, wenn man ein Land wie Ägypten führt, kann man nicht akzeptieren, dass ein Video, das irgendjemand im Westen produziert und auf YouTube hochlädt, solche Auswirkungen hat, dass dadurch diplomatische Beziehungen zu den USA oder Europa am seidenen Faden hängen", sagt Alcaro im Gespräch mit der DW. "Die Herausforderung für diese Bewegungen ist also, die politische Unterstützung zu behalten und religiöse Gegner, vor allem radikale Islamisten, an den Rand zu drängen." Gleichzeitig müsse Mursis Regierung vermeiden, dem Westen gegenüber zu kritisch aufzutreten.

Es habe den Anschein, sagt Kinninmont, dass Mursi bereits die Folgen seiner Entscheidungen überdacht und einen anderen Kurs eingeschlagen habe. Am Freitag hat die Muslimbrüderschaft in letzter Minute Proteste abgesagt, die den Freitagsgebeten folgen sollten. "Es ist faszinierend, diese Auswirkungen zu beobachten", meint die Londoner Forscherin im DW-Interview. "Gruppen, die an der Macht sind, agieren moderater und ganz anders als in der Vergangenheit."

Herausforderung für den Westen

"Die Situation in Ägypten ist eine sehr sensible und knifflige Angelegenheit", sagt Isobel Coleman, Expertin für US-Außenpolitik beim "Council on Foreign Relations" (CFR). Anfang der Woche war sie auf der CFR-Medienkonferenz davon überzeugt, dass "beide - Ägyptens Regierung und die USA - sich hier auf einen schmalen Grat" begeben haben.

Hillary Clinton trifft Ägyptens Präsident Mohammed Mursi (Foto: dapd)
Hillary Clinton zu Gast bei Ägyptens Präsident Mohammed Mursi - noch keine Partner auf Augenhöhe?Bild: dapd

Als die arabischen Umbrüche begannen, stürzte sich der Westen darauf, die Politik zu den betroffenen Ländern anzupassen. Jahrzehntelang hatte er die autoritären Regime wenn nicht direkt unterstützt, so doch zumindest mit ihnen verhandelt und die Opposition vernachlässigt. Diese Strategie habe sich ändern müssen, sagt Alcaro. Nun hätten westliche Staaten selbstverständlich keine andere Wahl mehr, als die demokratischen Bewegungen in diesen Ländern zu unterstützen.

Das bedeutete notwendigerweise auch, einen Weg zu finden, mit den islamistischen politischen Kräften auszukommen, vor allem mit der Muslimbrüderschaft in Ägypten und deren Ablegern in der gesamten Region. "Das ist keine leichte Aufgabe", findet Alcaro. Die erste Herausforderung für den Westen ist also, wie er sich den Bewegungen gegenüber verhalten soll. Wie kann er deren Fürsprache für die Demokratie unterstützen, ohne ihre Werte zu kompromittieren? Denn die islamistischen Gruppen sind meist die wichtigsten politischen Kräfte in den Ländern des Umbruchs.

Genau diese Zwickmühle ist mit der Veröffentlichung des Films deutlich geworden. Obwohl US-Außenministerin Hillary Clinton das Video aufs Schärfste verurteilte und als "widerlich" bezeichnete, betonte sie auch, dass die USA der freien Meinungsäußerung gegenüber verpflichtet seien. Anders als in anderen Ländern ist das Video in den USA immer noch im Internet zu sehen.

Ägyptens Führungsrolle

Doch wohin steuert die US-Strategie in der Arabischen Welt? Der erste Kontakt zwischen Washington und der neuen Kairoer Regierung versprach, die "absolut starken US-Beziehungen" zu Ägypten aufrechtzuerhalten. "Aber der Standpunkt der Muslimbrüderschaft ist", erklärt Kinninmont, "dass man als Partner auf gleicher Augenhöhe behandelt werden möchte und nicht bloß als Werkzeug der US-Außenpolitik."

Tatsächlich sieht es wohl so aus, dass Staaten in Europa und auch die USA ihre Strategie geändert haben und den islamistischen Bewegungen in der Region nun die Hand ausstrecken, meint Alcaro. "Das ist der wohl größte Wandel der europäischen und US-Außenpolitik gegenüber den muslimischen und arabischen Staaten, den wir je miterleben durften."

Demonstranten vor der US-Botschaft im Jemen, in Sanaa (Foto: Reuters)
Anti-amerikanische Stimmung im JemenBild: Reuters

Dieser Wechsel habe allerdings nichts damit zu tun, andere Ergebnisse zu erzielen. "Europa und die USA versuchen, die regionalen Beziehungen so zu gestalten, dass sie ihre außenpolitischen Ziele, die sie seit 30 Jahren verfolgen, auch weiterhin erreichen können. Aber das ist nicht mehr selbstverständlich", sagt der Experte aus Rom.

Für Washington sollte es eigentlich klar sein, dass die Regierung in Kairo immer einflussreicher wird in der Region und auch unabhängiger vom internationalen Druck. "Ich sage nicht, dass die USA ihre außenpolitische Richtung umkehren sollten. Aber sicherlich wird es nötig sein, diese anzupassen", prophezeit Alcaro. Sollten sie dies nicht tun, werde der Preis hoch sein: schlechtere Beziehungen zu Ägypten und wachsender Einfluss seitens Saudi-Arabiens, Katars und anderer Golfstaaten.