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Deutschland verurteilt

17. Dezember 2009

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kritisiert die nachträgliche Verhängung von Sicherungsverwahrung gegen Straftäter in Deutschland. Der Kläger, ein verurteilter Verbrecher, erhält Schadensersatz.

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Futuristisches Gebäude in Straßburg: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) (Foto: AP)
Futuristisches Gebäude in Straßburg: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)Bild: AP

Das Gericht, dem sich die 47 Mitgliedsstaaten des Europarates zur Kontrolle der Menschenrechte unterworfen haben, stellt in seinem Urteil am Donnerstag (17.12.2009) fest, dass Deutschland einem Gefängnisinsassen Unrecht getan hat: Der wegen versuchten Mordes verurteilte M. hätte seine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und anschließenden zehn Jahren Sicherungsverwahrung eigentlich 2001 verbüßt. Ein deutsches Gericht ordnete aber an, dass der Mann nicht aus der Haft entlassen, sondern weiter in Sicherungsverwahrung genommen wird.

Keine Strafe ohne Gesetz

Der Straßburger Gerichtshof stellte fest, dass damit ein erst 1998 erlassenes Gesetz rückwirkend auf den Inhaftierten angewendet wurde. Deutschland habe damit gegen den Grundsatz "Keine Strafe ohne Gesetz" verstoßen. Dem Kläger stehen 50 000 Euro Schmerzensgeld zu. Die von den deutschen Gerichten unterstellte Gefahr, die von dem Täter ausgehen soll, sahen die Straßburger Richter so nicht. 2004 hatte das Bundesverfassungsgericht eine Beschwerde des 52-jährigen Häftlings abgewiesen.

Bundeskanzlerin Merkel (links) besuchte 2008 den EGMR, neben ihr Richterin Jäger (Foto: AP)
Bundeskanzlerin Merkel (links) besuchte 2008 den EGMR, neben ihr Richterin JägerBild: AP

In Straßburg sind weitere ähnliche Fälle anhängig. Die deutsche Richterin am Gerichtshof, Renate Jäger, sagte der Deutschen Welle einige Tage vor dem Urteilsspruch, das Ministerkomitee des Europarates werde als politisches Organ zweifellos versuchen, Deutschland dazu zu zwingen, nicht nur das Gesetz zu ändern, sondern auch die betroffenen Gefangenen frei zu lassen: "Da die Leute alle Beschwerde eingelegt haben, wäre das möglicherweise die Folge: nicht nur der Schadensersatz, sondern auch die Feststellung, dass sie zu Unrecht in Haft sind. Und ich glaube nicht, dass Deutschland die Leute, wenn sie zu Unrecht in Haft wären, weiter zu Unrecht in Haft lässt."

Urteile sind bindend

Der Europäische Gerichtshof der Menschenrechte überwacht die Einhaltung der Menschenrechte in den Mitgliedsstaaten des Europarates. Seine Urteile sind bindend, werden aber von vielen Ländern nicht umgesetzt. Wie eine genaue Umsetzung erfolgt, bleibt den Mitgliedsstaten überlassen. Das Ministerkomitee des Europarates kann politischen Druck ausüben.

Der stellvertretende Vorsitzende der konservativen Regierungsfraktion im Bundestag, Günter Krings, geht davon aus, dass die Bundesregierung das für den deutschen Schwerverbrecher M. günstige Urteil von der großen Kammer des Straßburger Gerichts überprüfen lassen wird. Das kann sie innerhalb von drei Monaten beantragen. Krings sagte der Neuen Osnabrücker Zeitung, das deutsche Gesetz zur Sicherungsverwahrung müsse überarbeitet werden.

Ein sicherungsverwahrter Gefangener sieht in seiner Zelle im Freiburger Gefaengnis Fernsehen (Foto: AP)
Zelle für Sicherungsverwahrung, hier im Gefängnis FreiburgBild: AP

Die meisten Klagen werden gegen Russland und die Türkei beim Gerichtshof in Straßburg eingereicht. Auch Prominente wie Prinzessin Stefanie von Monaco oder enteignete Grundbesitzer aus der ehemaligen DDR haben hier gegen unterschiedlichsten Menschrechtsverletzungen geklagt, nachdem sie den Rechtsweg im eigenen Land erschöpft hatten.

Der Europarat ist nicht zu verwechseln mit der wesentlich enger verflochtenen Europäischen Union. Der Rat ist ein lockerer Bund von 47 europäischen Staaten, der sich vor allem mit der Einhaltung der Menschenrechtskonvention beschäftigt. Nur Weißrussland ist wegen seiner diktatorischen Regierung nicht Mitglied des Europarates. Auch Prominente wie Prinzessin Stefanie von Monacco oder enteignete Grundbesitzer aus der ehemaligen DDR sind wegen unterschiedlichster Menschenrechtsverletzungen nach Straßburg gezogen.

Autor: Bernd Riegert (mit afp, kna)
Redaktion: Julia Kuckelkorn