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Ursachensuche nach Blutbad

Dagmar Wittek27. August 2012

44 Menschen starben Mitte August bei einem Blutbad vor der Platinmine "Marikana", etliche Personen wurden schwer verletzt, rund 280 Streikende verhaftet. Südafrika steht nach den Ereignissen unter Schock.

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Streikende am 15. August 2012 vor dem Gelände der Marikana-Platinmine (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Südafrikas Bevölkerung ist entsetzt und fragt: "Wie konnte es zu solch einem Blutbad bei einem Streik kommen?" Die Zeitungen und Talkshows von Radiostationen und Fernsehsendern sind auf Ursachensuche für den Gewaltausbruch vor der Lonmin Platinmine "Marikana".

John Capel, der Geschäftsführer der auf soziale Studien im Bergbau spezialisierten Bench Marks Stiftung, ist jedoch nicht erstaunt. Die Veränderungen im Bergbau seit dem Ende der Apartheid 1994 seien minimal, sagt er, und kaum mehr als ein Lippenbekenntnis der Unternehmen. "Sie zahlen nach wie vor miserable Löhne", schimpft Capel. Die Bergarbeiter hätten sich bessere Lebensbedingungen erhofft, etwa Häuser für sich und ihre Familien, genug Essen und eine medizinische Versorgung. Doch die Realität sei anders, so Capel. "Sie leben in Wellblechsiedlungen und Slums ohne Strom und Wasser."

Verflechtungen von Politik und Wirtschaft

Die Ausschreitungen und vielen Toten hätten vermieden werden können, wenn der Platinproduzent Lonmin die Empfehlungen einer fünf Jahre alten Bench Marks Studie berücksichtigt hätte oder die Ergebnisse der jüngsten Untersuchung, die dem Konzern vor vier Wochen überreicht wurde, so der Geschäftsführer der Bench Marks Stiftung. Auch 18 Jahre nachdem die einstige Freiheitsbewegung ANC die Macht übernommen hat, seien Wirtschaft und Politik in Südafrika zu sehr miteinander verwoben, kritisiert Capel. "Diese Firmen glauben, sie könnten machen was sie wollen, weil sie entsprechend politisch vernetzt sind."

Protestierende Frauen am 17. August 2012 nahe der Stelle des Blutbads (Foto:AP/dapd)
Protestierende Frauen am 17. August nahe der Stelle des BlutbadsBild: dapd

Bei Lonmin sitzt der einstige Freiheitskämpfer Cyril Ramaphosa im Vorstand. Er ist der frühere Anführer der Bergarbeiter-Gewerkschaft. Heute, im neuen Südafrika, ist er ein politisch und wirtschaftlich einflussreicher Multi-Millionär. Für Capel ist klar: "Das beeinträchtigt die unabhängige und freie Handlungsfähigkeit der Regierung. Für Regierungsmitglieder sind dann persönliche Interessen wichtiger als die der Bevölkerung."

Vermeidbares Blutbad

Es hätte nicht zu einem Blutbad und so viel Aggression kommen müssen, urteilt Capel. Seiner Meinung nach hätte die Regierung einen geeigneten Mediator bestimmen sollen, der an allen Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Platinproduzent Lonmin teilnimmt. Da es aber fast wöchentlich in Südafrika zu Streikaktionen kommt, glaubt Capel, habe die Regierung ein harsches Signal aussenden wollen, das besagt: "Wir dulden die Streiks nicht länger, sie schaden Südafrikas Image, der Wirtschaft und den Investitionen. Wir werden es den Gewerkschaften und den Arbeitern zeigen." Aber, so meint Capel: "Diese Rechnung wird nicht aufgehen, denn man kann verbitterte und wütende Menschen nicht stummschalten. Ich gehe davon aus, dass es zu weiteren Konflikten im Bergbau kommen wird."

Jacob Zuma (Foto: AP)
Freund markiger Sprüche: Präsident Jacob ZumaBild: AFP/Getty Images

Lucy Holbourne vom Institut für Rassenbeziehungen fügt hinzu, dass Südafrikas Politiker die Gewaltbereitschaft der Bevölkerung anheizten. "Die Vorgabe bei der Polizei lautet: Schießt, um zu töten. Der Präsident selber hat immer wieder das alte Freiheitskämpferlied "Bringt mir mein Maschinengewehr" gesungen. Dies sei zwar selbstverständlich alles nicht wörtlich zu nehmen, aber der Sprachgebrauch sorge für ein Klima, das signalisiere, dass Gewalt normal und akzeptabel ist, meint Holbourne. Ihr Rat: "Der Präsident sollte von solch einem Sprachgebrauch absehen, das würde eine eindeutige Botschaft an die Bevölkerung aussenden, dass Gewalt nicht akzeptabel ist."

Frustration in der Bevölkerung

Hinzu kommt, dass die Kluft zwischen arm und reich in Südafrika weltweit am größten ist. Fast 50 Prozent der Bevölkerung leben jenseits der Armutsgrenze, die offizielle Arbeitslosenquote liegt bei 25 Prozent. Verbrechen bleiben häufig ungeahndet, die Polizei ist schlecht ausgebildet, staatliche Krankenhäuser zerfallen, Lehrer bleiben dem Unterricht fern, Schulbücher fehlen, das Bildungssystem droht zu kollabieren - und egal wo man hinschaut, trifft man auf Korruption und Untätigkeit staatlicher Instanzen. Kein Wunder, dass viele Südafrikaner sauer seien, sagt Holbourne. Zudem wüssten sich schlecht ausgebildete Menschen häufig nicht anders zu helfen, als gewalttätig zu reagieren.

Lonmin-Platinmine nahe Rustenburg (Foto.: picture-alliance/dpa)
Tatort: Lonmin-Platinmine nahe RustenburgBild: picture-alliance/dpa

Es gebe zu viele Bereiche, in denen die Regierung Fehler mache. "Die Vorwürfe gegen die Regierung reichen von Korruption oder Geld sinnlos zum Fenster rausschmeißen bis hin zu schlechtem Management. Und all dies will die Bevölkerung nicht mehr länger hinnehmen - 18 Jahre nach dem Ende der Apartheid", meint Holbourne und urteilt: "Bis heute hätte mehr in Ordnung gebracht werden können, wenn die Regierungsführung der letzten 18 Jahre besser gewesen wäre." Das Blutbad von Marikana, fast wöchentliche Protestaktionen allerorten wegen fehlender Dienstleistungen und eine Regierung, die sich nicht selbstkritisch den Spiegel vorhalten will: Wenn es so weiter geht, dann drohen Südafrika soziale Unruhen.