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Wunderwerk Stimme

Gudrun Heise
16. April 2021

Unsere Stimme ist wie ein akustischer Fingerabdruck. Jede Stimme ist anders. Die eine ist vielleicht hoch, schrill und unangenehm, eine andere tief und warm. Austauschbar sind sie alle nicht.

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Anna Netrebko Oper Sängerin München Bayern
Bild: picture-alliance/dpa/J. Niering

Zum ersten Mal meldet sich unsere Stimme mit einem meist kräftigen Schrei bei der Geburt, und sie wird unser Leben lang das wichtigste Instrument für die Kommunikation mit anderen Menschen sein. Aber wir widmen ihr meist kaum oder gar keine Aufmerksamkeit. Schließlich ist sie einfach da, steht uns immer zur Verfügung sofern es keine körperlichen Einschränkungen gibt.

Der lange Weg der Stimme

Unser gesamter Körper ist daran beteiligt, wenn wir Laute erzeugen: die Atmung, der Kehlkopf und der sogenannte Vokaltrakt, der Raum oberhalb des Kehlkopfes. Die Atmung ist nötig, um die Stimmlippen zur Schwingung anzuregen. Dabei entsteht ein sogenannter primärer Kehlkopfklang, ein akustisches Signal, das dann aber noch geformt und letztendlich in Sprache umgewandelt werden muss.

Die Stimmlippen oder Stimmbänder, die an der Bildung von Lauten beteiligt sind, befinden sich im Inneren des Kehlkopfes. Sie sind beweglich, gehen auf und zu. "Durch die Luft, die aus der Lunge kommt und die auf die geschlossenen Stimmlippen trifft, kommt es zu Auf- und Zu-Bewegungen und zu Schwingungen. Die können im Kehlkopf sehr schnell ablaufen", erklärt Bernhard Richter. Er ist Professor für Musikermedizin und Stimmbildung an der Uni Freiburg.

Konzert Sinfonieorchester
Unsere Stimme ist wie ein MusikinstrumentBild: Carlos David Chanchí Calvache

Als Beispiel nennt er die Arie 'Königin der Nacht' aus Mozarts Zauberflöte. Die Opernsängerin singt einen sehr hohen Ton. "Die Schwingung bewegt sich dabei in einer Größenordnung von etwa 1400 Mal pro Sekunde. Es ist schon enorm, was im Kehlkopf möglich ist", sagt Richter. "Es ist schon ein kleines Wunderwerk, aber es ist nur die Grundlage unserer gesprochenen Sprache", so der Wissenschaftler.

Das Instrument der Sprache

Bernhard Richter vergleicht die Stimme mit einem Musikinstrument. "Wenn Sie in eine Trompete hineinblasen, dann benutzen Sie Ihre Lippen. Dort entsteht der sogenannte primäre Klang, der eher einem Geräusch entspricht. Dieser geht dann in das Instrument, also in die Trompete. Sie sorgt für den schönen Klang, den wir als Musik wahrnehmen. Bei der Stimme geht es auch um einen schönen Klang, aber diese Klänge gilt es dann in gesprochene Sprache umzusetzen."

Dazu werden Vokale und Konsonanten gebildet. Dabei ist der Kehlkopf weniger wichtig als die Zunge, die Lippen, das Gaumensegel und die Öffnung des Mundes, mit denen wir unterschiedliche Laute formen können. "Die menschliche Stimme ist also ein ganz tolles Instrument und kommt in der Natur in dieser Form bei anderen Lebewesen gar nicht vor. Unsere Stimme bildet eine absolute Ausnahme. Sie ist sehr modulationsfähig, und wir können mit ihr auch unsere Emotionen ausdrücken."

Babysprache

Emotionen über die Stimme auszudrücken, lernen wir schon sehr früh. Babys setzen ihre Stimme in unterschiedlichen Varianten ein, so dass Mutter oder Vater genau wissen, was dieser kleine Mensch möchte. Sie wissen, ob das Baby müde ist, wenn es schreit, ob es Hunger hat oder ob vielleicht die Windeln gewechselt werden sollten.

Symbolbild Stimme | Schreieindes Baby
Babys verschaffen sich durch Schreien GehörBild: Franziska Gabbert/dpa-tmn/picture alliance

Jedes dieser Bedürfnisse klingt anders und verfügt über eine eigene Codierung. Die Erwachsenen müssen diese dann dekodieren, um herauszufinden, warum das Baby denn nun schreit. In den meisten Fällen funktioniert das.

Männer sind anders

Beim Säugling sind die Stimmlippen etwa 3 Millimeter lang, bei einem erwachsenen Mann mit einer Bassstimme etwa 23 Millimeter. Die erste gravierende Veränderung kommt bei Jungen mit dem Stimmbruch in der Pubertät: Der Kehlkopf wird größer. Der junge Mann muss sich erst einmal an das neue Instrument im Körper gewöhnen und sich darauf einstellen.

Bei Männern ist der Kehlkopf insgesamt größer als bei Frauen. Das ist eines der sekundären Geschlechtsmerkmale genauso wie Körperbehaarung oder etwa Muskeln. Insbesondere durch das Sexualhormon Testosteron ist die Wachstumsphase des Kehlkopfes bei Jungen deutlich ausgeprägter als bei Mädchen.

Kein Stillstand

Bei Jungen entwickelt sich der Kehlkopf auch nach vorne, so dass man den Knorpel bei vielen von außen sehen kann. Es ist der sogenannte Adamsapfel. "Interessanterweise gibt es das Wort 'Adamsapfel' in mehreren Sprachen", erläutert Richter. "Es kommt aus der biblischen Geschichte. Hier wird erzählt, dass Eva Adam den Apfel vom Baum der Erkenntnis zu essen gegeben hat. Der ist ihm dann im Hals steckengeblieben. Und er ist noch immer zu sehen - eben als Adamsapfel."

Stadtsingechor Halle
Mit dem Stimmbruch ändert sich die StimmeBild: Imago Images/S. Schellhorn

Veränderungen am Stimmapparat hören aber nicht mit der Pubertät auf. Sie geschehen bis ins hohe Alter, und auch dabei sind die Sexualhormone wieder von Bedeutung. "Wir wissen zum Beispiel, dass es bei Frauen in den Wechseljahren große Stimmveränderungen geben kann", sagt Richter. "Die Stimme wird tiefer, brüchiger, und sie ist meistens nicht mehr so belastungsfähig." Auch Männer durchlaufen eine solche Phase, allerdings später als Frauen.

Die Macht der Stimme

Sängerinnen und Sänger, Schauspielerinnen und Schauspieler haben besonders geschulte Stimmen. Sie können sie bewusst einsetzen und so Stimmungen und Gefühle beim Publikum hervorrufen: Trauer, Freude, Gleichgültigkeit, Nervosität, Angst. All das spiegelt sich auch von Natur aus in unser aller Stimmen wider.

Laryngoskopie
Mithilfe der Laryngoskopie kann der Arzt die Stimmbänder untersuchenBild: Waltraud Grubitzsch/dpa/picture alliance

"Wenn Sie jemanden am Telefon haben, den Sie gut kennen, erkennen Sie direkt, ob mit der Person etwas nicht stimmt, ganz egal, ob es um einen Mann oder um eine Frau geht", sagt Richter. "Das Stimmsignal vermittelt uns sofort die Stimmung der Sprecherin oder des Sprechers am anderen Ende." Wir können uns wahrscheinlich sogar die Mimik oder Gestik dieser Person in dem Moment vorstellen.

Eine Welt voller Stimmen

Wir sind permanent von Stimmen umgeben: Wir werden von Stimmen berieselt. Sie können unsere Laune beeinflussen und unser Wohlbefinden. Sie sollen uns zum Kaufen bestimmter Waren animieren oder einfach nur trockene Fakten vermitteln. Stimmen können uns aufwühlen oder aber beruhigend auf uns wirken, etwa bei Kindern, denen wir eine Gute-Nacht-Geschichte vorlesen oder ein Gute-Nacht-Lied vorsingen und sie damit einlullen und einschlafen lassen. Dabei setzen wir eine andere Stimme ein als wenn wir jemandem nach dem Weg fragen oder wissen wollen, wann die nächste Bahn fährt.

Menschenmenge in einer Fußgängerzione in Amsterdam
Tagtäglich sind wir von Geräuschen und Stimmen umgebenBild: picture-alliance/Hollandse Hoogte/R. v. Flymen

Stimme und äußere Erscheinung

Bei Sprecherinnen und Sprechern, bei Moderatorinnen und Moderatoren im Radio haben wir meist eine bestimmte Vorstellung davon, wie sie aussehen. Wenn wir dann ein Foto von ihnen sehen, sind wir oft perplex. Das Gesicht, die Figur, die Kleidung, das gesamte Erscheinungsbild entspricht dann manchmal so gar nicht dem, was wir uns vorgestellt haben.

Was zusammengehört

Mit einer Stimme verbinden wir bestimmte Personen. Das gilt auch für Schauspielerinnen und Schauspieler, die in ihren Filmen synchronisiert werden. Da verschmelzen Aussehen und Synchronstimme zu einer Person, sie gehören nahezu untrennbar zusammen. Im besten Fall denken die Zuschauer nicht einmal daran, dass die Stimme des Bösewichts oder der eleganten Frau ursprünglich gar nicht zu dieser Person gehören. Im Kopf sind sie längst eins. 

Unser Gefühl sagt uns dann vielleicht, dass bei einem hochgewachsenen und blendend aussehenden, jungen Schauspieler dessen Synchronsprecher doch unmöglich klein und etwas untersetzt sein könnte. 

Erstaunen oder gar Enttäuschungen kann es auch geben, wenn man die Originalstimme der Schauspielerin oder des Schauspielers mit all ihren Facetten und dann auch noch in einer fremden Sprache hört. Denn auch hier kann es passieren, dass das Original gar nicht zur Person zu passen scheint. Wir hatten uns an eine ganz andere Stimme gewöhnt. Die ist zum Markenzeichen geworden, genauso wie unsere eigene Stimme - ein akustischer Fingerabdruck eben.