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Politik

Universitäten: Digital bleibt Trumpf

Wolfgang Dick
7. September 2020

Die Corona-Pandemie hat das Leben an den deutschen Universitäten grundlegend verändert. Nach dem "digitalen Sprung nach vorn" fordern jetzt aber viele die Rückkehr zum Präsenzunterricht.

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Digitalisierung im Schulunterricht
Bild: picture-alliance/dpa/J. Stratenschulte

"Es hat uns wirklich kalt erwischt", gibt Professor Bernhard Kempen vom Deutschen Hochschulverband offen zu. Von einem Tag auf den anderen waren die oft völlig überfüllten Hörsäle für die rund 18.000 Studiengänge in Deutschland gesundheitspolitisch untragbar.

Begegnungen zwischen und unter Dozenten und Studierenden mussten vermieden oder wenigstens auf ein Minimum reduziert werden. Gebäude wurden verriegelt, Bibliotheken konnten nicht mehr betreten werden. Bücher wurden nur noch auf schriftlichen Antrag ausgegeben.

Die Studenten wurden über das Internet mit Texten versorgt. Dozenten zeichneten Vorlesungen mit der Videokamera auf. Große Begeisterung für die digitalen Formate habe es nicht gegeben, berichtet Professor Kempen, aber "total verweigert hat sich niemand." Wer als Dozent Probleme mit der Technik hatte, dem sei geholfen worden. Im Vordergrund stand, den Studierenden trotz aller Einschränkungen ein erfolgreiches Semester zu ermöglichen. Überlegungen, ein "Null oder Nicht-Semester" einzurichten, also die Zeit sozusagen anzuhalten und das Semester einfach "zu überspringen" habe es zwar auch gegeben. Die seien aber rasch verworfen worden. Für die Studenten hätte das einen zu großen Zeitverlust in ihrem beruflichen Werdegang bedeutet. "Die Umstellung hat nicht überall reibungslos geklappt, aber im Großen und Ganzen schon", zieht Kempen für die Hochschulleitungen vorsichtig positiv Bilanz.

Studenten vermissen Austausch

"Ich habe gar kein funktionierendes Internet"; "Ich hatte gar keinen leistungsfähigen Computer"; "Ich habe in meinem Wohnheim nicht die Ruhe, die ich brauche";  "Ich kann das nicht einfach alles alleine, mir fehlt der Kontakt zu den anderen Studenten oder zu meinem Dozenten". Vier Beispiele für eine Fülle von Problemen, die Studierende mit der digitalen Universität haben. Zusammengetragen haben die Aussagen der Bundesverband ausländischer Studierender und der freie Zusammenschluss von Student*innenschaften in Berlin. Deren Sprecherin Amanda Steinmaus erzählt von etlichen Angeboten an Universitäten in kleinem Rahmen Laptop-Verleihe einzurichten. "Das größte Problem aber ist für die Studenten, dass sie ihre Jobs zum Beispiel in der Gastronomie oder auf Messen verloren haben und das Überbrückungsgeld nicht wirklich funktioniert", berichtet Steinmaus, die selbst in Duisburg-Essen Englisch und Geschichte auf Lehramt studiert.

Karikatur Corona und Aufnahme Prüfung
Vorsicht vor dem Virus einmal humorvoll gesehenBild: DW/M. Neystani

Nur zwischen elf bis dreizehn Prozent aller Studierenden beziehen die Ausbildungsförderung BAFÖG. Viele müssen neben der Uni arbeiten, um sich das Studium zu finanzieren. Als die Corona-Pandemie ausbrach und in der Wirtschaft viele Studentenjobs verloren gingen, richtete die Bundesregierung ein so genanntes Überbrückungsgeld von 500 Euro monatlich ein. Das stehe aber nur für coronabedingte Notlagen zur Verfügung. "Der Nachweis ist oft zu kompliziert", beklagt Studentin Steinmaus.

Zudem: Wirklich glücklich über die digitale Lehre seien die wenigsten Studenten. Lob dagegen gibt es für die neuen Freiheiten: "Ich muss jetzt nicht in der Uni präsent sein, um nichts zu verpassen." Und: "Prima, jetzt kann ich mir mit den Vorlesungen im Internet alles zeitlich noch mehr einteilen. Auch eine Nacharbeitung kann ich jetzt in meinem eigenen Tempo bewältigen." Auch solche Stimmen wurden an deutschen Universitäten gesammelt. 

"Gewisse Täuschungsanfälligkeit bei Prüfungen"

Wieviel ist ein "Corona-Studium" noch wert, fragen sich zudem viele Studierende, wenn sie auf die Bedingungen bei den Prüfungen schauen. Nicht selten saßen in einem Raum die Prüfer und in einem davon abgetrennten Abteil die getestete Person. Promotionsprüfungen liefen über Video. Prüfungskandidatinnen und Kandidaten verfassten  Arbeiten zuhause am eigenen Schreibtisch. Eine gewisse Täuschungsanfälligkeit sei dabei sicher gegeben, räumen etliche Dozenten ein. Bernhard Kempen vom Deutschen Hochschulverband hält dagegen: "Die Studierenden machen sich da keinen faulen Lenz, sondern studieren ernsthaft. Sie sind erstaunlich diszipliniert, was wir an der Vielzahl der elektronischen Anfragen zu den Lehrveranstaltungen sehen."

Weil die Ministerialbürokratie in den Ländern gut reagiert habe und ein Sonderprüfungswesen ermöglichte, hätten die Universitäten auch sinnvolle, faire und gerechte Prüfungen durchführen können, gibt sich Kempen überzeugt.

Beatmungsgeräte für ihren Nachbau
Laborpraktika sollen unter Auflagen wieder möglich werdenBild: Privat

Bemühen um persönlichen Austausch

Vor allem bei den Erstsemestern war der Schock groß, nach der behüteten Zeit in Schule und Elternhaus plötzlich in einer wenig strukturierten Umgebung in einer meist fremden Stadt zurecht kommen zu müssen. Viele Universitäten schaffen daher Angebote, in denen Erstsemester in kleinen Gruppen von 30 bis 50 Personen Orientierungshilfe erhalten. Aber auch ältere Semester vermissen den persönlichen Austausch, der für das Studentenleben immer wichtig war. 

Die Universität Bonn richtete deshalb die Aktion "Lebenszeichen" ein. Motto: "Wir bleiben im Gespräch". Dozenten schrieben Aufsätze. Zum Beispiel zum Thema Angst. Auch Studierende verfassten Aufsätze zu ihren Befindlichkeiten.

Der reine Onlinebetrieb kann es auf Dauer nicht sein, sind sich Dozenten und Studierende einig. Im Wintersemester sollen zum Beispiel Laborpraktika in der Physik oder der Chemie unter allen notwendigen Schutzauflagen wenigstens in Kleingruppen möglich sein. Aber das es werden Ausnahmen bleiben. "Solange es keinen Impfstoff gibt, wird die Uni mehrheitlich online stattfinden müssen", ist sich ein Professor sicher. "Auf keinen Fall dürfen Universitäten zu neuen Covid-19-Hotspots werden", betont gegenüber der DW ein anderer. 

Net.Uni geht ans Netz
An der Hochschule Wismar wurden virtuelle Vollstudiengänge bereits vor Jahren erprobtBild: picture-alliance/ZB

Zukunft der Universitäten

Aber es gibt auch Protest: Knapp 6.000 von rund 26.000 Hochschullehrenden haben ihre Unterschrift unter einen offenen Brief zur "Verteidigung der Präsenzlehre" gesetzt. Darin wird die Universität als "Ort der Begegnung" charakterisiert, das Studieren als eine "Lebensphase des Kollektiven" bezeichnet, in der wichtige Freundschaften entstünden und Netzwerke aufgebaut würden. Universitäre Lehre, heißt es weiter, beruhe auf "einem kritischen, kooperativen und vertrauensvollen Austausch zwischen mündigen Menschen" - und der brauche das Gespräch unter Anwesenden. Durch den von Corona befeuerten "digitalen Sprung nach vorn" drohten diese wichtigen Elemente verloren zu gehen. 

Im Raum steht zudem bei manchen der Verdacht, die Politik in Berlin und in den Bundesländern habe die Vorstellung, mit ausgebauten digitalen Angebote ließen sich Dozenten und damit Kosten sparen. "Das ist Blödsinn", widerspricht Bernhard Kempen. Aber auch der Hochschulverbandsvertreter räumt ein: "Natürlich werden wir nicht bei den Lehrkonzepten vergangener Jahrhunderte stehen bleiben, digitale Angebote werden die Präsenzlehre ergänzen, aber niemals ersetzen." Wissenschaft lebe vom Dialog.   

Studieren in Corona-Zeiten