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Union erhöht Druck auf Merkel

Marcel Fürstenau, Berlin27. November 2015

Flüchtlinge an der deutschen Grenze abweisen? Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion könnte sich das vorstellen. Der Zeitpunkt seiner Gedankenspiele dürfte kein Zufall sein.

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Flüchtlinge an der österreichisch-deutschen Grenze; davor ein privisorisches Schild mit dem Wort "Germany" und der schwarz-rot-goldenen Fahne
Bild: picture-alliance/dpa/A. Weigel

Zwei Tage lang haben die Innenpolitiker der CDU und ihrer bayerischen Schwesterpartei CSU in Berlin konferiert. Man habe "kontrovers" diskutiert, sagte Konferenzleiter Jens Kolze aus Sachsen-Anhalt. "Wie es sich für eine Volkspartei gehört", fügte der Landtagsabgeordnete hinzu. Herausgekommen ist die "Berliner Erklärung" zur Antiterror- und Flüchtlingspolitik, die Kolze am Freitag zusammen mit seinem Bundestagskollegen Stephan Mayer (CSU) präsentierte. Darin sind auf knapp sechs engbeschriebenen Seiten zahlreiche Forderungen der Union aufgelistet.

Wirklich Neues steht zwar nicht in dem Papier, aber einzelne Formulierungen und der Zeitpunkt der Veröffentlichung sind bemerkenswert. Am Donnerstag und Freitag kommender Woche treffen sich die Innenminister von Bund und Ländern in Koblenz zu ihrer Herbstkonferenz. Die "Berliner Erklärung" dürfte dabei als eine Art Tischvorlage der Unionsvertreter dienen. Kein konservativer Minister wird dem Ruf nach einer "Obergrenze" für Flüchtlinge widersprechen. Zwar wird dieses Reizwort in dem einhellig beschlossenen Text vermieden, aber verklausuliert ist dennoch unverkennbar davon die Rede: "Die Zuwanderung ist auf ein Maß zu begrenzen, das die gesellschaftliche Akzeptanz nicht übersteigt und die Integrationsfähigkeit dieses Landes auch langfristig gewährleistet."

Schonzeit für Angela Merkel

Anscheinend haben sich jene Formulierungskünstler innerhalb der Innenpolitiker des Unionslagers durchgesetzt, die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor weiteren Spitzen aus den eigenen Reihen schützen wollten. Für den - je nach Sichtweise - Höhe- oder Tiefpunkt hatte vergangenes Wochenende der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer gesorgt. Auf offener Bühne kanzelte er die deutsche Regierungschefin wegen ihrer für Unionsverhältnisse sehr großzügigen Flüchtlingspolitik ab. Könnten die Bayern wie sie wollten, würden sie Flüchtlinge vorübergehend an der deutschen Grenze abweisen. Es wären "begrenzte, vorübergehende, aber effektive Zurückweisungen", sagte CSU-Mann Mayer, als er namens aller Innenpolitiker der Union die "Berliner Erklärung" erläuterte.

Stephan Mayer, innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag
Innenpolitischer Sprecher und Wortführer in der Flüchtlingsdebatte: Stephan MayerBild: imago

Als "Signal" für mehr Solidarität in der Europäischen Union und an die Flüchtlinge will der innenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion seinen Vorstoß verstanden wissen. Als Zielgruppe, die an der Einreise gehindert werden sollen, stellt sich Mayer alleinreisende männliche Flüchtlinge mittleren Alters vor. Eine solche Maßnahme würde sich "in Windeseile unter den Flüchtlingen herumsprechen" und viele vom Weg nach Deutschland abhalten, glaubt der bayerische Bundestagsabgeordnete. Um Missverständnissen vorzubeugen, fügte er hinzu: "Keiner will eine hermetische Grenzschließung, geschweige denn einen Zaun oder eine Mauer."

Begleitmusik für die Innenministerkonferenz

Mayers Gedankenspiele haben indes keine Aussicht, in die Tat umgesetzt zu werden. Weder die auf Bundesebene mit der Union koalierenden Sozialdemokraten wären dafür zu haben noch die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Mayers Überlegungen fehlen auch in der "Berliner Erklärung". Letztlich sind sie nicht mehr als Begleitmusik für die Innenministerkonferenz am 3./4. Dezember in Koblenz. Dort dürften die Ansichten zwischen CDU/CSU und SPD weniger weit auseinanderliegen, als manche rhetorische Attacke vermuten lässt. Denn sowohl bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise als auch beim Umgang mit der Terrorgefahr stehen alle vor den gleichen Problemen.

Symbolbild Abschiebung Deutschland
Die Botschaft einer Flüchtlingsinitiative lässt sich - je nach Standpunkt - so oder so intrepretierenBild: picture-alliance/dpa/C. Charisius

Fehlende Unterkünfte für immer mehr Flüchtlinge und Asylbewerber sind keine Frage der Parteizugehörigkeit. Über Grenzen der Belastbarkeit sprechen längst auch Grünenpolitiker, beispielsweise der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer. Letztlich liegen die Differenzen überwiegend im Detail. Verfechter eines rigorosen Kurses plädieren in einem Atemzug für die Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung im Antiterrorkampf und schnellstmögliche Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber. Passend zu Mayers entsprechenden Forderungen kam aus der bayerischen Staatskanzlei die Meldung, am Donnerstag seien 41 Kosovaren mit einer Chartermaschine in ihre Heimat ausgeflogen worden. An Bord sei auch "ein 23 Jahre alter gefährlicher Islamist" gewesen.

Kanzlerin schweigt zur "Berliner Erklärung"

Solche Meldungen sind hilfreich, wenn es darum geht, Entschlossenheit nicht nur zu predigen, sondern auch zu praktizieren. Das Gegenteil tut aus Unionssicht die rot-grüne Landeregierung in Nordrhein-Westfalen. Wenn diese zum Beispiel ankündige, den im Asylgesetz kürzlich vereinbarten "Vorrang des Sachleistungsprinzips" statt Geldzahlungen an Asylbewerber nicht umzusetzen, sei das "verantwortungslos". Dieser Vorwurf findet sich neben weiterer Kritik am politischen Gegner in der "Berliner Erklärung". Auch darüber werden die Innenminister des Bundes und der 16 Länder bei ihrer Konferenz in wenigen Tagen ausführlich diskutieren.

Derweil fände es Stephan Mayer "wünschenswert", wenn sich die Regierungskoalition "vor Weihnachten" auf ein zweites sogenanntes Asylpaket verständigte. Was die Bundeskanzlerin von der "Berliner Erklärung" hält, kann der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion nur vermuten. Er habe noch "keine Rückmeldung der Bundeskanzlerin auf dieses Papier bekommen".