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Unangepasst und unkonventionell

Alexander Kudascheff15. Mai 2002

Rechtspopulist, Radikaler, Rassist - viele Bezeichnungen und Klischees wurden Pim Fortuyn angeheftet. Doch welche Politik vertrat er? Ein Kommentar von Alexander Kudascheff.

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Die Niederlande sind im Schockzustand. Der Wahlkampf ist sofort abgebrochen worden. Dennoch finden die Wahlen, wie geplant, am 15. Mai statt. Zur Zeit sind die Niederländer schlicht betroffen, sie sind erschrocken über die Gewalt. Sie sind bestürzt, dass nun auch in ihrem Land ein Tabu geschleift wurde. Denn die Niederlande waren immer stolz auf ihre politische Kultur: gastfreundlich, bescheiden, liberal, weltoffen, erfolgreich - das sind die Kernpunkte ihres Selbstverständnisses.

Aber hinter dieser politischen Kultur, die manche auch als bloße Fassade sahen, konnte man auch viel Heuchelei und Pharisäertum entdecken. Die Niederlande waren bei allen wirtschaftlichen Erfolgen nicht das sozial friedliche Modell schlechthin. Und die Menschen waren unzufrieden. Genauer: immer mehr Menschen wurden unzufriedener mit dem politischen Alltag.

Das hat Pim Fortuyn, der nun ermordete Politiker, offen und deutlich angesprochen. Er war ein Mann, der das politische System als geschlossene Kaste ablehnte. Er glaubte daran, dass man politische Fragen eindeutig ansprechen musste und nicht aus Rücksichtnahme auf die politische Korrektheit sich nicht traute, sie zu stellen. Deswegen hielt er die niederländische politische Kultur für verlogen, weil sie letztlich die Antworten auf die Fragen verweigerte, die die Menschen stellten.

Fortuyns Hauptthema war zu allererst die Kriminalität in den Städten - eine beunruhigende Gewalt, die in erster Linie von Einwandererbanden ausging. Fortuyn war sicher, dass die viel gerühmte niederländische Integrationspolitik gescheitert war, weil man aus Rücksicht gegenüber den Zuwanderern darauf verzichtete, die Parallel-und Ghettogesellschaften wirklich zu integrieren und auf die Werte der Toleranz und der Liberalität einzuschwören.

Stattdessen baute man in Amsterdam, Rotterdam und anderswo Tabus auf. Man sprach nicht über die Gewalt - bis Pim Fortuyn 35,5 Prozent der Stimmen bei den Kommunalwahlen im März im roten Rotterdam erhielt. Von da ab war die Kriminalität und ihr Zusammehnang mit der Immigration ein Thema, auch wenn das die anderen Parteien nur sehr vorsichtig zugaben.

Außerdem stand Fortuyn für einen rigiden Umgang mit dem Islam. Er hielt ihn für rückständig. Er fürchtete, dass in den Moscheen Nebengesellschaften gefördert würden, die eher an einen rigorosen Fundamentalismus glauben, denn an die Werte der niederländischen Demokratie. Damit machte er sich Feinde - unter den islamischen Einwanderern ebenso wie unter den Linken und Liberalen. Denn niemand hatte ein Interesse, dass es in Holland zum Konflikt der Religionen kommen könnte. So stand Pim Fortuyn im politischen Abseits - aber ein Viertel der Holländer war wohl bereit, ihn zu wählen. Anscheinend war auch in den Niederlanden die Zeit reif für einen erfolgreichen Außenseiter.

Pim Fortuyn galt als rechts, als ultrarechts. Dabei war er politisch meilenweit entfernt vom Franzosen Jean-Marie Le Pen oder dem Italiener Umberto Bossi. Er war eher ein Außenseiter. Und er war ein bekennender Homosexueller, was es noch schwieriger machte, ihn im schmuddligen ultrarechten und braunen Milieu einzuordnen. Er war rechts, aber er passte auch nicht in die Schubladen der korrekten politischen Farbenlehre. Und er war kein Rassist.

Pim Fortuyn ist tot. Die Niederlande durchleben den Tag nach dem Mord wie ein Trauma. Schon heute ahnen sie: Dieser Schock wird lange nachwirken: Nach dem 6. Mai ist nichts mehr so wie früher.