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"Unangekündigte Abschiebungen: inakzeptabel"

26. Oktober 2015

Die Bundesregierung will in Zukunft abgelehnte Asylbewerber schneller und unangekündigt abschieben lassen. Das habe mit rechtsstaatlichen Verfahren nichts mehr zu tun, sagt Marei Pelzer von der Organisation Pro Asyl.

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Ein Flüchtling bei einer Polizeikontrolle (Foto: DPA)
Bild: picture-alliance/dpa/M. Becker

Deutsche Welle: Wie läuft eine Abschiebung in der Praxis ab?

Marei Pelzer: Bisher haben manche Behörden die Betroffenen darauf vorbereitet, dass demnächst ihre Abschiebung stattfindet. So hatten diese noch Zeit, sich zu verabschieden, ihre Sachen zu packen und die Ausreise vorzubereiten. Mit der Gesetzesänderung vom Wochenende dürfen Abschiebungen nicht mehr angekündigt werden. Das ist für die Betroffenen sehr, sehr brutal. Sie werden unangekündigt von der Polizei abgeholt, oftmals mitten in der Nacht. Ihnen wird Zeit gegeben, das Nötigste zu packen und dann geht es zum Flughafen.

Wie kommen die Betroffenen damit zurecht, dass sie abgeschoben werden sollen?

Für sie ist das traumatisierend und sehr belastend, weil ihre Existenz und ihre Hoffnungen zerstört werden. Da wird viel kaputt gemacht bei Menschen, die oft schon viele Jahre hier in Deutschland gelebt haben: Kinder werden aus Schulen herausgenommen, der Bildungsweg wird beendet, Freundschaften zurückgelassen.

Werden denn Familien zusammen zurückgeschickt oder kann es vorkommen, dass Familien auseinandergerissen werden?

Es kommt leider sehr häufig zu Familientrennungen. Die Polizei nimmt dann nur den Teil der Familie mit, den sie antrifft. Das passiert gerade dann, wenn Abschiebungen unangekündigt vollzogen werden. Wir hatten schon Fälle, da waren Familien über Jahre getrennt. Das perfide daran ist, dass dahinter oft ein Kalkül der Behörden steckt. Man erhofft sich, dass, wenn man einen Teil abschiebt, der Rest der Familie freiwillig hinterher reist.

Marei Pelzer von Pro Asyl (Foto: Pro Asyl)
Marei Pelzer ist Juristin bei Pro AsylBild: Pro Asyl

Kann es auch passieren, dass Minderjährige ohne ihre Eltern zurückgeschickt werden?

Das ist nicht erlaubt, wenn die Eltern auch in Deutschland leben. Unbegleitete Minderjährige, die alleine eingereist sind, können alleine abgeschoben werden. Aber nur, wenn gesichert ist, dass ihre Eltern oder andere Erziehungsberechtigte in ihrem Herkunftsland sind.

Die Abgeschobenen werden in Zivilflugzeugen in ihre Heimatländer gebracht. Neben ihnen sitzen Urlauber und Geschäftsreisende - wie kann man sich das vorstellen?

Die Betroffenen sitzen hinten im Flugzeug und neben ihnen sitzen Beamte der Polizei. In seltenen Fällen gibt es andere Passagiere, die sich weigern mitzufliegen, wenn eine Abschiebung stattfindet. Der Flugkapitän hat das letzte Wort über die Sicherheit an Bord und entscheidet in solchen Situationen, ob er den Abzuschiebenden mitnimmt.

Welche Aufgabe haben die Beamten vor Ort?

Die Beamten sichern die Abgeschobenen. Über die Anwendung von Zwangsmitteln gab es eine lange Diskussion, nachdem der 30-jährige Sudanese Aamir Ageeb am 28. Mai 1999 während gewaltsamer Abschiebung durch Beamte erstickt ist. Aufgrund dieses Todesfalls wurden Leitlinien für Deutschland beschlossen, die bestimmte Fesselungsformen und Anwendung von Gewaltmitteln nicht mehr zulassen.

Dürfen auch kranke Personen abgeschoben werden?

Wenn festgestellt wird, dass es zu Gesundheitsgefährdungen während der Abschiebung kommen könnte, darf im Extremfall keine Abschiebung stattfinden. Teilweise finden die Abschiebungen begleitet durch Ärzte statt. Das führt in der Praxis dazu, dass auch Kranke abgeschoben werden. Die Ärzte, die solche Abschiebungen begleiten, haben oft ein eigenes kommerzielles Interesse an der Abschiebung. Sie verdienen daran, wenn sie einen Abzuschiebenden als reisetauglich deklarieren. Es gibt so genannte Abschiebeärzte, die nichts anderes machen, als an solchen Abschiebungen zu verdienen.

Was müsste sich aus Sicht von Pro Asyl an der Abschiebepraxis ändern?

Die neu beschlossenen Überraschungsabschiebungen finden wir nicht akzeptabel. Das hat mit rechtsstaatlichen Verfahren nichts mehr zu tun. Das kennt man auch aus keinem anderen Rechtsbereich, dass eine extrem belastende behördliche Entscheidung unangekündigt vollzogen wird. Ansonsten glauben wir, dass die Politik in den letzten Jahren viel zu wenig getan hat, um die Dauergeduldeten hier zu integrieren. Erst in diesem Jahr ist das Bleiberecht in Kraft getreten, das wir schon seit 2006 gefordert haben.

Die Bundesregierung begründet ihre Absicht, künftig schneller und vermehrt Abschiebungen vollziehen zu lassen damit, dass Kapazitäten frei gemacht werden sollen für Asylsuchende, die tatsächlich Asyl bekommen. Was halten Sie davon?

Abschiebung sollte - selbst nach der Logik des Rechts - nur das letzte Mittel sein. In den vergangenen Jahren bewegte sich die Zahl der Abschiebungen immer zwischen 6000 und 8000 auf ein ganzes Jahr gerechnet. Dieses Jahr hat man schon im ersten Halbjahr diese Zahl ungefähr verdoppelt. Mit der Abschiebe-Politik profilieren sich Hardliner in der aktuellen Flüchtlingsdebatte. Eine Empathie - vor allem für die Flüchtlinge vom Westbalkan - geht dabei verloren.

Marei Pelzer arbeitet als Juristin für die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl.

Das Gespräch führte Najima El Moussaoui.