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Zahl der Flüchtlinge steigt auf Rekordhoch

18. Juni 2020

Noch nie hat es weltweit mehr Flüchtlinge gegeben als im vergangenen Jahr. Rund 79,5 Millionen Menschen und damit mehr als ein Prozent der Weltbevölkerung befanden sich 2019 auf der Flucht. Das teilte das UNHCR mit.

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Venezuelanische Flüchtlinge
Venezuelanische Flüchtlinge kehren - gezwungen durch die Coronavirus-Pandemie - aus Kolumbien in ihre Heimat zurückBild: Fundación Entre Dos Tierras

Damit habe sich die Zahl der Flüchtlinge in den vergangenen zehn Jahren fast verdoppelt, heißt es im Bericht "Global Trends", den das UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR anlässlich des Weltflüchtlingstags am kommenden Samstag in Genf veröffentlichte. Der Anstieg ist mit fast neun Millionen Flüchtlingen oder gut zwölf Prozent rasant.

Mehr als zwei Drittel der Flüchtlinge stammen laut Statistik aus den fünf Ländern Syrien, Venezuela, Afghanistan, dem Südsudan und Myanmar, wobei die Zahl in dem arabischen Kriegsland mit rund 6,6 Millionen Menschen deutlich am höchsten liegt. Besonders zugenommen habe dort wie auch weltweit die Zahl der Binnenvertriebenen, also der Menschen, die innerhalb ihres Heimatlandes fliehen. Diese sei global um mehr als vier Millionen auf rund 45 Millionen gestiegen. Dagegen blieb die Zahl der Flüchtlinge außerhalb des eigenen Landes mit 26 Millionen praktisch konstant.

Ein weiterer Grund für den Anstieg der Gesamtzahl aller weltweit registrierten Flüchtlinge um rund neun Millionen im Vergleich zu 2018 ist neben den Binnenflüchtlingen nach Angaben des UNHCR die Lage in Venezuela. Das Hilfswerk zählte in dem Bericht Venezolaner, die vor der Misere im eigenen Land ins Ausland gegangen sind, erstmals in einer neuen Kategorie. Die 3,6 Millionen Venezolaner, die seit 2015 überwiegend in Nachbarländer flüchteten, haben zwar größtenteils keinen Flüchtlingsstatus beantragt. Sie brauchen aber nach UNHCR-Angaben trotzdem Schutz und dürften zum Beispiel nicht abgeschoben werden.

Ausharren in Angst vor Corona

Stabile Lage in Europa

In Deutschland und Europa veränderte sich die Situation dem Bericht zufolge hingegen kaum. Auf dem Kontinent leben demnach nur rund zehn Prozent der weltweiten Flüchtlinge. Mit 1,1 Millionen Flüchtlingen war Deutschland nach der Türkei, Kolumbien, Pakistan und Uganda das fünftwichtigste Aufnahmeland. Die meisten Flüchtlinge leben demnach in der Türkei mit 3,6 Millionen, in Kolumbien mit 1,8 Millionen Menschen sowie in Pakistan und Uganda mit jeweils etwa 1,4 Millionen.

In Deutschland nahm die Zahl der gemeldeten Flüchtlinge laut UNHCR um 82.848 zu und lag bei insgesamt etwa 1,147 Millionen. Der Anstieg gehe vor allem auf Asylsuchende zurück, die sich bereits in Deutschland aufgehalten hätten und deren Fälle inzwischen bearbeitet worden seien, erklärte das Flüchtlingshilfswerk.

Nach Ansicht des UNHCR ist eine Verbesserung der weltweiten Lage nicht absehbar. Konnten in den 90er Jahren jährlich noch rund 1,5 Millionen Flüchtlinge nach Hause zurückkehren, so sei diese Zahl in den vergangenen zehn Jahren auf etwa 390.000 gesunken. "Vertreibung betrifft aktuell nicht nur viel mehr Menschen, sondern sie ist auch kein kurzfristiges und vorübergehendes Phänomen mehr", so UN-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi. "Von den Betroffenen kann nicht erwartet werden, jahrelang in Ungewissheit zu leben, ohne die Chance auf eine Rückkehr und ohne Hoffnung auf eine Zukunft an ihrem Zufluchtsort." Es brauche "eine grundlegend neue und positivere Haltung gegenüber allen, die fliehen, gepaart mit einem viel entschlosseneren Bestreben, Konflikte, die jahrelang andauern, zu lösen."

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Mehr Migration durch Corona-Krise

Grandi sieht vor allem die Arbeitsplatzverluste durch die Corona-Krise als Treiber weiterer Flucht und Migration. "Ich habe keinen Zweifel, dass die wachsende Armut und der Mangel an Lösungen sowie die Fortsetzung von Konflikten zu mehr Bevölkerungsbewegungen führen wird, in den Regionen und darüber hinaus, nach Europa etwa."

Die Corona-Krise habe aber auch zu mehr internationaler Solidarität geführt, sagte der UNHCR-Chef. Aufnahmeländer hätten Flüchtlinge größtenteils in ihre Gesundheitsversorgung einbezogen. Spendenaufrufe seien erfolgreich gewesen. Das Hilfswerk habe von Unternehmen und Einzelpersonen in diesem Jahr schon 15 Prozent mehr Geld und Sachspenden erhalten als zum gleichen Zeitpunkt im vergangenen Jahr, sagte Grandi. Die jüngste Spendenkampagne zum muslimischen Fastenmonat Ramadan habe acht Millionen Dollar (rund sieben Millionen Euro) zusammengebracht. Das seien 250 Prozent mehr als 2019.

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller sprach von einer dramatischen Lage gerade vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie. "Für viele Flüchtlinge ist die Corona-Krise bereits eine dramatische Hungerkrise", sagte Müller den Zeitungen der Funke Mediengruppe. 80 Prozent der Flüchtlinge lebten in Regionen, wo die Ernährungslage sehr kritisch sei, wie im Jemen oder der Sahelregion. 90 Prozent der weltweiten Flüchtlinge würden aktuell von Entwicklungsländern aufgenommen. Durch Grenzschließungen könnten viele von ihnen kein sicheres Aufnahmeland erreichen - Menschenhändler profitierten "auf abscheuliche Weise" davon. Auch in den Flüchtlingslagern seien die Zustände mit Blick auf den Seuchenschutz katastrophal.

kle/wdi (kna, afp, dpa, rtr)