UN prangern Syrien wegen Folter an
28. November 2011"Wir haben belastbare Belege dafür, dass Sicherheitskräfte und die syrische Armee Verbrechen gegen die Menschlichkeit in weiten Teilen Syriens zu verantworten haben", sagte der Vorsitzende der Kommission, Paulo Sérgio Pinheiro, bei der Vorlage des Reports am Montag (28.11.201) in Genf.
"Das Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen schließt aus, dass diese Vorfälle ohne Wissen der höchsten staatlichen Autoritäten stattgefunden haben", so der aus Brasilien stammende Menschenrechtsexperte.
Er forderte die Regierung von Staatschef Baschar al-Assad zu einem sofortigen Ende der Gewalt auf und verlangte "unverzüglich" und "problemlos" Zugang nach Syrien zu erhalten.
Interviews von mehr als 200 Zeugen
Die Kommission, deren Bericht dem UN-Menschenrechtsrat übergeben wurde, war unter anderem auf Druck Deutschlands eingerichtet worden. Sie hatte zwischen August und November 223 Opfer und Zeugen außerhalb des Landes befragt. Eine Einreise in das arabische Land war der dreiköpfigen Kommission von der Regierung in Damaskus verboten worden.
In ihrem Bericht werfen die Menschenrechtsexperten den Sicherheitskräften unter anderem gezielte Tötungen, schwerwiegende Folter, den gezielten Einsatz sexueller Gewalt gegen Männer und Kinder und die Verschleppung von Zivilisten vor.
"Wir hatten den klaren Befehl zu töten"
Zu den Befragten gehörten Überläufer, die nach eigenen Angaben als Mitglieder der Sicherheitskräfte zur Niederschlagung von Protesten eingesetzt waren. Sie berichteten von klaren Befehlen "zu schießen und zu töten", heißt es in dem Dokument.
Mehrere Deserteure berichteten, dass Kameraden exekutiert worden seien, weil sie sich weigerten, auf Zivilisten zu schießen. In der Ortschaft Sayda, hieß es weiter, seien sogar Kinder zu Tode gefoltert worden - unter ihnen ein 14- und 13-Jähriger. "Nach unseren Schätzungen sind zwischen März und November mindestens 256 Kinder getötet worden", sagte Pinheiro.
Keine Rücksicht auf Kinder
Ein weiterer Befragter wird mit Angaben über ein Massaker unter friedlichen Demonstranten in der Ortschaft Telbisa im Mai zitiert: "Die Demonstranten forderten Freiheit. Sie trugen Olivenzweige und marschierten mit ihren Kindern. Wir hatten Befehl, die Menge aufzulösen oder jeden zu eliminieren, auch Kinder. (...) Wir benutzten Maschinengewehre und andere Waffen. Viele Menschen lagen am Boden, verletzt oder getötet."
Weiter heißt es in dem Report: "Mehrere Zeugen berichteten von sexueller Folter an männlichen Gefangenen." Dazu hätten "Schläge auf die Genitalien, erzwungener Oralsex, Elektroschocks und Verbrennungen mit Zigaretten im After" gehört.
Tausende im Gefängnis
Nach Überzeugung der Kommission befinden sich immer noch Tausende Syrer, die als Sympathisanten der Opposition verhaftet wurden, an unbekannten Orten in Haft. Bei den 1700 mutmaßlichen Oppositionellen, die die Regierung auf Druck der Arabischen Liga Anfang November freigelassen hatte, handelte es sich demnach nur um einen Teil der Verhafteten.
Nach Schätzungen der Kommission sind etwa drei Millionen Syrer direkt von den Unruhen im Land betroffen. Viele seien vertrieben worden oder über die Grenze ins Ausland geflohen. Seit März sollen bereits mehr als 3500 Menschen ums Leben gekommen sein.
Arabische Liga verhängt Sanktionen
Um den Druck auf das Regime Assads zu erhöhen, hatte die Arabische Liga am Sonntag einschneidende Wirtschaftssanktionen verhängt. Unter anderem sollen die Handelsbeziehungen mit der syrischen Führung auf Eis gelegt und Konten der Regierung eingefroren werden. Zudem werden Reiseverbote verhängt und die syrische Zentralbank vom Kapitalverkehr mit den arabischen Nachbarn abgeschnitten.
Die Regierung in Damaskus reagierte scharf auf die Haltung der arabischen Staaten. Außenminister Walid al Moallem sprach vor Journalisten von einer "wirtschaftlichen Kriegserklärung", durch die der Weg zu einer Lösung der Krise versperrt werde.
Anhänger Assads protestieren
"Gestern, als sie die Entscheidung getroffen haben, haben sie diese Möglichkeit unterbunden", kritisierte er die Arabische Liga. Aus Protest gegen die Strafmaßnahmen und zur Unterstützung Assads gingen landesweit Zehntausende auf die Straße.
Derweil will Russland im Frühjahr eine Flotte von Kriegsschiffen, angeführt von einem Flugzeugträger, in den syrischen Hafen Tartus entsenden. Ein lange geplantes Vorhaben, das nichts mit den Unruhen zu tun habe, beteuerte ein Sprecher in Moskau.
Russland schickt Flugzeugträger
Russland ist ein enger Verbündeter, der bereits seit der Sowjetzeit einen Marinestützpunkt in Tartus hat. Zusammen mit China hatte Russland erst kürzlich eine Resolution des Weltsicherheitsrats blockiert, in der die Gewalt des Regimes in Damaskus hätte verurteilt werden sollen.
Autorin: Eleonore Uhlich (dpa,afp,epd,dapd)
Redaktion: Sabine Faber