1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Katastrophe

UN befürchten mehr als 50.000 Erdbebentote

12. Februar 2023

Nach dem verheerenden Erdbeben in der Türkei und Syrien ist die Zahl der bestätigten Todesopfer auf mehr als 30.000 gestiegen. Experten befürchten noch Tausende Tote unter den Trümmern.

https://p.dw.com/p/4NNfR
Türkei Kahramanmaras | Rettungsarbeiten nach Erdbeben
Zerstörte Gebäude und Rettungsarbeiten in der türkischen Stadt KahramanmarasBild: Mehmet Kaman/AA/picture alliance

Fast eine Woche nach der Erdbeben-Katastrophe im türkisch-syrischen Grenzgebiet ist die Zahl der Toten auf etwa 33.000 gestiegen. Alleine in der Türkei liege die Zahl bei fast 30.000, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Sonntag unter Berufung auf die Katastrophenschutzbehörde Afad. Aus Syrien wurden zuletzt mehr als 3500 Tote gemeldet. UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths sagte bei einem Besuch im Erdbebengebiet in der Türkei im Sender Sky News, die Zahl der Toten werde sich sicherlich noch "verdoppeln oder mehr".

Türkei und Syrien | Unterkunft für Überlebende des Erdbebens in Kharamanmaras
Zahlreiche Überlebende und Retter müssen jetzt versorgt werden - hier im türkischen KharamanmarasBild: Kamran Jebreili/AP Photo/picture alliance

WHO: 870.000 Menschen müssen versorgt werden

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht mittlerweile davon aus, dass 26 Millionen Menschen in der Türkei und Syrien von der Katastrophe betroffen sein könnten, darunter etwa fünf Millionen Menschen, die ohnehin als besonders schutzbedürftig gelten. Mindestens 870.000 Menschen in beiden Ländern müssen nach Angaben der Vereinten Nationen mit warmen Mahlzeiten versorgt werden, bis zu 5,3 Millionen Menschen könnten allein in Syrien obdachlos geworden sein.

Mit Blick auf die Lage in Syrien schrieb UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths am Sonntag im Kurzbotschaftendienst Twitter von internationalem "Versagen". "Wir haben die Menschen im Nordwesten Syriens bisher im Stich gelassen", schrieb Griffiths weiter. Es sei seine Pflicht, dies schnellstmöglich zu verbessern.

Ein UN-Konvoi aus zehn Lastwagen mit Hilfsgütern hatte Syrien am Donnerstag über die Türkei erreicht. Griffiths erklärte aber, es sei noch viel mehr Hilfe nötig.

"Bald werden die Such- und Rettungskräfte den humanitären Organisationen weichen, deren Aufgabe es ist, sich in den kommenden Monaten um die außerordentliche Zahl an Betroffenen zu kümmern", sagt Griffiths in einem Twittervideo.

Vereinzelt werden Überlebende gerettet

Vereinzelt finden die Retter immer noch Überlebende in den Trümmern. So ist sechs Tage nach dem verheerenden Erdbeben ein sieben Monate altes Baby in der Südosttürkei aus den Ruinen gerettet worden. Die Helfer konnten den Jungen in der Provinz Hatay nach 140 Stunden lebend aus den Trümmern bergen, wie der Staatssender TRT berichtete. Sie hätten das Kind weinen gehört und seien so auf es aufmerksam geworden. Ein 35-Jähriger wurde nach Angaben des Senders in derselben Provinz am Sonntagmorgen nach 149 Stunden unter Trümmern gerettet.

Türkei Erdbeben Rettungsarbeiten Kahramanmaras
Der Syrer Muhammed Habib wird in Kahramanmaras aus den Trümmern gerettet, 140 Stunden nach dem BebenBild: Serhat Zafer/AA/picture alliance

Viele Menschen verloren ihr Zuhause: Nach Angaben des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan suchten inzwischen mehr als 1,5 Millionen in Zelten, Hotels oder öffentlichen Notunterkünften Schutz.

Menschenrechtler besorgt über mutmaßliche Misshandlungen       

Die Türkei-Expertin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) ist besorgt angesichts von Berichten über mutmaßliche Misshandlungen im Erdbebengebiet. "Es kursieren viele schockierende Bilder von Polizisten und Zivilisten, die Personen verprügeln und brutal behandeln, die nach dem Beben Gebäude geplündert haben sollen", schrieb HRW-Vertreterin Emma Sinclair-Webb am Sonntag auf Twitter. Innen- und Justizministerium hätten die Pflicht, sowohl mutmaßliche Diebe festzunehmen, als auch
solche, die Menschen verprügelten.

Die Anwaltskammer von Diyarbakir schrieb auf Twitter, Berichte über solche Misshandlungen nähmen besorgniserregende Ausmaße an. Es müssten rechtliche Schritte eingeleitet werden. Zuvor waren nicht verifizierte Videos in den sozialen Medien aufgetaucht, die zeigen sollen, wie mutmaßliche Plünderer geschlagen werden.

131 Haftbefehle erlassen

Der türkische Vize-Präsident Fuat Oktay sagte laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu, die Staatsanwaltschaften hätten auf Anweisung des Justizministeriums in zehn Provinzen, die von den Erdbeben betroffen waren, Abteilungen für die Untersuchung von Verbrechen im Zusammenhang mit den Erdbeben eingerichtet. Ermittelt worden seien 131 Menschen, die verantwortlich für Gebäude seien, die zusammengestürzt seien. Einer sei verhaftet worden. Gegen 113 weitere sei Haftbefehl erlassen worden.

Türkei Erdbeben Rettungsarbeiten Adiyaman
Auch im türkischen Adiyaman sind zahlreiche Gebäude eingestürztBild: Aytac Unal/AA/picture alliance

Der türkische Städteminister Murat Kurum ergänzte, mittlerweile seien knapp 172.000 Gebäude in zehn Provinzen überprüft worden. Festgestellt worden sei, dass rund 25.000 schwer beschädigt worden seien oder dringend abgerissen werden müssten.

Seuchengefahr wächst

Unterdessen wächst in den betroffenen Erdbebenregionen in Syrien und der Türkei auch die Gefahr von Krankheiten. "In den Regionen, wo Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, drohen irgendwann Seuchen", sagte Thomas Geiner, Mediziner und Teil des Teams der Katastrophenhelfer vom Verein Navis. "Die Kunst der nächsten Tage wird es sein, Hilfe dorthin zu bringen, wo sie benötigt wird."

Türkei Adiyaman | Rettungsarbeiten nach Erdbeben
Rettungskräfte in der türkischen Stadt Adiyaman im EinsatzBild: Ozkan Bilgin/AA/picture alliance

Bei der Größe der Region sei es aber so gut wie unmöglich, überall die nötige Infrastruktur bereitzustellen. Die betroffenen Gebiete sind flächenmäßig größer als Deutschland. Durch die vielen ungeborgenen Leichen könne Wasser verunreinigt werden. Vielerorts haben Leute zudem keinen Zugang zu irgendeiner Art von Toiletten. Auch dadurch könnten Keime in das Grundwasser gelangen.

Geiner sagte, die Situation vor Ort erinnere ihn an die in Haiti nach dem Erdbeben 2010. In der Region sehe man alles an Verletzungen, was man sich vorstellen könne. Es brauche alles an möglicher Hilfe. Die Gesundheitsinfrastruktur ist stark beschädigt.

hf/uh/nob/sti (afp, dpa, rtr)