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Umstrittener Hoffnungsträger

Sarah Mersch16. Dezember 2013

Nach mehr als zwei Monaten Verhandlungen hat Tunesien einen neuen Premierminister. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg aus der Krise - doch so richtig überzeugt ist die politische Landschaft noch nicht.

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Neuer Premierminister von Tunesien Mehdi Jomaa (Foto: AP)
Bild: picture-alliance/AP Photo

Die Erleichterung war zunächst groß, als die Vermittler des Nationalen Dialogs am späten Samstagabend (14.12.2013) vor die Presse traten und verkündeten, dass endlich ein Konsenskandidat gefunden sei. Das wochenlange Tauziehen hat ein Ende: Mehdi Jomaa soll es richten. Der 51-jährige parteilose Ingenieur, der seit März Industrieminister ist, wird neuer Regierungschef. Damit ist eine wichtige Hürde im Nationalen Dialog genannten Krisenfahrplan genommen, um Bewegung in den monatelang andauernden Stillstand zu bringen. Rached Ghannouchi, Vorsitzender der stärksten Regierungspartei, zeigte sich optimistisch, dass Tunesien mit Jomaa "auf dem richtigen Weg" ist.

In den kommenden drei Wochen, so sieht es der Fahrplan der Vermittler vor, soll Jomaa eine unabhängige Expertenregierung bilden, die Verfassung soll verabschiedet, die Wahlbehörde gebildet und ein Wahltermin festgesetzt werden - noch vor der Sommerpause 2014 soll ein reguläres Parlament die ständig wechselnden Übergangsregierungen ablösen. Der politische Neuling Jomaa wird also nicht lange im Amt bleiben, wenn alles glatt geht.

Ein Quereinsteiger als Premierminister

Mehdi Jomaa ist politisch ein relativ unbeschriebenes Blatt. Er gilt als prinzipientreuer Macher, der eigentlich eher im Hintergrund agiert. Von Ennahdhas kleinem Koalitionspartner Ettakatol wurde der Ingenieur im März fürs Industrieministerium vorgeschlagen. Vorher war er in der Privatwirtschaft bei einem internationalen Zulieferer für Luftfahrttechnik tätig. Seit er nun kurzfristig zum neuen Premierminister erkoren wurde, hat sich Jomaa nur auf Facebook zu seinem neuen Amt geäußert. Er sei unabhängig und zu Gesprächen mit allen Seiten offen. Bereits in einer Woche wolle er ein Kabinett aus vor allem jungen Leuten vorstellen, schrieb er auf seiner Fan-Seite. Letzte Woche bezeichnete er sich bei einem Treffen mit französischen Geschäftsleuten noch als "Eindringling in der politischen Szene". Das sei ein Nebeneffekt von Revolutionen. "Wir mischen die Klasse der Herrschenden gerade ein bisschen auf. Geben Sie mir Zeit, dann werde ich meine Erfahrungen machen und sie mit Ihnen teilen."

Proteste gegen die islamistische Regierungspartei Ennahda (Archivfoto: Reuters)
Immer wieder gab es zuletzt Proteste gegen die islamistische Regierungspartei EnnahdaBild: Reuters

Zeit hat er jetzt keine mehr, denn auf Mehdi Jomaa lastet enormer Druck. Ein Teil der Opposition hat Jomaa zwar zähneknirschend akzeptiert, um sich nicht vorwerfen zu lassen, für das Scheitern des Dialogs verantwortlich zu sein. Doch glücklich sind sie mit dem Ergebnis nicht. Hamma Hammami, Vorsitzender der linken Volksfront, schimpft in den tunesischen Medien, dass der Neue eigentlich ein Alter sei. "Mehdi Jomaa ist Mitglied der aktuellen Regierung. Selbst wenn er bei Ennahdha keinen Mitgliedsausweis hat, ist er doch ein Mitglied der Regierung von Ennahdha und trägt daher Verantwortung für ihre Politik." Dies sei ein Ding der Unmöglichkeit, wenn man doch eine unabhängige Expertenregierung bilden solle.

Skeptische Opposition

Wie Hammami machen die meisten Oppositionsparteien vor allem Ennahdha für die andauernde politische Krise in Tunesien verantwortlich. Kritik an ihrer mangelhaften Wirtschafts- und Sicherheitspolitik mischt sich dabei oft mit Kritik an der islamistischen Ideologie der Partei. Sie sei zu nachsichtig mit radikal religiösen Kräfte umgegangen und trage damit eine zumindest moralische Verantwortung für die Morde an den zwei linken Oppositionspolitikern Chokri Belaid und Mohamed Brahmi, die auf das Konto von radikalen Salafisten gehen sollen und in Tunesien zu schweren politischen Verwerfungen geführt haben.

Zwar hatte die Regierung nach zähen Verhandlungen zugestimmt, Konsequenzen aus der Krise zu ziehen und Platz für eine parteilose Expertenregierung zu machen, doch die Opposition traut dem Frieden noch nicht. Issam Chebbi von den bürgerlichen Republikanern ist mit dem Ergebnis des ersten Schritts des Nationalen Dialogs wie viele seiner Oppositionskollegen gar nicht einverstanden. "Dieser zukünftige Ministerpräsident repräsentiert uns nicht, wir waren mit seiner Wahl nicht einverstanden und sie stellt keinen nationalen Konsens dar." Jomaa wird nun in den kommenden Wochen beweisen müssen, dass er nicht nur eine Marionette von Ennahdha ist, sondern dass er tatsächlich bereit ist, das Land möglichst schnell zu fairen und freien Wahlen zu führen und damit die immer wiederkehrenden Debatten über die politische Legitimität der Regierung zu beenden.