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Ukraine: Holocaust-Mahnmale geschändet

Roman Goncharenko
24. September 2019

In der Ukraine ist es erneut zu Schändungen von Holocaust-Mahnmalen gekommen. Über das Motiv der Täter ist noch nichts bekannt, doch es könnten auch Ressentiments gegen Präsident Wolodymyr Selenskyj eine Rolle spielen.

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Seit 1991 erinnert ein Mahnmal an die über 54.000 Opfer des Massakers in Bohdaniwka
Seit 1991 erinnert ein Mahnmal an die über 54.000 Opfer des Massakers in BohdaniwkaBild: picture-alliance/akg-images

Schock und Scham - eine Woche nachdem im südukrainischen Dorf Bohdaniwka (Bogdanovka) ein Holocaust-Mahnmal mit Hakenkreuzen beschmiert wurde, beschäftigt der Vorfall viele Bewohner. Bei einer Gedenkveranstaltung am Sonntag, bei der an die Holocaust-Opfer und diejenigen, die Juden vor dem Tod gerettet hatten erinnert wurde, habe man die Tat verurteilt, schrieb eine Teilnehmerin auf Facebook.

"Die Dorfbewohner sind schockiert und sagen, es hätte keiner von ihnen sein können, denn sie haben großen Respekt vor diesem Ort", sagte Anatoly Podolsky, Leiter des Ukrainischen Zentrums für Holocaust-Studien in Kiew, in einem DW-Gespräch. Auch Boris Zabarko, ukrainischer Historiker, Publizist und Vorsitzender des Vereins der Ghetto-Überlebenden sieht das so: "Es leben wunderbare Menschen in Bohdaniwka, die sich immer liebevoll um das Mahnmal gekümmert haben", sagt der 83-Jährige der DW. "Für mich ist es beschämend und bedauerlich, dass in meinem Land solche schrecklichen antisemitischen Vorfälle passieren." Er geht davon aus, dass jemand absichtlich in das Dorf gekommen sei, um diese Tat zu begehen.

Seit 1991 erinnert ein Mahnmal an die über 54.000 Opfer des Massakers in Bohdaniwka
Seit 1991 erinnert ein Mahnmal an die über 54.000 Opfer des Massakers in BohdaniwkaBild: picture-alliance/akg-images

Hakenkreuze und Drohung an Selenskyj  

Bohdaniwka liegt am südlichen Bug im heutigen Gebiet Mykolajiw, rund 230 Kilometer nördlich der Schwarzmeermetropole Odessa. Nach dem Überfall Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion war das Gebiet Teil des Territoriums unter rumänischer Besatzungsherrschaft. Im Herbst 1941 waren in Bohdaniwka mehr als 54.000 Juden aus Bessarabien und Odessa in einem Lager interniert. Die meisten wurden im Dezember 1941 am Rande einer Böschung exekutiert. Manche vergleichen es mit dem Massaker von Babyn Jar in Kiew, allerdings ist Bohdaniwka nicht so bekannt. Seit 1991 erinnert ein Mahnmal an die Opfer.

Unbekannte haben nun Hakenkreuze auf die Steine gesprüht und Drohungen an einige prominente ukrainische Juden, darunter den Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, hinterlassen. Sollte dieser seine Bodenreform umsetzen, werde es "einen zweiten Holocaust" geben, heißt es in der auf einem DIN-A4-Blatt gedruckten Botschaft. Gemeint sind Pläne des neuen Präsidenten, das bisherige Moratorium auf Kauf- und Verkauf landwirtschaftlicher Flächen aufzuheben. Selenskyj gilt als Anhänger einer Bodenprivatisierung. Derzeit gilt ein Moratorium darauf, dass schon bis Jahresende fallen könnte. Die Privatisierung von Grund und Boden fürchten viele Ukrainer als nächste Etappe des Ausverkaufs.

War es eine Provokation? 

Es war bereits die dritte Schändung eines Holocaust-Mahnmals in der Ukraine innerhalb weniger Wochen. Der stellvertretender Außenminister sowie der israelische Botschafter haben die Tat verurteilt und Aufklärung gefordert. Auch Michael Tkatsch, Vorsitzender der Vereinten jüdischen Gemeinde in der Ukraine, hat auf DW-Nachfrage die Tat verurteilt. Er kritisierte jedoch, dass nur die Mahnmal-Schändung in Bohdaniwka große mediale Aufmerksamkeit und nicht etwa der vorherige Vorfall im gleichen Gebiet bekommen habe. "Der Kampf gegen Antisemitismus muss systematisch geführt werden", so Tkatsch. Generell sei nach Angaben seiner Organisation "das Niveau des Antisemitismus" in der Ukraine 2019 gesunken. 

Ermordete Juden in der Ukraine: Infografik

Noch ist nicht klar, welche Motive hinter der Tat in Bohdaniwka stecken könnten und ob es eine Provokation war, zum Beispiel um antisemitische Stimmung gegen den immer noch sehr beliebten neuen Präsidenten Selenskyj zu verbreiten. "Es könnte alles sein, auch eine Provokation, allerdings ist es kein Einzelfall", sagt Boris Zabarko. Es habe in den letzten fünf bis sieben Jahren immer wieder Schändungen von Holocaust-Mahnmalen in diversen Landesteilen gegeben. "Dies kann sowohl ein genuiner Ausdruck marginaler ukrainischer radikal antisemitischer Tendenz als auch eine gezielte Provokation sein", meint der in Kiew lebende Politologe Andreas Umland, Experte für Rechtsextremismus in der Ukraine. "Womöglich ist es einfach eine Aktion von Hooligans. Die Strafen für derartige Verbrechen sind in der Ukraine allerdings relativ hoch und können bis zu fünf Jahre Freiheitsentzug nach sich ziehen. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass es sich hierbei um eine gezielte Aktion eines größeren politischen Akteurs handelt."

Neue Gedenkstätten eingeweiht

Anatoly Podolskyj glaubt weder an eine Tendenz, noch an eine Gefahr für jüdische Gemeinde in der Ukraine. Im Gegenteil - es gebe "eine positive Tendenz" in die Gegenrichtung. Fast gleichzeitig mit zwei Fällen von Schändungen wurden vom 16. bis zum 19. September insgesamt neun neue Holocaust-Gedenkstätten in der Ukraine eingeweiht. Das Ganze ist Teil des internationalen Projekts "Erinnerung bewahren", das unter anderem vom Ukrainischen Zentrum für Holocaust-Studien und der Bundesregierung mitgetragen wird. Die "modernen und rührenden Gedenkstätten" seien "eine gute Antwort an alle Plünderer", die das Image der Ukraine beschädigen möchten, so Podolsky.

Die Überlebende von Babyn Jar