Droht der dritte Maidan?
2. Mai 2014Erneut führt die ukrainische Regierung einen Militäreinsatz gegen prorussische Aktivisten in der ostukrainischen Stadt Slowjansk durch. Es ist bereits der dritte Versuch seit Mitte April, die Lage in den ostukrainischen Provinzen Donezk und Luhansk wieder unter Kontrolle zu bringen. Mehr als ein Dutzend Städte wurden inzwischen von bewaffneten Anhängern der selbst ernannten "Donezker Volksrepublik" eingenommen, Verwaltungsgebäude besetzt und Waffendepots der Polizei geplündert.
Die Separatisten haben Slowjansk dabei zu einer Hochburg ausgebaut. Sie wollen am 11. Mai in mehreren Städten der Ostukraine ein von Kiew nicht anerkanntes Referendum über mehr Autonomie oder einen Anschluss an Russland durchführen. Die ukrainische Regierung glaubt, unter den maskierten Kämpfern seien russische Spezialeinheiten. Russland weist diese Vorwürfe zurück.
Wachsende Kritik an der Regierung
Die Regierung in Kiew befinde sich in einem "sehr schwierigen Dilemma", sagte Steven Pifer, ehemaliger US-Botschafter in der Ukraine, der Deutschen Welle. Heute arbeitet Pifer für die Think Tank Brookings Institution in Washington. "Ein Gewalteinsatz könnte eine militärische Intervention Russlands herbeirufen", meint Pifer. Unternehme die Regierung aber nichts, könnte sie die Ostukraine verlieren.
Der Armeeeinsatz in Slowjansk sei aber auch "eine direkte Folge der scharfen öffentlichen Kritik" an der bisherigen Haltung der Regierung, glaubt der Kiewer Politik-Experte Wolodymyr Fesenko. "Sie waren gezwungen, Entschlossenheit zu demonstrieren", sagte Fesenko der DW. Interimspräsident Alexander Turtschinow räumte mittlerweile ein, die Regierung habe die Kontrolle über Teile der Ostukraine verloren. Die kritische Stimmung wird von anonymen Berichten angeheizt, wonach Spezialeinheiten bis vor kurzem keinen Befehl aus Kiew hatten, Separatisten anzugreifen. Diese Berichte wurden von der Regierung weder bestätigt noch dementiert.
Vor diesem Hintergrund werden die Forderungen nach einem Wechsel an der Staatsspitze immer lauter. In ukrainischen Medien und sozialen Netzwerken wird inzwischen über einen möglichen "dritten Maidan" diskutiert. Gemeint ist ein Volksaufstand mit großen Kundgebungen auf dem Kiewer Maidan Nesaleschnosti (Unabhängigkeitsplatz), der 2004 und zuletzt im Winter 2013/14 zu einem Machtwechsel geführt hatte.
Möglicher Stimmungswechsel
Bislang dominierte die Einstellung, man solle in einem "de facto Kriegszustand" die Regierung nicht kritisieren und nicht stürzen. Doch diese Stimmung könnte kippen. "Wenn in den kommenden Stunden und Tagen nichts passiert, schlage ich vor, die Herren an der Spitze als Staatsverräter zu betrachten", schrieb ein Aktivist aus dem ostukrainischen Charkiw auf Facebook. "Die Anklage wird dann das Volk auf dem Maidan erheben". Seine Statusmeldung wurde inzwischen tausendfach weitergeleitet.
Das ist eine Ansicht, die offenbar von vielen in der Ukraine vertreten wird. In den letzten Tagen gab es immer wieder Versuche unzufriedener Menschen, vor dem Parlament und Regierungsgebäude in Kiew zu demonstrieren. Ihre Aktionen verliefen mit nur einigen hundert Teilnehmern jedoch ziemlich erfolglos.
Zu den prominenten Anhängern eines vorzeitigen Machtwechsels in Kiew gehört auch der ehemalige Verteidigungsminister Anatoli Hryzenko. Das Parlament solle den Interimspräsidenten Turtschinow wegen seiner passiven Haltung in der Ostukraine abwählen, schrieb der Politiker in seinem Blog. Hryzenko war einst Mitglied in der Partei der ehemaligen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko, verließ jedoch ihre Fraktion nach einem Streit mit der Parteispitze.
Experte: Neuwahlen abwarten
Der Kiewer Politologe Fesenko hält allerdings Regierungskritiker wie Hryzenko für Außenseiter. Er warnt vor negativen Konsequenzen eines "dritten Maidan". "Das wäre entweder eine Farce oder der Beginn eines endgültigen Zerfalls des ukrainischen Staates", meint er.
Viele Vorwürfe gegenüber der Regierung seien zwar berechtigt, doch ein Wechsel an der Staatsspitze wäre kontraproduktiv, glaubt der Experte. Man solle die vorgezogene Präsidentenwahl am 25. Mai abwarten.