1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Ukraine aktuell: Weiter schwere Kämpfe im Osten

21. November 2022

Vor allem das Gebiet um Donezk sei hart umkämpft, sagt Präsident Selenskyj. Die heftigen Explosionen am AKW Saporischschja im Südosten bezeichnet IAEA-Chef Grossi als "Wahnsinn". Ein Überblick.

https://p.dw.com/p/4JoKu
Ukrainische Artillerie beschießt russische Stellungen in Donezk
Ukrainische Artillerie beschießt russische Stellungen in DonezkBild: LIBKOS/AP/picture alliance

 

Das Wichtigste im Überblick:

 

  • Selenskyj: Weiter schwere Kämpfe in der Ostukraine
  • Kiew: Russen bauen Stellungen östlich von Cherson aus
  • Explosionen am AKW Saporischschja - nukleare Sicherheit noch gewährleistet
  • Norwegen hilft der Ukraine beim Gaskauf
  • Deutschland sagt 32 Millionen Euro Hilfe für Moldau zu

 

Die schweren Kämpfe im Donbass im Osten der Ukraine dauern nach den Worten von Präsident Wolodymyr Selenskyj unvermindert an. Vor allem das Gebiet um Donezk sei umkämpft, sagte Selenskyj in einer Videoansprache. "Obwohl es wegen der Verschlechterung des Wetters weniger Angriffe gibt, bleibt die Zahl der russischen Artillerieüberfälle leider hoch." Auch aus dem Gebiet Luhansk gebe es Berichte von Gefechten. Allein am Sonntag seien dort von russischer Seite fast 400 Granaten abgefeuert worden, sagte Selenskyj.

Russland-Ukraine Krieg I  Donetsk
Nachladen: Ukrainische Soldaten bei Bachmut nahe der FrontBild: LIBKOS/AP/picture alliance

Auch der Generalstab der ukrainischen Streitkräfte hatte zuvor von fortgesetzten Zusammenstößen an verschiedenen Frontabschnitten im Osten des Landes berichtet. Bei Luhansk seien mehrere russische Vorstöße abgewehrt worden, hieß es.

Kiew: Russen bauen Stellungen aus und klauen Fahrräder

Nach ihrem Rückzug auf das Ostufer des Flusses Dnipro bei Cherson in der Südukraine bauen russische Soldaten dort nach Angaben aus Kiew neue Abwehrstellungen aus. Gleichzeitig seien sie etwa im Bezirk Kachowka vermehrt dazu übergegangen, Fortbewegungsmittel der Zivilbevölkerung zu stehlen, teilte der ukrainische Generalstab mit. "Sie stehlen der Bevölkerung ihre Privatautos, Motorräder und sogar Fahrräder", hieß es in der Mitteilung. Derartige Raubzüge in besetzten Gebieten seien meist Vorboten weiterer Rückzüge der Truppen.

Nicht nur Strom, auch Trinkwasser fehlt der Bevölkerung in Cherson
Nicht nur Strom, auch Trinkwasser fehlt der Bevölkerung in ChersonBild: Bernat Armangue/AP/dpa/picture alliance

Schon beim Abzug russischer Einheiten aus Isjum in der Region Charkiw im Osten der Ukraine hätten sich die Besatzer an den Fahrrädern der Bevölkerung "bedient", da ihnen der Treibstoff für ihre Fahrzeuge ausgegangen sei, hieß es weiter. Die Angaben aus den Kampfgebieten konnten nicht unabhängig überprüft werden.

Grossi: Stoppt den "Wahnsinn" in Saporischschja

Am größten Atomkraftwerk Europas spitzt sich die Lage wieder zu. Die Internationale Energiebehörde (IAEA) berichtete unter Berufung auf eigene Experten vor Ort von mehreren starken Explosionen. Die Schäden beeinträchtigten bislang nicht die nukleare Sicherheit. Russland und die Ukraine machten sich wie bei früherem Beschuss der Nuklearanlage gegenseitig dafür verantwortlich.

Wer auch immer hinter den Angriffen stecke, "es muss umgehend aufhören", forderte IAEA-Chef Rafael Grossi. "Wie ich schon oft gesagt habe: Ihr spielt mit dem Feuer!" Grossi rief dazu auf, "diesen Wahnsinn" zu stoppen.

IAEA Direktor General Rafael Grossi in Wien
Sporischschja bereitet der IAEA Sorge: "Wahnsinn", "Spiel mit dem Feuer", drastische Worte von IAEA-Chef GrossiBild: Lisa Leutner/REUTERS

Trotz des intensiven Beschusses am Wochenende ist das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja nach Einschätzung der IAEA weitgehend intakt. Es gebe keine unmittelbaren Bedenken hinsichtlich der nuklearen Sicherheit, sagte Generaldirektor Rafael Grossi nach dem Besuch eines Expertenteams vor Ort. Die vier IAEA-Fachleute hätten das größte europäische Atomkraftwerk ausführlich unter die Lupe genommen. Der Status der sechs Reaktoreinheiten sei stabil und die Unversehrtheit des abgebrannten Brennstoffs, des frischen Brennstoffs und des schwach-, mittel- und hochradioaktiven Abfalls in ihren jeweiligen Lagereinrichtungen sei bestätigt worden. Dennoch hätten die Experten verbreitete Schäden auf dem Gelände festgestellt.

Das Kernkraftwerk liegt in der von Russland für annektiert erklärten Region Saporischschja nicht weit von der Front entfernt. Im Oktober hatte der russische Präsident Wladimir Putin das AKW per Dekret unter russische Verwaltung gestellt.

Kampfpause im Winter, für Kiew keine Option

Das ukrainische Verteidigungsministerium widersprach unterdessen Spekulationen westlicher Medien und Militärvertreter, wonach im Winter an den Fronten eine Kampfpause eintreten könnte. "Wer über eine mögliche 'Pause der Feindseligkeiten' wegen der Minustemperaturen im Winter spricht, hat vermutlich noch nie im Januar ein Sonnenbad an der Südküste der Krim genommen", heißt es in einem Tweet des Ministeriums.

Russland-Ukraine Krieg I Beerdigung Vitali Kolesnik
Die Kälte macht den Ukrainern zu schaffen: Beisetzung eines gefallenen Soldaten im SchneeregenBild: Metin Aktas/AA/picture alliance

Ukraine weist russische Anschuldigungen zurück

Kiew hat Berichte über die angebliche Hinrichtung russischer Kriegsgefangener durch ukrainische Soldaten zurückgewiesen. Die ukrainischen Truppen hätten sich vielmehr gegen russische Soldaten zur Wehr gesetzt, die ihre Kapitulation nur vorgetäuscht hätten, erklärte der Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments, Dmytro Lubinez, auf Telegram. In russischen Onlinenetzwerken waren Videos aufgetaucht, die angeblich die Hinrichtung von rund einem Dutzend russischer Soldaten durch ukrainische Streitkräfte nach ihrer Kapitulation zeigten.

Das russische Verteidigungsministerium hatte nach Bekanntwerden der Videos eine Untersuchung wegen "Kriegsverbrechen" gefordert. Ein UN-Sprecher erklärte auf Anfrage der Nachrichtenagentur AFP, die Vereinten Nationen hätten "Kenntnis von den Videos", sie würden untersucht. Die UN-Mission zur Überwachung der Menschenrechte in der Ukraine hatte vor kurzem mitgeteilt, ihr lägen glaubwürdige Berichte über Folter und Misshandlungen von Kriegsgefangenen auf beiden Seiten vor.

Norwegen hilft der Ukraine beim Gaskauf

Norwegen unterstützt die Ukraine mit umgerechnet knapp 191 Millionen Euro beim Kauf von Gas für den bevorstehenden Winter. Ein entsprechendes Abkommen unterzeichnete der norwegische Finanzminister Trygve Slagsvold Vedum in Oslo. Die Unterstützung in Höhe von zwei Milliarden norwegischen Kronen soll über die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung bereitgestellt werden. "Die Ukraine hat Norwegen ausdrücklich um Unterstützung bei der Beschaffung von Erdgas in diesem Winter gebeten", sagte Vedum. "Während der Winter in der Ukraine ernsthaft naht, setzt Russland Energie als Waffe ein und zielt auf kritische Infrastrukturen, um den Widerstand der Ukraine zu brechen", erklärte Außenministerin Anniken Huitfeldt. "Russlands Handlungen sind ein schwerer Verstoß gegen das Völkerrecht und bringen die Menschen in der Ukraine in große Bedrängnis."

Norwegen | Parlamentswahlen 2021 | Kandidaten Duell
Der norwegische Finanzminister Slagsvold Vedum (Archivbild)Bild: Gorm Kallestad/NTB/AFP/Getty Images

Der ukrainische Regierungschef Denys Schmyhal bestätigte den Vorgang und teilte mit, sein Land habe derzeit 14 Milliarden Kubikmeter Erdgas in ihren Speichern, die für die Heizperiode ausreichend seien. "Zugleich werden wir angesichts der russischen Angriffe auf unsere kritische Infrastruktur zusätzliche Ressourcen akkumulieren", betonte der 47-Jährige.

WHO: Mehr als 700 Attacken auf Gesundheitsinfrastruktur in der Ukraine

Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat seit Beginn des russischen Kriegs in der Ukraine mehr als 700 Angriffe auf die dortige Gesundheitsinfrastruktur registriert. "Das ist ein Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht und die Kriegsregeln", sagte WHO-Regionaldirektor Hans Kluge in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. In der Folge seien Hunderte Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen nicht länger voll funktionsfähig, weil es an Brennstoff, Wasser und Strom mangle.

Ukraine | Zerstörtes Krankenhaus in Tschernihiw
Ein zerstörtes medizinisches Dienstleistungszentrum in Tschernihiw (Archivbild)Bild: Abdullah Unver/AA/picture alliance

"Das ist die größte Attacke auf die Gesundheitsversorgung auf europäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg", unterstrich Kluge vor allem im Hinblick auf die russischen Angriffe auf das ukrainische Energiesystem. Den Bürgern stehe ein "lebensbedrohlicher Winter" bevor, so der WHO-Regionaldirektor. Hunderttausende Häuser und Wohnungen, Schulen und Krankenhäuser seien ohne Heizung. Zehn Millionen Menschen seien ohne Strom. Das stelle mit Blick auf den kommenden Winter und Temperaturen bis zu minus 20 Grad Celsius ein dramatisches Gesundheitsrisiko dar.

Ost-Ausschuss: Russland von Sanktionen "deutlich getroffen"

Nach Ansicht des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft wirken die westlichen Sanktionen gegen Russland. Ein Wirtschaftsrückgang in diesem Jahr von vier Prozent klinge nicht nach allzu viel, sagte der Geschäftsführer des Ausschusses, Michael Harms, im deutschen Fernsehen. Aber auch im nächsten Jahr werde es einen Rückgang geben. "Russland ist schon deutlich getroffen." Die Strafmaßnahmen entfalteten ihre Wirkung mittelfristig, so Harms. "Russland leidet mehr unter den Sanktionen als die deutsche Wirtschaft." Gerade die Technologieabhängigkeit des Landes sei das "schärfste Schwert", das man habe. Es beraube Moskau mittelfristig jeder Entwicklungsperspektive.

Die Mehrheit der deutschen Wirtschaft unterstützt demzufolge die Sanktionen weiter. Auch wenn diese "auch große Auswirkungen" auf die deutsche Wirtschaft hätten, sagte Harms. Über Einzelheiten der Maßnahmen könne man sprechen, etwa die Wirkung auf den Energiemarkt hätte man "vielleicht besser berechnen können". Russland verkaufe nun etwa weniger Gas und Öl, nehme jedoch mehr ein. "Aber hinterher ist man immer klüger", erklärte Harms.

Deutschland will Polen das Raketensystem Patriot zur Verfügung stellen

"Wir haben Polen angeboten, bei der Absicherung des Luftraums zu unterstützen - mit unseren Eurofightern und mit Patriot-Luftverteidigungssystemen", sagt Verteidigungsministerin Christine Lambrecht der "Rheinischen Post". Als Konsequenz aus dem Vorfall in der vorigen Woche in Polen müsse die Luftverteidigung im NATO-Bündnis besser aufgestellt werden. Das gelte besonders für die NATO-Staaten, die direkt an Russland und die Ukraine angrenzen. Vor einigen Tagen war eine verirrte Rakete in Polen abgestürzt, dabei wurden zwei Zivilisten getötet. Das Geschoss wurde nach Angaben von NATO-Chef Jens Stoltenberg offenbar von der ukrainischen Luftabwehr abgefeuert und nicht von Russland. Bodengestützte Luftabwehrsysteme wie Patriot sind darauf ausgelegt, ankommende Raketen abzufangen.

Die polnische Regierung begrüßte das Angebot der deutschen Seite. Er habe dies mit "großer Zufriedenheit" zur Kenntnis genommen, sagte Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak am Montag. Er wolle vorschlagen, das Patriot-System in der Nähe von Polens Grenze zur Ukraine zu stationieren. 

Litauen will Kauf von Luftabwehrsystemen beschleunigen

Nach dem Einschlag einer Raketen im benachbarten Polen will Litauen seine Luftabwehr stärken. Der Nationale Sicherheitsrat des baltischen EU- und NATO-Landes beschloss, den Erwerb von Flugabwehr-Raketensystemen mittlerer Reichweite zu beschleunigen. Dies teilte ein Berater von Staatschef Gitanas Nauseda nach der Sitzung des Gremiums in Vilnius mit. Demnach sollen die Systeme bereits im kommenden Jahr angeschafft werden. Nach dem Raketeneinschlag in Polen in der vergangenen Woche müsse gemeinsam mit den Verbündeten an der Ausgestaltung des Luftverteidigungssystems der Region gearbeitet werden.

Litauen | NASAMS Luftabwehrsystem
Litauen kann bereits das Luftabwehrsystem Nasams einsetzen (Archivbild)Bild: Karolio Kavolelio fotografija/Scanpix/IMAGO

Dies sei eine Priorität bei der Vorbereitung des NATO-Gipfels 2023 in Vilnius, sagte der Berater weiter. Eine Entscheidung über den Kauf eines Waffensystems solle in naher Zukunft getroffen werden. Wichtig dabei sei, wann Litauen die Systeme frühestmöglich erhalten könne. Litauen grenzt auch an die russische Exklave Kaliningrad und an den russischen Verbündeten Belarus. Der Baltenstaat, der den Krieg in der Ukraine als direkte Gefahr für die nationale Sicherheit betrachtet, verfügt bereits über Luftverteidigungssysteme des Typs Nasams. 

Deutschland sagt 32 Millionen Euro Hilfe für Moldau zu

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hat zusätzliche deutsche Finanzhilfen in Höhe von gut 32,3 Millionen Euro für die Republik Moldau zugesagt, die besonders unter den Folgen des Ukraine-Kriegs leidet. Die Gelder sollten unter anderem für die Stärkung erneuerbarer Energien, die Förderung der Energieeffizienz und den Ausbau kommunaler Infrastruktur eingesetzt werden, hieß es bei der dritten internationalen Unterstützerkonferenz für die ehemalige Sowjetrepublik in Paris aus deutschen Delegationskreisen. Mit Blick auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin und den beginnenden Winter unterstrich die Ministerin: "Wer glaubt, Demokratien seien verwundbar, indem man Menschen frieren lässt, dem zeigen wir: Wir stehen geschlossen, solidarisch und entschlossen gegen jeden Versuch, ein Mitglied unserer europäischen Familie zu erpressen oder gefügig zu machen."

Außenministerin Annalena Baerbock betont die Geschlossenheit Europas gegen den Angriffskrieg des Kreml
Außenministerin Annalena Baerbock betont die Geschlossenheit Europas gegen den Angriffskrieg des KremlBild: Christophe Gateau/dpa/picture alliance

Baerbock nimmt an diesem Montag in Paris an der dritten Geberkonferenz für Moldau teil. Bei den beiden vorherigen Geberkonferenzen wurden jeweils etwa 600 Millionen Euro eingesammelt. Moldau ist das ärmste Land Europas. Ende Juni hatten die Staats- und Regierungschefs der EU ihm den Status eines EU-Beitrittskandidaten verliehen.

kle/qu/wa (dpa, rtr, afp)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.