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Politik

Türkei: "Ärzte für den Frieden" vor Gericht

20. Dezember 2018

"Nein zum Krieg. Frieden jetzt." Mit diesem Slogan forderten Ärzte in der Türkei das Ende der Militäroperationen in Norden Syriens. Nun sitzen sie auf der Anklagebank. Ende Dezember soll ihnen der Prozess gemacht werden.

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Mitglieder der Türkische Ärztebund (TTB) wurde ende Januar verhaftet
Mitglieder der Türkische Ärztebund (TTB) wurde ende Januar verhaftetBild: DHA

Der Einmarsch türkischer Truppen im Nord-Syrischen Afrin ist in der Türkei immer noch höchst umstritten. Öffentliche Kritik an der sogenannten "Operation Olivenzweig" wird jedoch seitens der türkischen Regierung nicht geduldet. Hunderte von türkischen Staatsbürgern, die sich kritisch zur Militäroperationen vom Januar äußerten, wurden festgenommen - unter ihnen auch viele Ärzte.

Am 24. Januar hatte der Türkische Ärztebund (TTB) eine Erklärung mit dem Titel veröffentlicht. Darin hieß es: "Wir haben geschworen, Leben zu retten. Aus diesem Grund sind wir davon überzeugt, dass es unsere primäre Aufgabe ist, Leben zu verteidigen und den Frieden zu schützen. Nein zum Krieg. Frieden, jetzt sofort."

Kurz nach der Veröffentlichung meldete sich Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan zu Wort und bezeichnete den Ärztebund als "Terroristenliebhaber". Der Innenminister zeigte die Mitglieder des Vorstands der TTB an. In der Folge nahm die Staatsanwaltschaft  die Ermittlungen gegen elf Ärzte auf und nahm sie im Oktober fest. Unter ihnen: der Vorsitzende des TTB, Rasit Tükel.

Vorsitzende der TTB, Prof. Dr. Rasit Tükel
Vorsitzende der TTB, Prof. Dr. Rasit TükelBild: DW/K. Akyol

Friedensbotschaft als Beweismittel 

In der Anklageschrift gegen sie heißt es: Die Ärzte hätten Terrorpropaganda verbreitet und das Volk zu Hass und Feindschaft angestachelt. Jetzt sind sie vorerst zwar auf freiem Fuß, am 27. Dezember soll aber die erste Anhörung in Ankara stattfinden. Zur Beweisführung gegen den Ärztebund führt die Staatsanwaltschaft Poster aus der Zeit der Gezi-Proteste mit vermeintlich herablassenden Aussagen über Erdogan an, Aufrufe zum Frieden durch den TTB, aber auch Bücher zur Kurdenproblematik und linksgerichteten Aufrufe, die bei Razzien konfisziert wurden. Sogar ein eigens von der TTB angefertigter Bericht zu Menschenrechtsverletzungen soll gegen sie verwendet werden - in welcher Form, das weiß auch einer der Anwälte der Ärzte nicht. 

Weiteres Beweismaterial in der Anklageschrift basiert zudem auf Twitter-Posts, in denen die Ärzte ihrem Wunsch nach Frieden Ausdruck verleihen. Auch die Twitter-Posts der Ärztin Hande Arpat werden als Beweismittel aufgeführt.

"Niemand kennt den Tod so gut wie wir Ärzte"

Hande Arpat ist Vorstandsmitglied des TTB. Sie arbeitet in der Gesundheitsvorsorge für Flüchtlinge. Die aggressive Haltung der Regierung, die auf die Erklärung des TTB folgte, habe alle überrascht, erzählt sie der DW. "Unser Anliegen ist ganz klar. Das Einzige was wir sagen, ist: Egal was geschieht, niemand soll sterben."

Seit dem Tag, an dem die Anklageschrift verlesen wurde, seien alle wie vor den Kopf gestoßen. Dass sie und ihre Kollegen Leben schützen, sei schon alleine aus Berufsgründen gegeben, so Arpat. Dass eine solche politische Reaktion auf ihre unpolitische Forderung folgte, sei sehr traurig. Jahrelang hat Arpat als Ärztin in der Notaufnahme gearbeitet. "Niemand kennt den Tod so gut wie wir. Durch unseren Beruf haben wir gesehen, wie junge Menschen sterben. Der Tod ist Teil unseres Berufs. Jeder Arzt versucht instinktiv, für jeden vermeidbaren Tod zu kämpfen."

„Man sucht Verbindungen zur Gülen-Bewegung"

Ziynet Özcelik ist der Anwalt der TTB. "Dieser Prozess ist die aktuelle Version eines Werkes von Franz Kafka", sagt Özcelik. "Es gibt kein Verbrechen. Die Aussagen und das Verhalten der Ärzte stehen im Einklang mit menschlichen und medizinischen Prinzipien." Dass man die elf Ärzte verurteilen will, läge daran, dass sie nicht der Regierungslinie folgten, meint der Anwalt. "Man versucht Kriegskritik als Verbrechen darzustellen", sagt Özcelik. Man habe sogar versucht herauszufinden, ob ein Verwandter eines angeklagten Arztes eventuell auch als Arzt in einem Krankenhaus arbeite, das in Verbindung mit der Gülen-Bewegung stehen, so der Anwalt. Solche Informationen sollen als Beweismittel dienen, obwohl sie nichts mit dem Fall zu tun haben.

"Medizinische Ethikregeln vor Gericht"

Doch auch weitere Ärzte werden angeklagt. Während der Ausgangssperre in der Stadt Cizre in der mehrheitlich von Kurden bewohnten Provinz Sirnak im Südosten der Türkei wollten 14 Ärzte in die Stadt fahren, um den Menschen medizinische Hilfe anzubieten. Der Krankenwagen mit diesen 14 Freiwilligen wurde von Sicherheitskräften abgefangen und an der Weiterfahrt gehindert.

Ein Jahr nach diesem Vorfall soll nun auch diesen Ärzten der Prozess gemacht werden. Der Vorwurf: Terrorpaganda. Die Ärztin Incilay Erdogan ist eine von ihnen. Der DW erklärte sie, mittlerweile würden die Menschen in der Türkei nur dafür angeklagt, wenn sie ihre Arbeit verrichten. Der gegen sie eingeleitete Prozess habe sie demzufolge nicht besonders gewundert. "Als Ärzte haben wir einfach nur unsere Arbeit getan. Wir haben uns auf den Weg gemacht, um Menschenleben zu retten. In diesem Prozess stehen die medizinischen Ethikregeln vor Gericht", sagt sie. Wenn es ein Verbrechen sei, Leben zu retten, dann würde dieses Verbrechen seit Hippokrates begangen werden. "Und dann werden wir dies auch in Zukunft weiter tun."