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Politik

Türkei: Wahlkampf mit der Todesstrafe

Hilal Köylü
30. März 2019

Seit dem Putschversuch 2016 ist die Todesstrafe in der Türkei wieder Thema. Vor den Kommunalwahlen an diesem Sonntag fordert Präsident Recep Tayyip Erdoğan, sie erneut einzuführen. Wahlkampftaktik oder ernste Absicht?

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Türkei, Istanbul: Recep Tayyip Erdogan auf einer Wahlveranstaltung
Bild: picture-alliance/AP/E. Gurel

Für Präsident Recep Tayyip Erdoğan ist es Chefsache: Die Türkei soll die Todesstrafe wieder einführen. Der Staatschef und Parteivorsitzende der regierenden AKP wiederholt das unverblümt bei zahlreichen Veranstaltungen im Kommunalwahlkampf, bei denen er im ganzen Land auftritt. Seine Anhänger skandieren bei Kundgebungen immer wieder: "Wir fordern die Todesstrafe." 

"Die Todesstrafe abzuschaffen, war ein großer Fehler!" betont auch Devlet Bahçeli, Chef der ultranationalistischen MHP. "Lasst uns die Todesstrafe im Parlament wieder einführen!" fordert die MHP, die für die Kommunalwahlen ein Wahlbündnis mit der AKP geschmiedet hat. In der Großen Türkischen Nationalversammlung, wie das Parlament in Ankara offiziell heißt, haben AKP und MHP ohnehin die Mehrheit.

Die Türkei hat die Todesstrafe vor über 15 Jahren abgeschafft. De facto wurde sie seit über 35 Jahren nicht mehr exekutiert. Doch seitdem Erdoğan an der Macht ist und die MHP ihr engster Partner, kommt das Thema immer wieder auf - ganz besonders vor Parlaments- und Kommunalwahlen und erst recht nach dem versuchten Putsch im Juli 2016. Das Land stand bei den Präsidentschaftswahlen im vergangenen Jahr kurz vor der Entscheidung, über die Todesstrafe abzustimmen. Doch irgendwie hat Erdoğan das Thema dann unter den Teppich gekehrt.

So stellt sich die Frage: Gibt es tatsächlich Bemühungen der AKP-MHP-Allianz, die Todesstrafe wieder einzuführen? Oder ist die Forderung nur eine Strategie des Staatspräsidenten, bei den Wahlen konservative Stimmen zu sammeln?

Türkei Kommunal-Wahl 2019 in Istanbul
Bündnis für die Kommunalwahlen: AKP und MHPBild: DW/A. Ekin Duran

Vertreter der AKP beteuern in einem vertraulichen Gespräch gegenüber der DW, dass der Fokus ausschließlich auf den Kommunalwahlen liege und tatsächlich keinerlei Energie darauf verwendet werde, die Todesstrafe wieder einzuführen. Derzeit seien andere Themen wichtig - zum Beispiel die schlechte Wirtschaftslage. Doch auch diese Parteimitglieder erwarten nun voller Spannung, wie ihr Parteivorsitzender sich nach den Wahlen positionieren wird.

Opposition: Erdoğan blufft

"Jedes Mal, wenn die AKP irgendwie in der Klemme sitzt, klammert sie sich gewissermaßen an den Strang. Damit verwirrt sie die Bevölkerung. Aber das ist nur Wahlkampfgeplänkel, wir nehmen das nicht ernst. Hinzu kommt, dass es aus juristischer Sicht unmöglich ist." Das sagt Murat Emir, Mitglied der größten Oppositionspartei CHP. Emir ist davon überzeugt, dass Erdoğan nur die Stimmen der nationalistischen Wählerschaft für sich gewinnen wolle. 

Die Juristin der prokurdischen Oppositionspartei HDP, Meral Danış Beştaş sieht die verbalen Angriffe des Staatspräsidenten ähnlich: "Er wärmt kalten Kaffee auf. Er will dadurch den Nationalstolz der Menschen manipulieren. Schon früher haben die Regierenden sozusagen den Strang gemeinsam zusammengeknotet. Doch die Bevölkerung durchschaut das."

Türkei vor Kommunalwahlen

Auch der Abgeordnete Lütfü Türkkan der ebenfalls nationalistischen İYİ-Partei sieht in den Äußerungen Erdoğans reine Wahlkampftaktik und prophezeit, dass der Staatspräsident nach den Kommunalwahlen dieses "Unwort" nicht mehr in den Mund nehmen werde. Für die Kommunalwahlen sind İYİ-Partei und CHP ein Wahlbündnis eingegangen. "Wenn Erdoğan eine positive Reaktion der Wählerschaft sehen würde, hätte er die Todesstrafe längst eingeführt. Jedes Thema wird ins Parlament getragen. Es ist offensichtlich, dass jeder Befehl Erdoğans wie ein Gesetz in diesem Haus angesehen und vor allem umgesetzt wird."

"Verfassungsrechtlich nicht umsetzbar"

Wie steht es also juristisch um die Todesstrafe? Verfassungsrechtler und CHP-Mitglied İbrahim Kaboğlu hält es für unmöglich, die Todesstrafe wieder einzuführen.

Türkei Istanbul Walhkampfauftritt Präsident Erdogan
Was immer die Opposition einwendet - Erdoğans Anhänger sind begeistertBild: Reuters/U. Bektas

"Selbst im Krieg, in der Mobilmachung der Streitkräfte, bei Verhängung des Kriegsrechts oder im Ausnahmezustand können Verbrechen und Strafen nicht rückwirkend geahndet werden", so Kaboğlu gegenüber der DW.

Der Verfassungsrechtler erinnert zugleich, dass die Absicht Erdoğans vor allem sei, die Drahtzieher des Putschversuches hinzurichten. Dies könne er aber nur dann machen, wenn er die Verfassung ändert und damit rückwirkend auch diese Taten mit dem Tode bestraft. Kaboğlu ergänzt, dass politisch derzeit nicht aktiv auf eine Verfassungsänderung hingearbeitet werde.

Und er spricht noch einen anderen Punkt an: Die Türkei hat die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet. Eine Wiedereinführung der Todesstrafe würde gegen sie verstoßen. "Damit würde die Türkei sämtliche Brücken nach Europa sprengen. Und das ist meiner Ansicht nach unmöglich."