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Die Turbogeneration

Bettina Stehkämper, Berlin 7. Mai 2015

Zwölf afghanische Jurastudentinnen wird in Berlin der Hof gemacht. Doch den künftigen Anwältinnen und Richterinnen wird schnell klar, dass die deutsche Hilfe ihre Grenzen hat. Von Bettina Stehkämper, Berlin.

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Studentinnen aus Mazar-i-Sharif zu Besuch in Berlin - Foto: Wolfgang Kumm (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

Nazila Hamdard klopft auf den freien Sitz im Bus neben ihr: Ich soll mich setzen. Wir waren gerade drei Stunden zusammen in der Bundesrechtsanwaltskammer in Berlin. Sie hält mir ihr Smartphone freudestrahlend entgegen und fragt mich, ob ich diese Serie auch so liebe. Ein Bollywood-Film, vermute ich völlig kenntnislos. Um auf sicheres Terrain zu kommen, frage ich sie lieber, was Hamdard denn beruflich erreichen möchte. Die 21-jährige, schmale Jurastudentin wirft den Kopf in den Nacken und lacht. Mit einer Unbändigkeit, die fast alle jungen Leute in der Welt haben, wenn sie nach ihren Träumen befragt werden, erwidert sie: "Außenministerin von Afghanistan". Eine ihrer Mitreisenden grinst: "Die afghanischen Frauen haben immer ganz große Ziele."

Nazila Hamdard - Foto: Bettina Stehkämper (DW)
Jurastudentin Hamdard: Berufsziel AußenministerinBild: DW/B. Stehkämper

Dabei sind sie schon einen weiten Weg gegangen. Sie gehören zu den 360 Frauen, von insgesamt etwa 1500 Studenten, die Rechtswissenschaften an der Balkh-Universität studieren. Seit 2009 unterstützt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) die zweitgrößte Universität Afghanistans.

Um den Frauen das Studium zu ermöglichen und ihre Chancen zu verbessern, wurde ihnen ein eigener Gebäudeteil zu Verfügung gestellt. Ein geschützter Raum, in dem sie an ihrem Erfolg basteln können. Ohne den hätten viele Eltern ihre Töchter gar nicht zur Universität gehen lassen. Sprach- und Rhetorikkurse, sowie die Unterstützung durch Netzwerke sollen den angehenden Juristinnen helfen, in die afghanische Berufswelt zu dringen, die traditionell meist von Männern besetzt ist.

Sie wollen als Juristinnen erfolgreich sein

Beim Besuch im Entwicklungsministerium beknien die jungen Frauen die Mitarbeiter dort. Sie brauchen längerfristige Praktika. Denn auch in Afghanistan wird nach Berufserfahrung gefragt. Vor allem in den Provinzen gibt es kaum Anwaltskanzleien. In ganz Afghanistan gibt es gerade einmal 2500 Anwälte. Zum Vergleich: In Deutschland sind es 163.000.

Khairnesa Qarizada - Foto: Bettina Stehkämper (DW)
Juristin Qarizada: "Lust meinen Master zu machen"Bild: DW/B. Stehkämper

Die wenigen Praktika, sagen die angehenden Juristinnen, würden an Männer vergeben. Die sehr selbstbewusste Khairnesa Qarizada, die im vergangenen Jahr ihren Abschluss gemacht hat, beklagt sich, dass ihnen niemand die Gelegenheit gebe, Berufserfahrung zu gewinnen. "Ich bin zur Schule gegangen. Da habe ich gemerkt, dass ich weiter machen will. Als ich auf der Universität war, bekam ich Lust meinen Master zu machen, um wirklich etwas für mein Land zu verändern."

Doch für den Master müsse sie den Toefl-Test machen, einen international anerkannten Englisch-Sprachtest, der für das Studium im Ausland benötigt wird. Und den könne man nur in Kabul machen. Auch wenn die jungen Frauen, die Unterstützung ihrer Familien haben: Allein lässt sie niemand nach Kabul ziehen.

Der Referatsleiter für Afghanistan im Entwicklungsministerium, Stefan Oswald, muss vor den bildungshungrigen Frauen passen: "Es gibt Dinge, die wir tun können, aber es gibt auch Dinge, die wir nicht tun können." Er verweist auf die afghanische Regierung. Die angehenden Juristinnen wechseln unbewegt schnelle Blicke. Hoffnungsfroh sieht das nicht aus.

Staatssekretär Thomas Silberhorn springt in die Bresche: In Berlin finden bis Freitag die jährlichen deutsch-afghanischen Regierungsverhandlungen statt. Silberhorn verspricht, die afghanische Regierung für die besonderen Probleme der Frauen zu sensibilisieren. Dann fragt er noch, wer den Master gern im Ausland machen möchte. Blitzschnell sind sechs Arme oben.

Afghanische Besucherinnen bei Ursula von der Leyen Foto: Eventpress Rekdal (picture-alliance)
Afghanische Besucherinnen bei Ministerin von der Leyen: Ein Beispiel, was man als Frau erreichen kannBild: picture-alliance/Eventpress Rekdal

Auch auf die Rechtsanwältin und Geschäftsführerin der Bundesrechtsanwaltskammer, Kei-Lin Ting-Winarto, prasseln die Fragen nur so nieder: Verfällt die Zulassung von Anwälten, wenn man Richter wird? Wie sind Anwälte versichert? Kann die deutsche Rechtsanwaltskammer nicht finanziell der Rechtsanwaltskammer in Masar-i-Scharif helfen? Auf die wurde erst kürzlich ein Anschlag verübt. Ting-Winarto kann aber nur ideelle Unterstützung anbieten.

Selfies mit Ursula von der Leyen und Angela Merkel

Nach Deutschland eingeladen wurden die jungen Afghaninnen von Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Einige von ihnen hat sie schon im vergangenen Jahr getroffen. Von der Leyen hat sich jetzt für die Afghaninnen Zeit genommen. Sie reden miteinander und besuchen gemeinsam das Ehrenmal für die gefallenen Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz. Von der Leyen ist ein Beispiel, was man als Frau erreichen kann - wenn nicht Toefl-Test, Korruption und eine patriarchale Gesellschaft der Karriere im Wege stehen. Jede Menge Selfies werden geschossen. Von der Leyen macht alles mit. Noch am Nachmittag zeigen sich die jungen Frauen selig gegenseitig ihre Bilder. Auch bei Kanzlerin Angela Merkel gibt es einen Foto-Termin.

Zu Hause werden die jungen Afghaninnen zeigen können, welche Wertschätzung sie in Deutschland erlebt haben. Ob das Eindruck hinterlässt? Man möchte Nazila Hamdard wünschen, dass sie einmal nach Deutschland wiederkommt: als afghanische Außenministerin.