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Tschechische Kommunisten bleiben draußen

Vladimir Müller11. April 2005

Nach einer mehrwöchigen Regierungskrise hat Tschechiens Premierminister Stanislav Gross seinen Rücktritt angekündigt. Als "Saubermann" angetreten, hatte er sich jedoch bald in Finanzaffären verwickelt.

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Starker Abgang: Premier Gross (links) und sein Nachfolger KohoutBild: AP

Gross hat seinen Abgang jedoch an Bedingungen geknüpft: Die künftige Regierung müsse erneut von der bisherigen Mitte-Links-Koalition aus Sozialdemokraten, Christdemokraten und Liberalen gebildet werden. Entsprechende Verhandlungen sind am Sonntag (10.4.2005) bereits angelaufen. Weiterhin solle die neue Regierung eindeutig pro-europäisch ausgerichtet sein. Einen Nachfolger hat Gross bereits genannt: Jan Kohout, der bisher EU-Botschafter Tschechiens in Brüssel war.

Die in Aussicht gestellte pro-europäische Regierung soll sofort Klarheit schaffen, wie die Europäische Verfassung ratifiziert werden soll. Dafür ist es höchste

Zeit. Denn das Land im Herzen Europas ist das einzige unter den 25 Mitgliedsstaaten, in dem man noch nicht weiß, ob die Entscheidung im Parlament oder aber in einer Volksabstimmung fallen wird. Die Politiker in Prag haben sich bis jetzt Zeit gelassen. Allen voran Premier Gross.

Affäre um Luxuswohnung

Schröder mit dem tschechischen Premierminister Gross in Prag
Premier Gross empfängt Bundeskanzler SchröderBild: AP

Die meisten Tschechen atmeten erleichtert auf, als bekannt wurde, dass der 35-Jährige wohl gehen wird. Vor dem Amtsantritt im Sommer 2004 warb er mit dem Slogan "Ehrlichkeit in der Politik". Doch als Mitte Januar Fragen nach der Finanzierung seiner Privatwohnung aufgekommen waren, verwickelte sich Europas jüngster Regierungschef in Widersprüche. Zugleich wurden undurchsichtige Geschäftsverbindungen seiner Ehefrau publik. Dümmliche Ausflüchte und gespielte Unwissenheit machten es noch schlimmer. Der einstige Hoffnungsträger Gross wurde als Premier für die meisten Tschechen untragbar. Das Private wurde politisch.

Nach quälend langen Wochen hat sich schließlich herausgestellt hat, dass nichts von dem, was Gross samt Gattin getan hatten, ungesetzlich war. Dennoch machte ihn sein Verhalten in der Affäre selbst bei den Koalitionspartnern unglaubwürdig. Der Regierungschef müsse abgelöst werden, dann könne man weiter zusammen regieren, verlangten die Christdemokraten und verließen die Koalition.

Minderheitsregierung vorgeschlagen

Völlig ungerührt und offensichtlich aus purer Lust am Regieren schlug Gross daraufhin ein Minderheitskabinett vor, das nur durch Duldung der Kommunistischen Partei (KP) handlungsfähig wäre. Als drittgrößte Fraktion im Prager Parlament ist die KP eine beachtliche Kraft. Der einzige Haken ist, dass sie sich sich nie von ihrer Vergangenheit der 40-jährigen Diktatur distanziert hat. Die Entwicklung seit der politischen Wende von 1989 findet sie grundsätzlich falsch. Sie wettert gegen die EU und die USA, kurz: sie ist sich treu geblieben, so treu wie keine andere ex-kommunistische Partei in Mittelosteuropa.

Kommunisten als Machtfaktor

Nur ist Tschechien - inzwischen EU- und NATO-Mitglied - anders geworden. Als die Kommunisten ganz offen Forderungen an Gross stellten, ging schließlich selbst einigen sozialdemokratischen Ministern das Licht auf: Wie sollen anstehende Reformen im Finanz-, Sozial- und Gesundheitsbereich mit Marxisten-Leninisten durchgesetzt werden? Sie verweigerten Gross die weitere Mitarbeit. Erst mit dem Rücken zur Wand gab dieser auf und kündigte seinen Rücktritt an. So müssen die Kommunisten ihre Machtphantasien vorerst aufgeben.

Ein Machtfaktor bleiben sie trotzdem. Sie gefallen sich in der Rolle des Mehrheitsbeschaffers und die knappe Sitzverteilung im Parlament - 101 zu 99 - könnte diese Gelüste noch bis zur nächsten Wahl im Sommer 2006 beflügeln. Damit sind auch die Spekulationen über das künftige Tempo tschechischer Reformpolitik nicht beigelegt. Es bleibt zu hoffen, dass die demokratischen Parteien in Tschechien die Lektion aus der Affäre Gross gelernt haben: Die, die schon einmal das Land zugrunde gerichtet haben, werden nicht mit denselben Rezepten Erfolge feiern. Zusammenarbeit mit ihnen macht unglaubwürdig.