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Politik

Tschechien nach Tornado: Feste und Fake News

Luboš Palata
27. Juli 2021

Freiwillige, Spenden und staatliche Hilfen ermöglichen eine Rückkehr zur Normalität nach dem Jahrtausendtornado in Mähren. Ein Regionalgouverneur macht der Hochwasserregion in Westdeutschland ein Hilfsangebot.

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Tschechien. Das Dorf Moravska Nova einen Monat nach dem Tornado
Das tschechische Dorf Moravska Nova einen Monat nach dem Tornado vom 24.06.2021Bild: Regionalbüro der Region Südmähren

Es ist erst einen Monat her, dass ein Tornado der höchsten Kategorie F4 in Tschechien wütete. Am 24. Juni verwüstete er sieben Gemeinden in einem 30 Kilometer breiten Streifen in Südmähren. Es war der stärkste Tornado seit fast 1000 Jahren in der Gegend - eine ähnliche Katastrophe wurde nur von dem mittelalterlichen Chronisten Kosmas von Prag in seiner "Chronica Boemorum" für das Jahr 1119 erwähnt.

Der Tornado forderte sechs Tote und mehrere hundert Verletzte, zerstörte etwa 1600 Häuser, vernichtete Hunderte Hektar Weinberge und beschädigte das einzigartige Schloss in Valtice. Auch zahlreiche Abschnitte von Straßen und Eisenbahnstrecken erlitten Schäden, darunter eine wichtige Bahnverbindung in die Slowakei. Der finanzielle Schaden überstieg 15 Milliarden Kronen (ca. 580 Millionen Euro). "Es war etwas Unglaubliches, ein Tornado hier in Südmähren", sagte der Vizepräsident der EU-Kommission und Kommissar für Klimaschutz, Frans Timmermans, der DW während eines Besuchs vor Ort. Den Tornado bezeichnete er als eine Folge des Klimawandels.

Tanz nach dem Tornado

Tschechien Das Dorf Moravská Nová einen Monat nach dem Tornado
Der südmährische Regionalgouverneuer Jan Grolich im tornadobeschädigten Zentrum von Moravska Nova am 27.07.2021Bild: Regionalbüro der Region Südmähren

Am letzten Sonntag im Juli wurde jedoch in Moravska Nova Ves, dem am stärksten vom Tornado betroffenen Dorf, getanzt und gefeiert. "Wenn ich mir das Dorf anschaue, wird es lange dauern, bis der normale Alltag wieder einkehrt, aber irgendwo müssen wir ja anfangen. Selbst ein Tornado kann uns das Fest nicht verderben", sagte Kvetoslav Hrebacka, der Leiter des örtlichen Vereins Slovacy kruzek, im Gespräch mit dem Tschechischen Rundfunk. Auf dem Platz in der Nähe des Gemeindeamts, wo das traditionelle Sankt-Jakobs-Fest stattfand, wurde in bunten mährischen Trachten getanzt und gesungen. Normalerweise dauert das Fest vier ganze Tage, doch dieses Jahr mussten tornadobedingt der Sonntagnachmittag und -abend ausreichen. In dem Dorf mit 2600 Einwohnern mussten mehr als drei Dutzend Häuser abgerissen werden. Weitere 360 Häuser wurden durch den Tornado schwer beschädigt, darunter die örtliche Kirche, die Kneipe und das Rathaus. 

Freiwillige Helfer und Millionen vom Staat

Wie in anderen Dörfern wurde auch in Moravska Nova Ves eine Menge Arbeit geleistet. Nicht reparierbare Häuser wurden bewacht und die Trümmer entfernt, viele Häuser, die ihr Dach verloren hatten, bekamen zumindest provisorische neue Dächer. Überall halfen Freiwillige auch bei der Wiederherstellung von Weinbergen, denn Südmähren ist eines der wenigen Weinanbaugebiete Tschechiens. Hunderte von Tschechen unterstützten die lokalen Winzer auch, indem sie deren Weinvorräte aufkauften.

Das Dorf Moravska Nova einen Monat nach dem Tornado
Jan Grolich im Zentrum von Moravska Nova einen Monat nach dem TornadoBild: Regionalbüro der Region Südmähren

"Die Feuerwehrleute, die in großer Zahl gekommen sind, mit großem Engagement arbeiten und mit der notwendigen Ausrüstung ausgestattet sind, haben eine enorme Arbeit bei der Schuttentsorgung geleistet. Sie sind echte Profis", sagte der südmährische Gouverneur Jan Grolich, der Anfang dieser Woche eine von vielen Reisen in das Katastrophengebiet unternahm, der DW. Dass das Gebiet, durch das der Tornado zog, heute nicht mehr nur ein Gebiet der Zerstörung, sondern auch der Hoffnung ist, sei vor allem der großen Welle der Solidarität in der gesamten Tschechischen Republik zu verdanken. "Ohne die Tausenden von Freiwilligen wären wir nie so weit gekommen. Es kamen nicht nur diejenigen, die physisch geholfen haben, sondern auch viele Unternehmen, die Ausrüstungen zur Verfügung stellten", sagte Gouverneur Grolich.

Das Dorf Moravská Nová einen Monta nach dem Tornado
Regionalgouverneur Jan Grolich auf einem wiederaufgebauten Dach in Moravska Nova einen Monat nach dem TornadoBild: Regionalbüro der Region Südmähren

Innerhalb eines Monats kamen durch humanitäre Spenden über 1,2 Milliarden Tschechische Kronen (ca. 46 Millionen Euro) zusammen. "Insbesondere aus diesen Spenden sind bereits große Summen bei den betroffenen Familien angekommen. Die Staatshilfen wurden etwas langsamer ausgezahlt, aber auch sie erreichen langsam die Menschen, die sie brauchen", so Grolich zur DW.

Die Katastrophe nach der Katastrophe

Die Finanzhilfe nach der Tornado-Katastrophe ist kompliziert. Hunderte von Menschen, deren Häuser durch den Tornado zerstört wurden, waren von Zwangsvollstreckungen betroffen. Sie sind in Tschechien ein Massenphänomen, von den rund zehn Millionen Einwohnern sind derzeit über 700.000 von Zwangsvollstreckungen betroffen. Viele Hilfsgelder hätten deshalb von Gerichtsvollziehern gepfändet werden können. "Die Notsituation wird bei der Entscheidungsfindung der Gerichtsvollzieher gebührend berücksichtigt werden", versprach jedoch zuletzt die zuständige tschechische Vollstreckungskammer über Twitter. Gelder aus Versicherungspolicen und staatliche Beihilfen sollten demnach von Vollstreckungen und Pfändungen ausgenommen sein.

"Wir werden alles tun, um diesen Menschen zu helfen, denn dies ist wirklich eine Apokalypse", sagte der tschechische Premierminister Andrej Babis nach dem Tornado Ende Juni. Der Staat sagte für zerstörte Häuser bis zu fünf Millionen Kronen (ca. 200.000 Euro) Hilfe zu, davon drei Millionen in Form eines günstigen, staatlich garantierten Kredits. Eigentümer von versicherten Immobilien erhalten ebenfalls staatliche Hilfe, wenn auch in geringerem Umfang. Den Winzern und Landwirten wurden Beihilfen in Höhe von umgerechnet 1,5 Milliarden Euro zugesagt.

Tschechien Prag Premierminister Andrej Babiš
Der tschechische Premierminister Andrej BabisBild: DW/A. M. Pedziwol

Die Verteilung der Hilfsgelder war jedoch nicht das größte Problem nach der Katastrophe. Stattdessen heizten Gerüchte und Fake News, die über Social Media verbreitet wurden, die Stimmung in den verwüsteten Dörfern an. "Es gab eine Menge Gerüchte und Fehlinformationen. Im Zeitalter der sozialen Medien sind sie sehr schwer zu bekämpfen. Es gab Berichte, dass Bürgermeister von Dörfern Geld von humanitären Konten genommen hätten und damit verschwunden wären, obwohl sie in Wirklichkeit bis zum Morgen und in der Nacht in ihren Dörfern arbeiteten. Sie erhielten dann Drohungen und wurden verleumdet. Das hat mich persönlich sehr getroffen", sagt Gouverneur Grolich der DW.

Hilfsangebot aus Mähren an Deutschland

Als die Bewohner der vom Tornado verwüsteten Dörfer in Südmähren von der Hochwasserkatastrophe im Westen Deutschlands erfuhren, boten sie sofort ihre Hilfe an.

"Wir haben eine große Menge an Dingen auf Lager, die uns die Menschen als humanitäre Hilfe geschickt haben. Eine Menge Desinfektionsmittel, Reinigungsmittel und Arzneimittel, die wir den deutschen Organisationen sofort zur Verfügung stellen können. Wenn sie Bescheid sagen, können wir alles sofort liefern", so Gouverneur Grolich.

Luboš Palata Europaredakteur der tschechischen Tageszeitung "Deník".