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Politik

Trotz Corona: Rüstungsgeschäfte florieren

6. Dezember 2021

Ein 531-Milliarden-Dollar-Geschäft. Die 100 größten Waffenschmieden der Welt haben laut einem neuen SIPRI-Bericht ihre Verkäufe sogar im Pandemie-Jahr 2020 weiter gesteigert - obwohl die Weltwirtschaft schrumpfte.

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Schweiz | Ein Lockheed Martin F-35 Lightning II Kampfjet
F-35-Kampfjet von Lockheed Martin: Waffensysteme für mehr als 58 Milliarden DollarBild: Fabrice Coffrini/AFP/Getty Images

Lockdowns, brüchig gewordene Lieferketten, verunsicherte Verbraucher: Die Corona-Pandemie hat weltweit zu massiven Einbrüchen der Wirtschaft geführt. Eine Branche allerdings zeigt sich immun gegen das Virus: die Rüstungsindustrie. Das belegt ein neuer Bericht des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI zu den 100 weltgrößten Waffenschmieden.

Alexandra Marksteiner gehört zum SIPRI-Forschungsteam. Beim Blick auf das erste Pandemiejahr 2020 habe sie besonders überrascht, "dass, obwohl die Weltwirtschaft laut IWF um 3,1 Prozent schrumpfte, die Waffenverkäufe dieser Top-100-Unternehmen dennoch zunahmen", sagte die Marksteiner der DW. SIPRI verzeichnete in dem Sektor einen Gesamtanstieg von 1,3 Prozent.

Infografik SIPRI Top 6 Export Countries DE

Die Gesamtsumme der Verkäufe dieser 100 größten Rüstungsfirmen 2020 weltweit: 531 Milliarden US-Dollar. Das ist mehr als die Wirtschaftsleistung Belgiens. Mehr als die Hälfte, nämlich 54 Prozent dieser Verkäufe verbuchten allein die 41 US-Unternehmen, die SIPRI in seinen Top 100 auflistet.

In den USA sitzen die dominierenden Unternehmen der Branche. Allein Lockheed Martin hat vergangenes Jahr Waffensysteme für mehr als 58 Milliarden Dollar verkauft. Das übertrifft das Bruttoinlandsprodukt Litauens.

Lohnender Lobbyismus

Mit dieser Größe geht auch Macht einher. Die Rüstungskonzerne nähmen gezielt politischen Einfluss, sagt Markus Bayer. Der Politikwissenschaftler beim Bonn International Center for Conflict Studies, BICC, zitiert im DW-Gespräch einen Bericht der US-Nichtregierungsorganisation Open Secrets: "US-Rüstungskonzerne gaben in den vergangenen zwei Jahrzehnten 285 Millionen Dollar für Wahlkampfspenden und 2,5 Milliarden Dollar für Lobbyaktivitäten aus."

Infografik SIPRI Waffenverkäufe Veränderungen in Prozent DE

Ausgaben, die sich für die Rüstungsriesen zu lohnen scheinen. Das US-Verteidigungsministerium habe die Waffenindustrie während der Pandemie gezielt unterstützt, hat SIPRI-Rüstungsexpertin Marksteiner beobachtet. "So wurde beispielsweise dafür gesorgt, dass die Beschäftigten von Rüstungsunternehmen weitgehend von Anweisungen, zu Hause zu bleiben, ausgenommen wurden. Darüber hinaus gab es einige Aufträge, die so angelegt waren, dass die Mittel etwas früher als geplant an die Unternehmen überwiesen werden konnten, damit sie einen gewissen Puffer hatten."

Asiatische Player

Auch Simone Wisotzki hat sich über die neuen SIPRI-Zahlen gebeugt. Der Rüstungskontrollexpertin bei der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, HSFK, fiel dabei besonders auf, "dass Rüstungsunternehmen aus dem globalen Süden immer mehr an Bedeutung gewinnen." Wisotzki, verweist speziell auf Indien. Das Land taucht mit drei Unternehmen unter den Top 100 auf; ihre Verkäufe belaufen sich auf 1,2 Prozent, gleichauf mit Südkorea.

Simone Wisotzki
Expertin Wisotzki: "Rüstungsunternehmen aus dem globalen Süden gewinnen an Bedeutung"Bild: HSFK

Sehr viel mehr Waffen verlassen allerdings die Fabriken von Indiens nördlichem Nachbarn: China. Seit 2015 Jahren nimmt SIPRI chinesische Unternehmen in seinen Studien auf, trotz aller Probleme, was Transparenz angeht. Die fünf gelisteten Unternehmen profitieren von dem Modernisierungsprogramm des chinesischen Militärs. Ihre Lieferungen machen inzwischen 13 Prozent der Verkäufe der Top 100 aus.

Beim Blick auf die chinesischen Unternehmen notiert Rüstungsexpertin Marksteiner: "Diese Unternehmen schlagen aus der sogenannten militärisch-zivilen Verschmelzung Kapital". Sie verweist als Beispiel auf das größte chinesische Rüstungskonglomerat: "NORINCO hat ein Satellitensystem mitentwickelt. Mit dem verdient das Unternehmen ziemlich viel Geld und das wird sowohl für militärische als auch für zivile Zwecke genutzt."

Militarisierte Informationstechnik 

Die Grenzen zwischen zivilen und militärischen Technologien verwischten generell immer mehr, analysiert Simone Wisotzki. Und ergänzt: "Informationstechnologie lässt sich schon lange nicht mehr von Rüstungstechnik trennen". SIPRI wirft in seinem neuen Bericht eigens einen Blick auf die wachsende Rolle der Tech-Firmen im Rüstungsgeschäft.

"Will man die Rüstungsindustrie wirklich konzeptionell erfassen, darf man nicht nur über traditionelle Akteure wie Lockheed Martin sprechen", betont SIPRI-Autorin Marksteiner. Laut SIPRI haben in den vergangenen Jahren einige Silicon-Valley-Giganten wie Google, Microsoft oder Oracle ihre Einbindung ins Rüstungsgeschäft zu vertiefen versucht - und wurden mit lukrativen Aufträgen belohnt.

Als Beispiel nennt SIPRI einen Deal von Microsoft mit dem US-Verteidigungsministerium im Wert von 22 Milliarden Dollar. Dafür soll das Unternehmen der Armee eine Art Superbrille liefern, die den Soldaten in Echtzeit mit strategischen Informationen über das Schlachtfeld versorgt, genannt "Integrated Visual Augmentation System".

USA | Roboter Hund auf einer US-Luftwaffenbasis. Im Hintergrund stehen Soldaten
Roboter auf der Scott Air Force Base, Illinois: Grenze zwischen militärischer und ziviler Technologie verschwimmtBild: Shannon Moorehead/U.S. Air Force/ZUMA/picture alliance

Das Interesse des US-Militärs an Silicon Valley ist leicht erklärt. "Sie haben erkannt, dass diese Technologieunternehmen bei den neuen Technologien, sei es künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen oder Cloud Computing, über ein Know-how verfügen, das weit über das hinausgeht, was man von den traditionellen Akteuren der Rüstungsindustrie erwarten würde", so Marksteiner. Die Prognose der Rüstungsexpertin: "Möglicherweise werden einige dieser Unternehmen in die SIPRI Top 100 aufgenommen."

Russland fällt zurück

Neben Frankreich den größten Rückgang bei den Waffenverkäufen zu verzeichnen hat Russland: Die neun aufgeführten Unternehmen setzten vergangenes Jahr 6,5 Prozent weniger Waffen ab als noch 2019. Der Rückgang auf mittlerweile nur noch fünf Prozent der Gesamtverkäufe der Top 100 hat nach Ansicht des BICC-Experten Bayer direkt mit dem Aufbau eigener Waffenfabriken in Indien und China zu tun. Beide Länder gehörten früher zu den Großabnehmern russischer Rüstungsgüter.

Als Beispiel nennt Bayer Flugzeugträger. Der erste chinesische Träger basiert auf einem 1998 von der Führung in Peking gekauftem Schiff noch aus Sowjetproduktion. Er ging 2012 unter dem Namen "Liaoning" in Dienst.

Der Flugzeugträger "Warjag" aus Sowjetzeiten beim Umbau in in Dalian (China) (2011)
Aus der sowjetischen "Warjag" wird "Liaoning": Der Flugzeugträger aus Sowjetzeiten beim Umbau in China (2011)Bild: AP

Seither hat sich viel getan, sagt Bayer: "In den vergangenen 20 Jahren hat China in Bezug auf die Fähigkeiten zur Produktion von Flugzeugträgern Russland nicht nur eingeholt, sondern überholt. In dieser Zeit hat Russland keinen einzigen Flugzeugträger in Dienst gestellt. Auch Indien hat inzwischen, aufbauend auf ursprünglich sowjetischer Technologie, einen eigenen Träger entwickelt."

Wo steht Europa?

Die europäische Rüstungsindustrie hat zusammengenommen 21 Prozent der Verkäufe der Top 100 in ihren Büchern stehen. 2020 haben die 26 gelisteten Unternehmen Waffen für 109 Milliarden Dollar verkauft. Die vier rein deutschen Rüstungsfirmen waren daran mit knapp neun Milliarden beteiligt.

Dazu kommen transeuropäische Unternehmen wie Airbus, das Rüstungsgeschäfte im Wert von knapp zwölf Milliarden Euro abwickelte - fünf Prozent mehr als noch 2019. Europa setzt verstärkt auf solche Gemeinschaftsunternehmen.

Markus Bayer führt aus, "Europa versucht inzwischen auf politischem Wege Kooperationen wie jene zur Entwicklung eines 'Next Generation Weapon System', des 'Future Combat Air System' oder des 'Main Ground Combat System' zu forcieren, um darüber die hohen Entwicklungskosten für solche neuen Systeme schultern zu können".

Von der Kostenseite her seien solche Gemeinschaftsproduktionen sicherlich sinnvoll. Was die Kontrolle von Rüstungsexporten angehe, erwiesen sie sich oft als problematisch, meint Simone Wisotzki. Die HFSK-Expertin verweist auf den von Deutschland, Großbritannien, Italien und Spanien entwickelten Kampfjet Eurofighter Typhoon: "Mit dem werden gezielt auch problematische Drittstaaten beliefert wie Saudi-Arabien, das nach wie vor Krieg im Jemen führt".

Bei Gemeinschaftsproduktionen kommen die  nationalen Ausfuhrbestimmungen oft nicht zum Tragen. Von einer effektiven gemeinsamen Rüstungsexportkontrolle scheint Europa aber noch weit entfernt.

Matthias von Hein
Matthias von Hein Autor mit Fokus auf Hintergrundrecherchen zu Krisen, Konflikten und Geostrategie.@matvhein