Trillerpfeifen aus dem Sauerland
Schiedsrichter, Schaffner, Polizisten mit Signal- oder Trillerpfeife sind ein gewohntes Bild. Manche Pfeifen müssen dabei besondere Anforderungen erfüllen, einige werden sogar nach persönlichen Wünschen angefertigt.
Ein Schiedsrichter, ein Unparteiischer, ohne Trillerpfeife ist genauso undenkbar wie ein Bahnschaffner, Polizist oder Sporttrainer. Aus einem bestimmten Grund will jeder von ihnen gehört werden, am besten natürlich mit einem durchdringenden Ton. Nicht umsonst heißt diese besondere Pfeifenart „Trillerpfeife“. Das Wort „triller“ kommt aus dem Italienischen und ahmt den schrillen Ton lautmalerisch nach. Wer ihn hört, kann sich kaum vorstellen, dass bei der Entwicklung manchmal auch Konstrukteure von Orgelpfeifen mithelfen. Eine Traditionsfirma im Sauerland, einer ländlichen Region im Westen Deutschlands, ist auf Signal- und Trillerpfeifen spezialisiert: die Firma MBZ Obernahmer. Heinz Liebold, früher Verkaufsleiter der Firma, erzählt, worauf es zum Beispiel bei einer Schiedsrichterpfeife ankommt.
„Dieser Klang, der muss also unverwechselbar sein. Er muss auch den Lärm überschreiten, der auch von den Zuschauerrängen kommt.“
Bei einem Fußballspiel ist es wichtig, dass sich der Pfeifenton von der Geräuschkulisse, die von den Zuschauern erzeugt wird, deutlich unterscheidet. Die Spieler müssen sofort hören, wenn der Schiedsrichter – wie es in der Fußballsprache heißt – „etwas pfeift“. Die Sauerländer Fabrik hat eine sehr lange Tradition. Bereits im Jahr 1923 begann der Firmengründer Lübold von der Crone in der Stadt Nachrodt-Wiblingwerde mit der Produktion von Trillerpfeifen. Sie wurden anfangs nach England exportiert, wo die Polizisten, die sogenannten „Bobbys“, damit ausgestattet wurden. Sie wurden deshalb auch „Bobby-Pfeifen“ genannt. Seitdem wurden neue Modelle geschaffen und an der Weiterentwicklung schon bestehender Modelle gearbeitet. Manchmal müssen die Pfeifen bestimmte Anforderungen erfüllen – wie zum Beispiel bei der Fußballweltmeisterschaft 2010 in Südafrika. Dort musste der Lärm von Vuvuzelas übertönt werden. Diese trompetenähnlichen Blasinstrumente, die Fans bei der WM 2010 einsetzten, machen einen ohrenbetäubenden Lärm. Bei der Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine kam ein ganz neues Trillerpfeifen-Modell zum Einsatz, bei dessen Entwicklung auch Orgel- sowie Modellbauer mithalfen. Das Besondere an dieser Pfeife ist ein sogenanntes Drei-Kammer-Modell:
„Diese drei Kammern erzeugen drei verschiedene Töne. Die Luft wird also verwirbelt in diesen Kammern und kommt dann als ein – man kann man schon sagen – schrecklicher Ton wieder raus. Und das braucht man für ’n Fußballer.“
Eine Trillerpfeife besteht normalerweise aus einem einzigen Hohlraum, einer Kammer. In diesem sogenannten Resonanzraum bewegt sich eine kleine Kugel hin und her, wenn man hineinbläst. Diese Kugel kann aus dem Naturmaterial Kork oder aus Plastik sein. Der Ton entweicht über einen Schlitz an der Oberseite. Im Resonanzraum der neuen Schiedsrichterpfeife „Lübold 600“ finden sich drei unterschiedlich große Kammern. Wird nun hineingeblasen, bewegt sich die Luft in jeder Kammer ganz schnell, sie wird – wie Heinz Liebold sagt – verwirbelt. In jeder Kammer wird ein eigener Ton erzeugt, der vom menschlichen Ohr aber als ein einziger Ton wahrgenommen wird. Und der hat eine Lautstärke von rund 126 Dezibel, was etwa der Lautstärke eines Presslufthammers entspricht. Dass eine Trillerpfeife so effektiv sein kann, sorgte bei den Schiedsrichtern für einiges Erstaunen, wie sich Hans Liebold erinnert:
„Die sind vollkommen überrascht, dass man so ’ne schöne Pfeife machen kann in traditioneller Form. Und man ist auch ’n bisschen stolz, ’ne, dass man so lange genörgelt hat und gemacht hat, bis man’s richtig hinkriegt hat.“
Es gab Kritik, es wurde genörgelt, um das Ergebnis zu erhalten, das man sich vorgestellt hatte. Die Entwickler probierten lange und schafften es schließlich. Sie kriegten es hin. Für Schiedsrichter ist eine Trillerpfeife alles andere als ein normales Arbeitsgerät, sagt Hans Liebold:
„Die Chemie zwischen Schiedsrichter und Pfeife muss stimmen. Die suchen schon genau aus, was sie brauchen. Ja, manche wollen sie Hochglanz haben, manche wollen sie Matt-Ton haben, oder wir hatten’s auch noch nach Brasilien vergoldet geschickt. Jeder hat seine eigenen Vorlieben.“
Ein Schiedsrichter muss mit einer Pfeife klarkommen, die Chemie muss stimmen. Diese Redewendung wird normalerweise für die Beziehung zwischen zwei Menschen verwendet. So wie manche chemische Stoffe nicht mit anderen reagieren, kommt nicht jeder Mensch mit jedem anderen klar. Und mancher Schiedsrichter will eine persönliche Beziehung zu seiner Pfeife haben, er will dann auch ein persönliches Exemplar. Daher werden viele Schiedsrichterpfeifen in Handarbeit hergestellt. Ein Brasilianer hat sich – wie Hans Liebold berichtet – sein persönliches Exemplar sogar vergolden lassen. Aber mit solchen Einzelstücken und mit dem Verkauf normaler Plastikpfeifen nur für Schiedsrichter kann man keine großen Umsätze erzielen, wie Mitarbeiter Peter vorrechnet:
„Wir sind in der Lage bei den Kunststoffpfeifen 3000 Stück am Tag zu machen. Das jetzt mal 200 Arbeitstage, sagen wir mal ganz grob, wären 600.000 Pfeifen. Und die muss man erst mal loswerden. Und ich glaube nicht, dass es 600.000 Schiedsrichter gibt in der Bundesrepublik, die dann auch noch jedes Jahr ihre Pfeife verlieren.“
So viele Unparteiische gibt es in Deutschland nicht, um eine mögliche jährliche Gesamtproduktion verkaufen zu können, sie – wie Peter es umgangssprachlich formuliert – loszuwerden. Er schätzt die Zahl ungefähr, grob. Die Firma stellt daher Pfeifen auch für andere Berufsgruppen und Anlässe her. So bestellen schon mal Abiturienten viele bunte Plastikexemplare für ihre Abschlussfeier, auch Gefängniswärter, Bahnschaffner und Polizisten im In- und Ausland tragen die Pfeifen aus dem Sauerland um den Hals. Eins gilt aber für alle Signal- und Trillerpfeifen: Man sollte niemandem direkt ins Ohr pfeifen. Das Trommelfell könnte Schaden nehmen.