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Treten statt treffen

Oliver Samson29. Juni 2006

Überschäumende Begeisterung, tolle Stadien, die Welt zu Gast in einem entspannten Deutschland und sogar das Wetter stimmt - nur die Leistungen auf dem Platz sind nicht gerade zum Jubeln. Eine Kritik am Fußball.

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Warum der Ball, wenn's auch der Mann sein darf? Nuno Valente gegen Arjen RobbenBild: AP

Man vergisst es aus deutscher Perspektive ganz gerne: Die WM 1990 gilt als absoluter Tiefpunkt der WM-Geschichte. Noch nie fielen so wenig Tore wie in Italien, nur 2,21 pro Spiel. Und es wurde noch nie so viel gefoult: 16 Platzverweise hatte es noch nie zuvor gegeben - wie gut, dass die FIFA im Vorfeld Schienbeinschoner zwingend vorgeschrieben hatte. Und der heimliche Star des Turniers war ausgerechnet Guido Buchwald - ein biederer Abwehrspieler aus dem schwäbischen. Das Finale endete passenderweise 1:0. Das Tor fiel durch einen unberechtigten Elfmeter. Und es gab zwei Platzverweise.

Auf dem Weg zum Negativrekord

Noch acht Partien der WM 2006 sind zu spielen - sportlich muss das Fazit ernüchternd ausfallen. Das leidenschaftliche gefeierte Fußballfest könnte mit einem neuen Negativrekord enden: In den bisherigen 56 Spielen fielen im Durchschnitt gerade einmal 2,36 Tore - das ist enttäuschend. Dafür wurden schon 19 Spieler vom Platz gestellt.

Dabei sollte ja eigentlich alles ganz anders werden: Alle Welt hoffte auf offensiven Fußball. Trainer-Guru Guus Hiddink rechnete damit, dass viele Tore fallen würden. Und es fing ja auch fantastisch an: Sechs Tore im Eröffnungsspiel, so viele wie noch nie. Sechs Tore in einer Partie gab es danach aber nur noch einmal, als Argentinien die Abwehr von Serbien und Montenegro zerlegte - ausgerechnet jene Defensive, die als die stabilste von allen galt, die in der Qualifikation nur ein einziges Törchen kassiert hatte.

Die orangene Enttäuschung

Ansonsten: Viel Magerkost. Trinidad und Tobago schaffte in drei Spielen kein Tor, Angola und Togo nur eines. Man durfte von diesen WM-Neulingen vielleicht nicht mehr erwarten. Doch auch hoch gehandelte Mannschaften versagten beim Toreschießen: Die Tschechen verabschiedeten sich mit drei Treffern. Genauso selten trafen die Holländer - vielleicht die größte Enttäuschung. Schließlich gelten die Niederländer seit der WM 1974 als die Gralshüter des schönen Offensivspiels. Schließlich saß auf deren Trainerbank der einstmals beste Stürmer seiner Zeit, Marco Van Basten. Und schließlich hatte dieser Van Basten offensive Großtaten angekündigt. Was kam, war der Abgesang auf alle holländischen Tugenden. Formal hatte Holland zwar die traditionellen drei Stürmer auf dem Platz, oft genug sah es aber nach schlimmstem deutschem Rumpelfußball der Vor-Klinsmann-Ära aus. Gegen die Elfenbeinküste und gegen Argentinien mauerte sich die Mannschaft phasenweise sogar regelrecht in der eigenen Hälfte ein - in den Niederlanden ein Sakrileg.

Dass die Holländer schließlich nach der wüsten Treterei im Achtelfinale gegen Portugal mit dem Minimalergebnis von 1:0 ausschieden, passt ins Bild. Die vier Feldverweise dieser Partie sind WM-Rekord - wo nicht getroffen wird, wird wenigstens getreten. Das war schon 1990 so.

Für den besonderen Geschmack

Man muss überhaupt schon einen besonderen Fußballgeschmack haben, um das im Achtelfinale Gebotene genießen zu können. England? Fürchterlich. Fast schon bezeichnend, dass Beckham auf den Platz kotzte. Brasilien? Selbstgefällig bis Apathisch. Ukraine? Nur durch die Gnade der Auslosung überhaupt noch dabei. Portugal? Fiel mehr durch Tätlichkeiten auf. Italien? Immerhin abgezockt genug, um sich auch nach Roten Karten irgendwie durchzumogeln, und sei es mit geschundenen Elfmetern in der Nachspielzeit. Frankreich? Besitzt mit Henry und Trezeguet zwei der weltbesten Stürmer - und lässt nur einen spielen.

Fraglos: Es geht bei der WM 2006 mehr um Sicherheit, Effizienz und zugestellte Räume, als man befürchten musste. Vielleicht ist das Defensivfestival das vergiftet Erbe der Europameisterschaft 2004.Viele Mannschaften spielten dort einen fantastischen Offensivfußball. Griechenland nicht - und gewann das Turnier durch eine rätselhafte Laune des Fußballgottes.

Ausgerechnet Deutschland

Deutschland, ausgerechnet Deutschland, scheint daraus andere Lehren als die Anderen gezogen zu haben. Klinsmanns Offensivtaktik scheint tatsächlich aufzugehen. Im In- und Ausland reibt man sich die Augen, die Jubelgesänge von den Tribünen nach dem begeisternden Sieg gegen Schweden haben Recht: In der Tat, so was hat man lange nicht gesehen - Deutschland als die spielerisch vielleicht attraktivste Mannschaft des Turniers. Es gibt nur eine Elf, die genauso viele Tore erzielt hat wie Deutschland - und das ist Argentinien. Es ist ein Jammer, dass eines der beiden offensivstärksten Teams nun ausscheiden muss - und nicht beide ins Finale kommen.

Wie zum Beispiel bei der WM 1990. Das Finale endete 1:0. Durch einem unberechtigten Elfmeter. Für Deutschland.