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7. Krüppelstandpunkt und selbstbestimmtes Leben

4. Januar 2021

Für Menschen, die unseren Podcast nicht hören können, stellen wir hier ein Transkript zur Verfügung. Die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben bietet Beratung von Behinderten für Behinderte.

https://p.dw.com/p/3m7ZR

Zum Podcast geht es hier.

Moderator Matthias Klaus: Herzlich willkommen zu "Echt behindert!" Folge 7. Man glaubt es gar nicht, so viel haben wir schon.

In 1981 war das Internationale Jahr der Behinderten ausgerufen von den Vereinten Nationen. Bei der großen Eröffnungsveranstaltung tauchten auf einmal ein paar behinderte Menschen auf und besetzten die Bühne. Man konnte plötzlich Plakate sehen mit Slogans wie "Jedem Krüppel, seinen Knüppel." Bei einer anderen Veranstaltung später bekam dann noch Bundespräsident Karl Carstens von einem, dem man heute als "Aktivisten" bezeichnen würde, eine Krücke vors Bein.

Kurz: Einige Behinderte waren damals so gar nicht einverstanden mit der Art, in der sich das Jahr der Behinderten präsentierte. Die Behindertenbewegung oder wie sie sich selbst damals nannte "die Krüppelbewegung" hatte die Aufmerksamkeit der Medien. Man hat es damals sogar bis in die Tagesschau geschafft: was nicht so einfach war.

Heute geht es darum, was aus der "Krüppelbewegung" entstanden ist. Mein Name ist Matthias Klaus. Mit mir im Podcast sind gleich zwei Gäste, mit denen ich versuchen werde, die letzten 50 Jahre der deutschen Behindertenbewegung Revue passieren zu lassen. Einmal haben wir aus Bremen Horst Frehe, einen Behindertenaktivisten  der ersten Stunde. Er war damals bei den Protesten dabei.

Und Jenny Bießmann arbeitet in der ergänzenden unabhängigen Teilhabe Beratung in Berlin. Was das ist, klären wir im Laufe des Podcasts auch noch. Beide Gäste sind Teil der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben e.V. Die gibt es jetzt auch schon seit 30 Jahren.

Schönen guten Tag zusammen! Herr Frehe, Sie waren damals maßgeblich daran beteiligt, dass Behinderte sich selbst als "Krüppel" bezeichnet haben. Wie kam es dazu?

Horst Frehe: Die Entscheidungen wurden über unsere Köpfe hinweg getroffen und wir hatten überhaupt keine eigene Stimme. Dann kam noch der Slogan auf: "Irgendwie sind wir alle behindert". Und davon wollten wir uns abgrenzen. Wir haben gesagt: "Wenn die anderen sich als behindert bezeichnen, dann sind wir Krüppel." Das ist der alte Ausdruck aus dem 19. und 20. Jahrhundert, der für Leute mit körperlichen Beeinträchtigungen gewählt wurde.

Dann haben wir mit diesen provokativen Begriff eine Gruppe gründen können, die sich von den Nichtbehinderten komplett losgesagt hat und worin nur behinderte Menschen die einen eigenen Erfahrungshintergrund im Bereich Behinderung haben, vertreten waren. Wir wollten vor allem uns selbst vertreten. Das ist der entscheidende Ansatz gewesen.

Matthias Klaus: Frau Bießmann, Sie sind wie Horst Frehe, Rollstuhlfahrerin. Sie sind was jünger. Bezeichnen Sie sich selbst auch als Krüppel?

Jenny Bießmann: Nein, natürlich nicht mehr. Aber trotz allem war es damals absolut notwendig, wie Horst gerade gesagt hat, diese Unterscheidung nochmal aufzumachen und klar zu sagen, "Wir sind behindert. Wir sind Krüppel. Wir vertreten uns selbst." Ich bezeichne mich nicht so. Ich finde es auch nicht so schön, wenn andere Menschen so bezeichnet werden. Aber es gab einfach die Zeit, wo es notwendig war, um darauf aufmerksam zu machen.

Matthias Klaus: Herr Frehe, Sie hatten zusammen mit einem anderen Aktivisten Franz Christoph, den damals so genannten Krüppelstandpunkt definiert. Das kann man so nachlesen. Lässt sich das in Worte fassen? Was ist der Krüppelstandpunkt?

Horst Frehe: Dazu gehört, dass man sich zunächst über seine eigenen Angepasstheiten, die Normen nicht Behinderter bewusst wird, dass man eine eigene Kultur entwickelt und dass man aus der Sicht des Verhältnisses von Nichtbehinderten und Behinderten die Welt betrachtet.
Das heißt, wir haben sehr klar überlegt, was ist im Interesse Nichtbehinderter? Was ist in unserem Interesse? Der Krüppelstandpunkt ist die radikale Hinwendung zu dem gesellschaftlichen Interesse von Menschen mit Behinderung.

Matthias Klaus: Warum war das damals nötig? Was haben Sie erlebt, das Sie zu solch radikalen Mitteln der Absonderung hat greifen lassen müssen?

Horst Frehe: Naja, wir sind in Einrichtungen aussortiert worden. Wir konnten öffentliche Verkehrsmittel nicht nutzen. Wir konnten zu Hause keine Assistenz erreichen. Wir waren am Rand der Gesellschaft. Und auch immer wieder kamen Diskussionen des Dritten Reiches hoch mit der Euthanasie-Bewegung. Wir waren Leute, die in der Gesellschaft nicht akzeptiert waren und dieses wollten wir verändern oder haben wir auch verändert. Dazu bedurfte es solch einer radikalen Abgrenzung. 

Matthias Klaus: Sie haben damals in Bremen eine Gruppe gegründet: die erste sogenannte Krüppelgruppe. Wie war das? Wer war da noch so drin? Wo hatten sie die Leute her? Es gab jetzt kein Internet - so richtig.

Horst Frehe: Wir haben angefangen mit Volkshochschulkursen, mit Leuten, die im Heim wohnten und dort massiven Diskriminierungen ausgesetzt waren. Die sind Teil der Gruppe geworden. Es waren Leute, die diese Phase hinter sich gebracht hatten und schon wieder in freier Wildbahn leben konnten. Aber es waren eben auch Leute, denen das Wichtigste zum Leben fehlte: Assistenz, Mobilität und eine eigene barrierefreie Wohnung. 

Matthias Klaus: Was haben Sie damals in den Volkshochschulkursen lernen können? Waren das auch praktische Sachen oder ging es nur um Selbstbewusstseinsfindung? 

Horst Frehe: Nein. Das Selbstverständnis zu entwickeln war Voraussetzung dafür, ganz praktische Forderungen zu stellen. Wir haben für den Fahrdienst für Behinderte zunächst gekämpft, später dann für die Umwandlung und Schaffung barrierefreier öffentlicher  Verkehrsmittel.
Wir haben ganz praktisch dafür gesorgt, dass die Leute - auch im Rahmen der Sozialhilfe - Anspruch auf persönliche Assistenz haben. Und wir haben beeinflusst, dass auch barrierefreie Wohnungen gebaut und auch angemietet wurden.

Matthias Klaus: Von welchen Jahren reden wir jetzt ungefähr?

Horst Frehe: Wir reden von den Jahren Ende der 1970er: 1979 bis in die 90er.

Matthias Klaus: Sie selber waren dann später auch politisch aktiv. Was haben Sie da getan?

Horst Frehe: Bis 85 ging ungefähr die Krüppelgruppe. Dann hat sich Selbstbestimmt Leben e.V. gegründet. Selbstbestimmt Leben hat die Denkweise und auch die Initiativen der Krüppelbewegung aufgegriffen.

Ich selber war bei den Grünen aktiv. Ich war dann Abgeordneter der Bremischen Grünen in der Bremischen Bürgerschaft und habe da zum Beispiel durchgesetzt, dass keine Busse mehr angeschafft wurden, die nicht über einen Lift verfügten und die nicht für uns geeignet waren. Das war ein großer Erfolg in der Bremischen Bürgerschaft.

Matthias Klaus: Frau Bießmann, Sie sind im Vorstand der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben e.V. Was bedeutet "selbstbestimmt leben" für Sie heute?

Jenny Bießmann: Für mich bedeutet "selbstbestimmt leben", dass ich machen kann, was ich möchte. Das heißt, dass ich berufstätig mit meiner Behinderung sein kann. Ich kann reisen: wohin ich will, wann ich will. Ich kann vor allem in meiner eigenen Wohnung leben und ich kann meiner Freizeit nachgehen. Und ich kann mich ehrenamtlich engagieren.

Matthias Klaus: Sie haben Vollzeit-Assistenz. Ist das richtig?

Jenny Bießmann: Genau: Ich bin auf 24 Stunden persönliche Assistenz angewiesen, um genau so leben zu können, wie ich das eben beschrieben habe.

Matthias Klaus: Herr Frehe, wenn Sie mal dran denken damals war das so der Traum. Oder war das überhaupt irgendwie denkbar, dass es mal Vollzeit-Assistenz geben könnte?

Horst Frehe: Der Traum war es schon. Wir haben mit einem Freund von mir, der aus dem Heim ausgezogen ist und in eine Wohnung in eine Wohngemeinschaft mit mir gezogen ist, das erste Assistenz-Modell in Deutschland umgesetzt. Das war Ende der Siebzigerjahre. Es war unsere Vorstellung. Es war zwar für viele nicht vorstellbar, aber wir haben und ganz klar das Ziel gesetzt und es auch durchgesetzt.

Matthias Klaus: Ja und heute haben wir die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben e.V. als Bundesverband von verschiedenen Zentren für selbstbestimmtes Leben. Frau Bießmann, können Sie ein bisschen beschreiben für was genau setzt sich der Verein heute ein?

Jenny Bießmann: Ja. Zum einen setzen wir uns natürlich dafür ein, dass Menschen mit Behinderung selbstbestimmt leben können - das zum einen. Natürlich, mit den Zentren mit Beratungsarbeit, klären wir ganz viel auf. Auf der anderen Seite arbeiten wir natürlich auch ganz viel an der politischen Front, sei es in Anhörungen oder wenn Gesetze rauskommen.

Da heben wir direkt den Zeigefinger und sagen: "So geht es nicht." Da wurden nämlich wieder die Interessen von uns Menschen mit Behinderung vergessen bzw. werden wir Menschen mit Behinderung schlechter gestellt. Als Paradebeispiel, wo wir als ISL ganz aktiv mit dabei waren, war natürlich das Bundesteilhabegesetz in der gesamten Prozessgebung und dann auch 2016 bei der Verabschiedung.

Matthias Klaus: Herr Frehe, wenn Sie das so in zwei Sätzen versuchen rauszuhauen, was bedeutet für Sie selbstbestimmt?

Horst Frehe: Alle Entscheidungen, die mich betreffen, auch selbst treffen zu können. Ich war vor einigen Wochen zwei Monate lang im Krankenhaus, und da habe ich nochmal ganz praktisch vorgeführt bekommen, was Fremdbestimmung heißt, nämlich dass andere bestimmen, wann ich zu essen habe. Dass permanent jemand ins Krankenzimmer reingelaufen kam, der Puls gemessen hat wie Fieber, Temperatur oder ähnliches mehr. Wenn alle Prozesse, die um einen herum passieren, nicht von einem selber gesteuert werden können, dann ist man fremdbestimmt. Selbstbestimmung ist das Gegenteil.

Matthias Klaus: Es hat erst mal nichts zu tun mit selbstständig - ist das etwas anderes?

Horst Frehe: Selbstständig ist etwas völlig anderes. Natürlich ist es auch hilfreich, wenn man möglichst vieles selbstständig machen kann. Aber man kann selbstbestimmt leben mit persönlicher Assistenz. Das heißt, diejenigen, die die Assistenz nutzen, sagen was zu tun ist, wie es zu tun ist und bestimmen die Abläufe. Man muss nicht selbstständig sein, um selbstbestimmt zu sein. 

Sprecher/Sprecherin: Sie hören Echt behindert! den Podcast für Barrierefreiheit und Inklusion der Deutschen Welle. Wir sind auf allen gängigen Podcast Plattformen. Email, Feedback und Kommentare an: echt.behindert@dw.com. Mehr Infos und Links gibt es unter dw.com/wissenschaft. Bewerten Sie uns auf Apple Podcasts oder wo immer Sie uns hören.

Matthias Klaus: Frau Bießmann, die Krüppelbewegung damals wollte immer autonom sein. Die wollte keine Nichtbehinderten in ihren Gruppen zulassen. Wie steht es denn heute in Ihrem Umfeld oder auch in dem, was Sie politisch erleben? Braucht man das heute eigentlich noch? Oder ist heute Friede, Freude, Eierkuchen zwischen Behinderten und nicht Behinderten und man hilft sich gegenseitig?

Jenny Bießmann: Das ist eine sehr gute Frage, mit der ich mich tatsächlich 2016 nochmal sehr intensiv auseinandergesetzt habe. Als ich nämlich ein  eigenes Zentrum für Selbstbestimmtes Leben in Berlin gegründet habe, wo natürlich die Frage aufkam: "Wie wollen wir denn das Ganze? Möchten wir wirklich wie ISL es vorgibt die Strukturen machen und sagen: 'Wir möchten nur, dass Menschen mit Behinderung aktiv im Geschäft sind' und im Vorstand und so weiter und so fort?"

Das ist ja schon sehr diskriminierend, bzw. sehr ausschließend gegenüber dem Menschen ohne Behinderung. Aber wir brauchen das auch heute noch definitiv. Wir sehen das ganz häufig auch in manchen kleinen Vereinen, wo dann doch ein bisschen das Ganze geöffnet wird. Die Menschen ohne Behinderung also, die sich selbst als Menschen ohne Behinderungen bezeichnen, kommen ganz schnell wieder in dieses System und wollen die Macht an sich reißen. 

Deshalb ist es gut und wichtig, dass es solche Strukturen gibt, wie die ISL, vorgegeben hat - Jahrelang und auch jetzt. Und ich bin tatsächlich absolute Befürworterin, auch wenn ich mich am Anfang auch ein bisschen schwer damit getan habe. Aber wenn man ein bisschen hinter die Beweggründe schaut und das auch versteht, dann macht es absolut Sinn.

Matthias Klaus: Welche Regeln gibt denn ISL da genau vor?

Jenny Bießmann: Einmal, dass in den Vereinen tatsächlich nur Menschen mit Behinderungen stimmberechtigt sind, im Vorstand sind und in der ausübenden Tätigkeit, in unseren Vereinen z.B. auf der Beratungsebene.

Matthias Klaus: Können Sie vielleicht bei der Gelegenheit mal ein bisschen definieren oder erklären, was "Peer Counseling" bedeutet. 

Jenny Bießmann: "Peer Counseling" ist eine Beratungsmethode, die wir auch aus der "Independent Living Movement" bekommen haben, die mit rübergeschwappt ist, wo Menschen mit Behinderung andere Menschen mit Behinderung beraten.

Der kleinste gemeinsame Nenner ist dabei die erlebte Diskriminierung. Wir sagen nicht, dass Rollstuhlfahrer*innen nur Rollstuhlfahrer*innen beraten können, sondern wir können behinderungenübergreifend auf der Peer Counseling Methode beraten, weil wir davon ausgehen, dass jeder Mensch mit Behinderung tatsächlich schon mal Diskriminierung erlebt hat. Das ist der kleinste gemeinsame Nenner dabei.

Ich bin aktiv in der Beratung. Tatsächlich kommen viele Ratsuchende auch gerade in unsere Beratungsstelle, weil sie einfach wissen, dass da Menschen mit Behinderung sitzen und wir auch davon ausgehen, dass man sich dort nochmal anders in die Lebensrealitäten, die einem berichtet werden, reindenken kann und dadurch besser unterstützen kann. 

Matthias Klaus: Sie sind in der Beratung EUTB (Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung). Das ist irgendwie doch ein sehr sperriges Wort. Ich denke mal, wer nicht behindert ist oder in diesen Berufen arbeitet, der wird das nicht kennen. Das ist neu. Das gibt es seit - ich glaube - knapp drei Jahren. Es ist mit dem Bundesteilhabegesetz eingeführt worden. Können Sie ein bisschen erläutern was bedeutet EUTB? 

Jenny Bießmann: Das ist eines der wenigen positiven Dinge, die das Bundesteilhabegesetz mit sich gebracht hat, was in 2016 verabschiedet wurde. Zum 1.1.2018 gab es bzw. gibt es die Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung, die für Menschen mit Behinderung ist und deren Angehörige, oder von Menschen, die von Behinderung betroffen sind. Es gibt über 500 Beratungsstellen deutschlandweit und wir beraten kostenlos und unabhängig.

Das unabhängig ist in dem Fall etwas ganz Wichtiges, weil wir wirklich nur unsere Förderung von Deutschland bekommen und demzufolge nicht an irgendeinen Träger gebunden sind und dann sagen, "Ok, Sie haben das und das Anliegen. Da wären Sie doch bei uns ganz gut aufgehoben."

Nein, wir können wirklich absolut nur gucken, was die Bedürfnisse von ratsuchenden Personen sind. Das ist etwas ganz, ganz Wichtiges. Wir beraten behinderungenübergreifend und themenübergreifend. Alles, was rund um Teilhabe von Menschen mit Behinderung zu tun hat. Damit kann man in die Stellen gehen und beraten werden. Häufig sitzen auch dort Peer Counseler: Nicht immer, aber doch häufig.

Matthias Klaus: Im Vergleich zu dem, was Herr Frehe am Anfang geschildert hat, und wo die Krüppelbewegung entstanden ist, ist das eigentlich schon die Erfüllung aller Träume der Behindertenbewegung: Jetzt gibt es Geld. Jetzt gibt es Assistenz. Jetzt gibt es Beratung. Jetzt gibt es Inklusion. Lehnen Sie sich jetzt zufrieden zurück oder gibt's noch viel zu tun?

Horst Frehe: Keinesfalls. 

Jenny Bießmann: Ich würde mich gerne zurücklehnen und sagen, "Ja, wir haben alles erreicht." Nein, da sind wir nicht. Also das hört sich vielleicht jetzt ganz gut an: Es gibt Assistenz, sogar für Menschen mit einem hohen Hilfebedarf bis zu 24 Stunden. Es gibt eine Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung.

Aber es gibt auch ganz viele Punkte, wo wir einfach immer wieder wachsam sind und auch dran sind, weil einfach ganz viel passiert und es gerade in Corona Zeiten, wo viel Geld in die Wirtschaft und so weiter fließt, müssen wir absolut achtsam bleiben und gucken, dass der soziale Bereich nicht runterfällt und das, was wir bereits erreicht haben, eventuell noch mehr eingeschränkt wird. 

Matthias Klaus: Herr Frehe, Sie haben gerade auch vehement widersprochen. Was möchten Sie gerne hinzufügen?

Horst Frehe: Ich möchte das an einem Beispiel deutlich machen. Ich war im Krankenhaus und es war unklar, ob ich die Beeinträchtigungen, die ich mir da zugezogen hatte, überlebe. Deswegen wollte ich unbedingt mit Angehörigen sprechen, die mich darin unterstützen: weiterzumachen oder mit denen ich darüber reden konnte.

Meinem Bruder ist der Zutritt zum Krankenhaus verweigert worden mit dem Verweis auf Corona. Wir müssen sicherstellen, dass es keine unzumutbaren Grundrechtseingriffe, auch in Corona-Zeiten gibt, auch Heimbewohner dürfen nicht monatelang alleine gelassen werden und der Zugang von Angehörigen praktisch ausgeschlossen werden, sondern wir brauchen sichere Regelungen.

Aber wir brauchen auch die Möglichkeit, dass die Menschenwürde der Leute, die noch in Einrichtungen leben, erhalten bleibt. Das zeigt an diesem kleinen Beispiel im Corona Zeiten, dass wir noch lange nicht am Ende sind, sondern wir haben viele Klippen überwunden.

Wir sind ein großes Stück vorangekommen. Aber wir haben permanent die Fragen: "Wie können wir den Nahverkehr weiter barrierefrei gestalten? Wie können wir unsere Assistenz sicherstellen? Wie können wir angesichts steigender Grundstückspreise und Mietpreise noch an Wohnungen kommen in denen wir unser Leben selbstbestimmt gestalten können?" Das ist ein permanenter Prozess.

Matthias Klaus: Das war Echt behindert! für heute. Mit Jenny Bießmann und Horst Frehe von der ISL, der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben e.V., die gerade ihren 30 jährigen Geburtstag gefeiert hat. Mein Name ist Matthias Klaus. 

Sprecher: Mehr Folgen und mehr Infos unter dw.com/wissenschaft.

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Hinweis der Redaktion: Dieses Transkript wurde unter Nutzung einer automatisierten Spracherkennungs-Software erstellt. Danach wurde es auf offensichtliche Fehler hin redaktionell bearbeitet. Der Text gibt das gesprochene Wort wieder, erfüllt aber nicht unsere Ansprüche an ein umfassend redigiertes Interview. Wir danken unseren Leserinnen und Lesern für das Verständnis.