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18. Inklusion im TV – 30 Jahre MDR Selbstbestimmt

7. Mai 2021

Für Menschen, die unseren Podcast nicht hören können, stellen wir hier ein Transkript zur Verfügung: Traditionell waren behinderte Menschen im deutschen Fernsehen nur Objekte der Fürsorge, um die man sich kümmern musste.

https://p.dw.com/p/3t2Pv

Zum Podcast geht es hier. 

Jingle: DW. "Echt behindert!"

Moderator Matthias Klaus: Herzlich willkommen zu "Echt behindert!" Mein Name ist Matthias Klaus.

Man möchte meinen, zwei Seelen wohnten ach in seiner Brust. Als Fernsehmoderator interviewt er Menschen mit Behinderung, stellt Projekte vor, setzt sich für Inklusion ein. Gleichzeitig ist er Comedian, der in seinen Programmen ziemlich krass zu Werke geht und auf keinen Fall Angst davor hat, sensible Seelen auch mal zu erschrecken. Wir reden heute über beides: Einmal über das Fernsehmagazin "Selbstbestimmt" des MDR Fernsehens, das gerade sein 30-jähriges Jubiläum hat und natürlich auch darüber, wie es sich so lebt als Comedian mit Behinderung, der dann auch noch schamlos Behinderung zum Thema macht. Herzlich willkommen im schönen Wanne-Eickel, Martin Fromme!

Martin Fromme: Ja, ich freue mich. Danke für die Einladung.

Matthias Klaus: Wenn Sie das Magazin "Selbstbestimmt" moderieren, wirken Sie im Vergleich zu Ihren Comedy Auftritten fast staatstragend. Wie ist denn der Unterschied im Angang?

Martin Fromme: Ja, der ist schon anders:  Irgendwie habe ich da eine ganz andere Rolle. In meiner Sendung bin ich ja als teilweise seriöser Moderator unterwegs und habe da auch eine ganz andere Zielrichtung. In meinem Programm möchte ich natürlich mit der Thematik Behinderung humorvoll umgehen und mache das natürlich auch. Aber in meiner Fernsehsendung, in "Selbstbestimmt" habe ich natürlich einen ganz anderen Sendeauftrag. Und der ist ein bisschen seriöser angelegt, was aber auch genau passend ist.

Matthias Klaus: Hören wir uns mal ganz kurz an, wie sich das so anhört, wenn Martin Fromme "Selbstbestimmt" moderiert.

Einspieler: Audio von "Selbstbestimmt":

"Herzlich willkommen zu Selbstbestimmt. Ich bin heute in Partylaune, denn "Selbstbestimmt" wird 30! Ein toller Anlass, um einfach mal zu schauen, wie sich Teilhabe und Inklusion in den letzten 30 Jahren entwickelt haben. Außerdem habe ich mir tolle Gäste eingeladen, wie: Hans Rainer Bönning, der erste Moderator der Sendung, Verena Bentele, die Präsidentin des größten Sozialverbandes Deutschlands und Stand up Comedian Tan Caglar. Während ich noch ein bisschen vorbereite, schauen Sie doch schon mal beeindruckende Bilder aus 30 ereignisreichen Jahren.  - 30 Jahre selbstbestimmt, 30 Jahre Kampf um Inklusion, Teilhabe und Anerkennung."

Matthias Klaus: Behinderung im Fernsehen das ist ja eigentlich nach wie vor selten. Diese Sendung gibt es schon 30 Jahre. Das kann man gar nicht glauben. Herr Fromme, was machen Sie in der Sendung "Selbstbestimmt"?

Martin Fromme: Ja, wir zeichnen einfach Lebenswelten von Menschen mit Behinderung auf. Also Reportagen über über Menschen, die mit einer Behinderung leben und vielleicht was Außergewöhnliches machen wie ein einarmiger Kite-Surfer oder eine kleinwüchsige Dragqueen. Aber wir mischen uns natürlich auch politisch und gesellschaftspolitisch so ein bisschen ein, indem wir Themen wie Arbeit, Teilhabe oder das Bundesteilhabegesetz natürlich nachfragen - wie es damit so steht und wie es damit so läuft. Alles in allem ist es ein bunter Mix aus Informationen, aber auch Lebenswelten. Das ist eigentlich unser Credo.

Matthias Klaus: Sie sind Seit zehn Jahren dabei. Wie sind Sie da dran gekommen damals?

Martin Fromme: 2009 oder 2010 (das weiß ich gar nicht mehr so richtig) ist ein Bericht über mich erschienen bei "Selbstbestimmt". Und das ist wohl zum Anlass wohl genommen worden, sich zu merken, dass ich ein bisschen lockerer mit der Thematik Behinderung umgehe. Und 2011 war ein  Moderatorenwechsel angedacht und da hat man mich zum Casting eingeladen. Und da hab ich mich dann durchgesetzt, wohl gegen andere Bewerber. Das hat wohl super-gut geklappt. Und man hat es auch von Anfang an gemerkt in der Sendung selbst: die Chemie, die stimmt.

Matthias Klaus: Chemie. Wer ist da sonst noch so beteiligt? Sie sind ja wahrscheinlich nicht der Mensch, der die Recherche macht.

Martin Fromme: Nee, bin ich überhaupt nicht. Also ich bin das Gesicht nach außen. Die Recherche wird von der Redaktion betrieben und natürlich von der Produktionsfirma. Und die hat vor ein paar Jahren gewechselt. Jetzt ist es eine neue Produktionsfirma. Und ja, es hat bisher eigentlich immer sehr, sehr gut geklappt.

Matthias Klaus: Haben Sie Einfluss auf die Themen?

Martin Fromme: Größtenteils nein. Also ich schlage Sachen vor. Wenn mir irgendwas auffällt, dann sage ich: "Hör mal, wir können darüber was machen?" und dann fließt das ein. Aber größtenteils leisten das die Produktionsgesellschaft selbst und die Redaktion. 

Matthias Klaus: Das heißt, Sie sind eigentlich eher der... Wie sollen wir sagen? Verkäufer?

Martin Fromme: Ja, das willfährige Instrument bin ich. [beide lachen]

Matthias Klaus: Haben Sie schon mal an irgendeinem Punkt gesagt: "Also das finde ich jetzt aber blöd"?

Martin Fromme: Ja, natürlich, klar. Und dann wird das auch notiert. Und dann wird es auch eigentlich zu 80 Prozent so gemacht, wie ich das dann sage. Ich bin da authentisch in der gesamten Geschichte. Ich glaub, ich weiß, wie es ist, mit einer Behinderung zu leben und wie es ist, damit einfach komplett auch umgehen zu müssen und zu können. Und da bin ich so ein bisschen natürlich im Wissen voraus. Aber das ist ja logisch. Wer irgendwie von Geburt an behindert ist, der hat natürlich einen Wissensvorsprung.

Matthias Klaus: Können Sie kurz erklären, was für eine Behinderung Sie haben. Man sieht sie ja hier jetzt nicht genau.

Martin Fromme: Mir fehlt der linke Unterarm seit Geburt. Das nennt sich "Dysmelie". Das ist eine Laune der Natur. Also man weiß nicht warum, weshalb, wieso. Aber einer von 5000 zieht das große Los und ist dabei in unserer Gemeinschaft der DysmelIker. 

Matthias Klaus: 1991 zu Anfang von "Selbstbestimmt" (damals war es noch ein Produkt des Deutschen Fernsehfunks, eine Nachfolge-Fernsehanstalt der DDR sozusagen), hat Hans-Reiner Bönning diese Sendung moderiert. Wie sich der anhörte, können wir jetzt hören…

Audio von "Selbstbestimmt":

"Guten Tag und herzlich willkommen! Mehrere Fernsehzeitschriften haben dieses neue Magazin extra angekündigt. Vielen Dank! Ich hoffe, wir machen das gut. In einigen stand allerdings zu lesen, hier könne man Menschen sehen, die an ihren Rollstuhl gefesselt seien. Ja, das nun gerade nicht. Wenn Sie mich anschauen: ich sitze im Rollstuhl, doch gefesselt fühle ich mich weder durch seine Rücken- noch Seitenlehnen, die geben meinem Oberkörper nur den Halt, denn ich brauche, um zum Beispiel hier zu sitzen und zu Ihnen zu sprechen. Gefesselt fühle ich mich durch solche Worte, solche Vorurteile, die Menschen wie mich immer wieder in die gleiche Rolle zwängen. Passiv, unselbständig, fremdbestimmt.

In dieser und in den nächsten Sendungen wollen wir Ihnen Menschen mit verschiedenen Behinderungen, nicht nur mit körperlichen vorstellen. Besonders ihre Versuche, sich aus Fesseln, Vorurteilen, aus behindernden Lebensumständen freizumachen, das eigene Leben zu erweitern und mehr und mehr selbst zu bestimmen. Ein bisschen Entfesselungskunst, also "Selbstbestimmt" ein Enthinderungs-Magazin." 

Matthias Klaus: Was mir hier so auffällt ist: Er sagt selber, er sei nicht an den Rollstuhl gefesselt. Das kann man heute manchmal noch in der Zeitung lesen. Gleichzeitig ging es hier auch darum, dass Behinderte selbstständig alleine wohnen wollen. Auch die Debatte ist noch nicht zu Ende. Man hat so ein bisschen den Eindruck, dass die Themen irgendwie damals schon dieselben waren wie heute.

Martin Fromme: Ja, also wir reden ja seit 30 Jahren über das Gleiche. Das sind dieselben Themen, die einfach aufgegriffen werden. Wir sind zwar in der Bewusstseinsbildung schon ein bisschen weiter, aber ich glaube, die Themen werden immer die gleichen sein. Sei es irgendwie selbstbestimmt leben, sei es Barrierefreiheit, sei es, Teilhabe an der Gesellschaft. Das wird sich nie ändern, weil die Gesellschaft sich natürlich auch immer weiterentwickelt. Und inklusive Tendenzen müssen sich dann natürlich auch. Ja, die müssen sich natürlich auch angleichen. Klar. 

Matthias Klaus: Es gibt die Sendung "Selbstbestimmt", wie gesagt schon 30 Jahre im Fernsehen. Das ist selten. Das einzige, was es damals vielleicht noch gab, waren Programme im ZDF, in Deutschland von der "Aktion Mensch" oder damals noch "Aktion Sorgenkind". Ansonsten war Behinderung bestenfalls mal auf einem religiösen Sendeplatz zu finden. Jetzt gibt es eine ganze Inklusions-Woche beim MDR. Da gibt es dazu noch Programm und mehr Angebote. Wissen Sie, was wird dann noch so veranstaltet?

Martin Fromme: Ja, Es wird einfach der Sender vorgestellt mit seinen Leistungen, also im Audio deskriptiven Bereich, was vielleicht noch geplant ist. Vor kurzem war ein Gespräch mit der Intendantin Kristina Vogel und Herrn Kahlisch einem Aktivisten. Und ja, also da wird darüber gesprochen, wo die Richtung hingehen sollte im Bereich Inklusion beim Mitteldeutschen Rundfunk. Und die Richtung geht einfach immer dahin, dass versucht wird, immer wieder etwas zu verbessern.

Matthias Klaus: Was kann denn noch verbessert werden aus Ihrer Sicht?

Martin Fromme: Also alles [beide lachen]. Da sind wir ja irgendwie noch nicht in dem Bereich (wo wir sein möchten). Also alles, was in den Redaktionen passiert, dass die Redaktionen selber inklusiver werden, dass also Menschen mit Behinderung in den Redaktionen arbeiten, dass ja vielleicht einfach eine übergeordnete Inklusionsbeauftragte im Sender installiert wird, an die Menschen, also Redakteure, sich wenden können. Redakteurinnen, die halt nicht wissen, wie sie adäquat mit diesem Thema umgehen können und da eine Bezugsperson bekommen.

Es gibt viele Sachen: Audio Deskription ist nicht ausgereizt. Es gibt natürlich hier Live Audio Deskription. Das finde ich total wichtig, dass also Dinge live einfach audio-deskribiert werden. Das ist eine ganz andere Geschichte. Oder dass wir halt eine Tagesschau in leichter Sprache haben. Das finde ich natürlich, ist eins der wichtigsten Themen überhaupt: Informationen in leichter Sprache.

Matthias Klaus: Sie sagten gerade "auch in den Medien vertreten sein". Sie hatten hier in der Sendung Tan Caglar im Interview: einen Comedian und Sportler, der jetzt eine Rolle im Fernsehen bekommen hat, in einer Serie...

Martin Fromme: Ja.

Matthias Klaus: als Rollstuhl fahrender Arzt, soweit ich das richtig verstanden habe. Sie selber haben ja auch schon mal im Fernsehen hin und wieder gewirkt, auch in Serien. Ist das jetzt ein Zeichen des Wandels oder ist das ein Feigenblatt? 

Martin Fromme: Das ist erst mal ein Feigenblatt. Also das ist jetzt erstmal natürlich irgendwie der erste Schritt, wo es hingehen wird. Das entscheiden natürlich wir, indem wir mehr Druck machen und jetzt irgendwie darauf reagieren und sagen: "Guck mal, es funktioniert" - weil es wird funktionieren. Tan ist einfach ein sehr sympathischer und, ich glaube, ein sehr authentischer Typ. Und von daher wird diese Rolle funktionieren in so einem Flaggschiff. Es ist ja Analog zur "Schwarzwaldklinik." Also eigentlich in aller Freundschaft.

Matthias Klaus: Die Sachsenklinik!?

Martin Fromme: Ich glaube, es kann ein erster Schritt sein hin zu einer Serien-Rolle. Im Moment ist es natürlich noch ein Feigenblatt, aber da müssen halt Caster entscheiden, Produktionsfirmen, Regisseure, Leute, die das Geld geben, und die müssen einfach sehen, dass das natürlich funktioniert. Natürlich funktioniert das - ja. Aber vielleicht ist es auch gar nicht mehr nötig irgendwann. Also wir sind ja auch ersetzbar. Also Gliedmaßen können ja... Computer Technisch können die natürlich irgendwie versteckt werden. Also ich, ich weiß es nicht. Ich ich bin da sehr skeptisch, dass sich da der Wind drehen wird. Also ich lass mich einfach überraschen.

Matthias Klaus: Verhaltener Optimismus.

Martin Fromme: Sehr verhalten sogar.

Matthias Klaus: Es bedarf ja doch noch vieler Aufklärung, bis Leute das normal finden, dass auch wirklich wollen. Es geht ja auch um People of Color und um alles mögliche, was nicht divers besetzt ist im Fernsehen, in den Medien... Und wenn sie jetzt selber auf der Bühne sind, reden wir doch mal da drüber. Sind die Leute da schon aufgeklärt, wenn sie da hinkommen? Oder kriegen die dann auch einen Schreck? "Um Gotteswillen behindert? Was ist das denn hier?"

Martin Fromme: Das ist teils, teils. Viele Leute sind natürlich aufgeklärt. Die informieren sich, wenn sie in ein Programm gehen. Worum geht es eigentlich? Das ist eigentlich der Hauptgrund sogar zu mir zu kommen. Weil die Neugierde siegt dann natürlich.

Also ich bin eigentlich der erste, der es in Deutschland professionell gemacht hat, Humor und Behinderung zu verbinden. Und ich glaube ich bin auch nahezu europaweit der erste Profi, der es einfach seit 35 Jahren macht. Und die Leute müssen oder sollten vorbereitet sein, wenn sie zu meinen Programmen kommen.

Wer unvorbereitet ist, der wird manchmal ein bisschen kalt erwischt. Aber dann wird er durch die Woge der Jubelstürme, wie ich das jetzt natürlich ketzerisch immer sage, natürlich nach vorne gerissen. Also die Programme kommen gut an. Also 80 Prozent sagen ja, 10 Prozent sind unentschieden und 10 Prozent lehnen das ab. Das ist ein sehr guter Wert.

Einspieler: Audio aus Martin frommes Programm:

Wir Behinderte wir lügen wie die Pest. Berühmtestes Beispiel - denke kennt jeder - Oscar Pistorius. Ja, der Paralympics Olympiasieger hat ja vor kurzem seine Freundin erschossen. Durch die geschlossene Badezimmertür. Nicht? Danach hat er gesagt: "Oh Gott! Nein! Das war meine Freundin. Nein! Ich dachte, er ist ein Einbrecher gewesen!" Nicht?

Da sieht man einfach mal, dass dieses Sprichwort: "Lügen haben kurze Beine"... Ja, das stimmt zu 100 Prozent! 100 Prozent! Einige Sprichwörter stimmen nicht bei mir z.B.: "eine Hand wäscht die andere." Da sehe ich komplett beschissen aus. Es sieht komplett beschissen aus.

Ja, aber Oscar Pistorius hat auch etwas für uns getan. Für uns Menschen mit Behinderung - für seine Freundin nicht. Das tut mir leid, aber für uns hat er was getan, nicht? Er hat uns ein bisschen edgy gemacht, so verrucht! Nicht?

Leute können jetzt denken: "Mein Gott, Behinderte können Verbrecher sein." Nicht? Für mich ist es ein bisschen schlecht. Ich laufe halt immer gerne durch den Wald in diesem Berg. Und immer, wenn mir da Frauen entgegenkommen, die assoziieren natürlich auch sofort...: "Ahh! Mein Gott, der ist behindert. Er könnte Verbrecher sein." Und dann laufen die sofort ins Unterholz rein - Sofort eine Höhle bauen die sich! Blätter obendrüber. Und dann schreie ich immer: "Mein Gott, kommen Sie doch raus, junge Frau. Mein Gott, ich erschieß doch nur Topmodels, nicht Frauen in Jogging Anzügen, die verschwitzt sind!" 

Dann sind die ganz glücklich und kommen zu mir und umarmen mich. Nicht?

Und dann ersteche ich die!

Ende Einspieler 

Matthias Klaus: Haben Sie da schon mal erlebt, dass den Leuten die Kinnladen runterfallen? Dass sie sagen: "Um Gottes willen, jetzt reicht's aber?"

Martin Fromme: Ja, natürlich, klar, irgendwie...in den Programmen fällt den Leuten natürlich manchmal die Kinnlade runter.

Aber das sind meistens doch noch nicht Behinderte, die dann immer denken: "Man darf darüber keine Scherze machen". Also Menschen mit Behinderung haben da noch nie....also noch kein einziger... da hat noch nie jemand etwas gesagt, dass er das zu krass findet oder zu zu derbe.

Es geht eigentlich immer so, wenn ich das Programm mache, dann kommen die Kollegen irgendwie danach zu mir und sagen: "Hör mal, kannst du nicht noch ein bisschen härter werden? Das ist ein bisschen weichgespült." Und dann denk ich mal: "Leute!"

Matthias Klaus: Das erfinden sie jetzt gerade, oder?

Martin Fromme: Ja, ja. Das, das, das ist so.

Matthias Klaus: Das ist wirklich so?

Martin Fromme: Ja, das ist so. Also das ist den Leuten mit Behinderung manchmal noch zu weich. Und ich gehe irgendwie schon schon ziemlich hart ran. Und die Leute wollen eigentlich immer mehr und immer heftigere Sachen. Und ja... Ich bin bereit.

Matthias Klaus: Gibt's denn auch...gibt es noch Sachen, die Sie nicht sagen würden? Man kann ja auch diskriminierende, üble Witze machen.

Martin Fromme: Kann man machen, irgendwie. Also da ist erstmal meine persönliche Moral gefragt. Also ich mache erst mal das, was ich lustig finde. Und da hab ich auch gar keine Schere im Kopf, sondern das wird erstmal gemacht. Und wenn mir dann irgendjemand sagt im Publikum: "Der ist aber nicht gut, das möchte ich jetzt nicht hören", dann interessiert mich das nicht.

Wenn mir das aber 30 oder 40 oder 100 Leute sagen, dann beginne ich natürlich schon zu überlegen und denke über den Witz dann nochmal nach. Und ja, justiere den dann vielleicht nochmal nach. Je nachdem, wie ich das empfinde. 

Matthias Klaus: Haben Sie so einen Moral-Kompass? Also außer Ihrem Gefühl, dass Sie sagen: "Okay, so weit gehe ich und da drüber hinaus nicht" oder "das ist die falsche Haltung"?

Martin Fromme: Nee, hab ich nicht. Überhaupt nicht mehr. Also einen Moral-Kompass hab ich da eigentlich nicht. Im Bereich Behinderung kann man über alles Witze machen. Es muss halt nur ein guter Witz einfallen. Also es muss ein guter Witz sein. Das ist meine Richtschnur: Der Witz muss zünden.

Matthias Klaus: Was ist denn der Sinn der Sache? Warum tun Sie das überhaupt? Warum reden Sie jetzt hier über Behinderung und nicht über irgendwas?

Martin Fromme: Ich mache das seit 35 Jahren und 28 Jahre habe ich es in einem Duo gemacht und da hat das relativ wenig mit der Thematik Behinderung zu tun gehabt. Das war so ein Duo das so in Richtung Monty Python ging, oder Mr. Bean. Also so englischer Humor, auch sehr skurril, sehr abgefahren.

Und dann haben wir uns dann getrennt und ich hab mir gedacht: Was kannst du jetzt eigentlich Neues auf die Bühne bringen? Und mir wurde immer zugetragen: "Ja, mach doch was mit der Thematik Behinderung." Und dann hab ich gesagt: "Ihr seid verrückt. Ich kann nicht eineinhalb Stunden über die Thematik Behinderung reden," hab's dann aber doch gemacht und es hat super gut funktioniert.

Und ja, also die Richtung ist ganz klar: Einfach die Thematik Behinderung durch Humor etwas zu entspannen, damit die Leute einen anderen Blickwinkel drauf kriegen und bei diesem Thema einfach mal so ein bisschen locker durch die Hose atmen können.

Matthias Klaus: Hören wir noch einen kleinen Ausschnitt.

Einspieler: Audio aus Martin frommes Programm:  

...Und ihr fragt euch natürlich: "Haben Behinderte überhaupt Sex oder gehen die dabei kaputt? Also noch mehr!" Nicht? Ihr fragt euch Natürlich: "Kann eine Prostituierte im Rollstuhl - kann die auch eine Wanderhure sein?" Nicht? [Alle lachen] Ja, ja. Und wenn... Wenn man nach vollstrecktem Geschlechtsakt von ihr lässt und dann als Qualitätsurteil hinterher sagt: "Baaa, ne! Baaa, die geht gar nicht!" Nicht? Ist man dann behindertenfeindlich? Das sind immer so Fragen, die man sich fragt. Gibt es Ermäßigungstarife für Stotterer bei der Sex Hotline? Nicht? Da sollten wir uns mal für einsetzen. Nicht? 

Matthias Klaus: Schon krass, sag ich mal... Na?

Martin Fromme: Ja, es geht ja um alle Themen, die auch nicht behinderte Menschen bewegen. Sexualität. Das ist natürlich auch immer eine ganz große Frage. Viele Menschen, glaube ich, fragen sich wirklich: "Wie funktioniert das denn überhaupt? Funktioniert das irgendwie im Rollstuhl? Ist deine Attraktivität da? Ist da überhaupt ein Markt für?" Das sind Fragen, die ich einfach behandele und natürlich etwas überspitzt darstelle. Logisch! Klar! Sonst funktioniert es ja nicht.

Matthias Klaus: Sie machen das als Bühnenprogramm. Ich könnte Sie jetzt buchen, wenn ich wollte.

Martin Fromme: Genau. Sie können mich buchen. Sie können unter meiner Adresse www.martin-fromme.de . Da sind sämtliche Informationen da und da kann jeder, der Interesse hat, mich buchen. Für alles: Inklusionsveranstaltungen oder für Kleinkunstbühne, Theater, et cetera pp.

Matthias Klaus: Angenommen, wir hätten jetzt kein Corona: Wie viele von diesen Dingern machen Sie pro Jahr?

Martin Fromme: Ich komme so auf 100 Auftritte im Jahr und zusätzlich natürlich dann noch meine Fernsehgeschichte und ein paar kleinere Sachen, die ich noch mache. Also 2020 wäre so ein Wahnsinnsjahr gewesen für mich. Also das war wirklich irre. Das wäre mein bestes Jahr gewesen - bisher. Und da wurde ja gekappt. Und jetzt sind die Termine von 20 auf 21 verlegt und von 21 auf 22 und viele Termine sind natürlich auch schon weggeflogen, weil die Veranstaltungen nicht mehr durchführbar sind. Und ja, die Situation von Komikern wird sich erst im Frühjahr 23 ein bisschen entspannen,

Matthias Klaus: Wird alles nachgeholt! Wie heißt Ihr aktuelles Programm?

Martin Fromme: Das heißt "Glückliches Händchen".

Matthias Klaus: Das ist das erste oder zweite, oder?

Martin Fromme: Das ist das zweite. Ja, das erste hieß "Besser Arm ab als arm dran" und dann kam das "Glückliche Händchen" und ja, und jetzt arbeite ich natürlich schon immer ein bisschen weiter, aber im Moment mit angezogener Handbremse.

Matthias Klaus: Werden diese Sachen aktualisiert oder ist das immer dasselbe?

Martin Fromme: Die werden natürlich zwischendurch ein bisschen aktualisiert. Aber die Thematik Behinderung ist eigentlich keiner tagespolitischen Richtung unterworfen. Da gibt es nicht groß irgendwie was, was verändert wird. Also improvisiert natürlich - klar! Davon lebt meine Show, dass ich mit den Leuten improvisiere, dass wenn ein Gebärdensprachdolmetscher da ist oder eine Dolmetscherin, dann, dann spiele ich natürlich damit. Und das ist natürlich auch ein großes Element meiner Show: halt die Improvisation.

Matthias Klaus: Nochmal zurück zu "Selbstbestimmt." Wenn Sie da als Moderator aktiv sind, sind Sie ja auch sozusagen mit dem Herzen dabei. Hätten Sie irgendwie so etwas wie Wünsche, was wir in den nächsten 30 Jahren da endlich mal hinkriegen sollten? Gesellschaftlich jetzt! Nicht in der Sendung, sondern wirklich gesellschaftlich! Wo hängt es noch am meisten? Und woran könnte das liegen? Was können wir da machen?

Martin Fromme: Also wir können einfach immer lauter werden und immer lauter unsere Forderungen einbringen und versuchen Mitstreiter zu gewinnen und Mitstreiter, die auch authentisch sind und die das auch wirklich mit uns leben und die Forderung natürlich auch durchsetzen und nicht wie viele Politikerinnen, eine Behindertenwerkstatt neu eröffnen, das rote Band durchschneiden und sagen: "Herzlich willkommen!" und sich umdrehen und die Sache einfach für sich schon wieder vergessen haben.

Wir brauchen echte und authentische Mitstreiter und dazu braucht es eine laute Community und eine vernetzte Community - vor allen Dingen. Also ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir uns untereinander vernetzen und versuchen, gemeinsam unsere Forderungen durchzubringen.

Matthias Klaus: Sie haben ja in der Sendung jetzt auch neue Mitstreiter. Wer ist da in Zukunft noch mit dabei?

Martin Fromme: Jennifer Sonntag ist ja sowieso schon die ganze Zeit dabei, meine blinde Kollegin. Jetzt wird Raul Krauthausen noch dazustoßen und wird - ich denke mal - in jeder zweiten Sendung ein Statement abgeben. Ein mehrminütiges Statement zu gesellschaftspolitischen Themen. Ja, das macht die ganze Sache natürlich schon so ein bisschen kämpferischer. Raul bringt ja die kämpferische Note rein, die Aktivisten-Note. Und Jennifer steht mehr für die Poesie, für die Kultur in der Sendung.

Matthias Klaus: Aber sie verstehen sich durchaus auch aktivistisch, also auch in der Sendung selbst. Sie sind nicht nur die Leute, die über die Aktivisten reden, sondern sie beziehen auch Position.

Martin Fromme: Ja, wenn das Sinn macht, beziehe ich natürlich Position. Klar, da haben wir natürlich schon, oder ich hab da natürlich die Position des Meinungsmachers. Und ja, da sind wir auf jeden Fall schon dabei. Da bin ich auch dabei. Also meine Rolle selber: ich sehe mich persönlich nicht zu 100 Prozent als Aktivist, aber als Anschieber. Da sehe ich mich schon. Und als Ideengeber, sag ich mal…

Matthias Klaus: Herr Fromme, danke, dass Sie Zeit hatten. Und ich wünsche Ihnen weiterhin furchtbar viel Erfolg und hoffe (wir machen ja hier etwas Ähnliches), dass wir auch noch mal miteinander zu tun kriegen. Laden Sie mich doch mal in Ihre Sendung ein!

Martin Fromme: Sehr gerne. Ja, ja. Ich werde es auf jeden Fall weiterleiten. Und dann können wir nochmal ins Gespräch kommen.

Martin Fromme: Es war ein tolles Gespräch. Vielen, vielen Dank dafür für die Einladung und immer gerne wieder.

Matthias Klaus: Das war "Echt behindert!" Mein Name ist Matthias Klaus.

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Hinweis der Redaktion: Dieses Transkript wurde unter Nutzung einer automatisierten Spracherkennungs-Software erstellt. Danach wurde es auf offensichtliche Fehler hin redaktionell bearbeitet. Der Text gibt das gesprochene Wort wieder, erfüllt aber nicht unsere Ansprüche an ein umfassend redigiertes Interview. Wir danken unseren Leserinnen und Lesern für das Verständnis.