1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Wuppertal: Labor für die Welt

Karin Jäger30. Mai 2016

Transformation steht für Wandel - mehr Nachhaltigkeit, mehr Gerechtigkeit und mehr Lebensqualität. Wuppertal soll dafür international Vorreiter sein. Erste Projekte: neue Rad- und Fußwege und eine Seilbahn.

https://p.dw.com/p/1Ild9
Wuppertal Nordbahntrasse am Steinviadukt Foto: Stadt Wuppertal
Die Nordbahntrasse: Aus einer alten Bahnstrecke wurde ein Weg für Radfahrer und FußgängerBild: Stadt Wuppertal

Uwe Schneidewind findet Wuppertal spannend: "Hier entsteht ein eigener Schmelztiegel aufgrund seiner Historie", schwärmt der Leiter des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Die frühere Hochburg industriellen Fortschrittes sei bestens geeignet, um das Zukunftsprojekt Transformationsstadt auf den Weg zu bringen.

Wissenschaft, Stadt, Unternehmen und Bürger machen mit - in der Stadt, in der man moderne uniforme Hochhäuser mit durchgängigen Glasfassaden vergebens sucht. Stattdessen zieren Restbestände ungenutzter Industriebrachen und stillgelegte Schornsteine das Stadtbild. Das soll sich jetzt ändern. "Kreative, engagierte Menschen wählen bewusst Städte aus, die gewisse Brüche haben, weil ich als Mensch hier mitgestalten kann. Sie haben noch nicht das austauschbare Profil einer gesichtslosen Metropole", sagt Schneidewind und beschreibt damit das Potenzial, die Bürde der Vergangenheit abzuschütteln.

Uwe Schneidewind
Uwe Schneidewind hat viele Pläne für WuppertalBild: DW/P. Kouparanis

"Die industrielle Basis ist weggebrochen in den 1970er und 80er Jahren", sagt Frank Meyer, Dezernent der Stadt für Stadtentwicklung, Bauen, Verkehr und Umwelt. "Von den Folgen hat sich die Stadt bis heute nicht erholt."

Wuppertal - das war Synonym für Bayer, Schwebebahn, Zoo, Friedrich Engels und die Tanztheater-Legende Pina Bausch. Doch der Chemiekonzern zog nach Leverkusen, weil er wegen der geografischen Tal- und Höhenlage in Wuppertal nicht expandieren konnte.

Opfer der Deindustrialisierung

Zoo und Schwebebahn sind Restbestände industrieller Hochkultur des 19. Jahrhunderts. Diese mitgeprägt hat Friedrich Engels. Bevor der Philosoph schließlich Karl Marx traf und beide die als Marxismus bezeichnete Gesellschafts- und Wirtschaftstheorie verfassten, war Engels als Unternehmer im Textilgewerbe erfolgreich.

Die Topografie und die Konkurrenz aus Fernost manifestierten den Niedergang der Industriemetropole des bergischen Landes. Anhaltender Bevölkerungsrückgang zog Flächenleerstand nach sich, den Verfall von Gebäuden und Arbeitslosigkeit. 2014 tauchte der Name Wuppertal dann sogar auf unrühmliche Weise in internationalen Medien auf: Islamische Hassprediger waren mit Warnwesten als selbsternannte "Scharia-Polizei" durch die Stadt patroulliert. Mittlerweile gibt es in der Stadt ein Salafisten-Präventionsprogramm.

An allen Stellen fehlt Geld. Die Stadt ist so klamm, dass sämtliche Immobilien und Kunstschätze nicht ausreichen würden, um alle Verbindlichkeiten in Höhe von 2,34 Milliarden Euro auszugleichen. Die Stadt fordert daher Unterstützung vom Bund. "Ohne einen Altschuldenfonds müsste Wuppertal seine Schulden 200 Jahre lang abstottern", sagte Oberbürgermeister Andreas Mucke noch im April.

Schwebebahn in Wuppertal Foto: Rolf Vennenbernd/dpa
Hat den Industriewandel überstanden: Schwebebahn als Wahrzeichen WuppertalsBild: picture-alliance/dpa/R. Vennenbernd

Kein Geld, aber Visionen

Gerade die Hinterlassenschaften der Industriekultur üben einen Reiz Wuppertals aus. "Die Dinge, die hier passieren, sind wegweisend für Wandlungsprozesse in Städten im 21. Jahrhundert", hat Uwe Schneidewind, Professor für Wirtschaftswissenschaften, beobachtet.

Die Nordbahntrasse ist ein erstes Ergebnis der Transformatiion: Nach der Stilllegung einer Bahnstrecke wurde der 23 Kilometer lange Abschnitt asphaltiert. Mit Hilfe von Sponsoren, Vereinen und unter Einbeziehung von Langzeitarbeitslosen entstand ein imposanter Rad- und Fußweg für 100.000 Anwohner und Touristen. "Es ist toll zu beobachten, dass sich Wuppertal zur Fahrradstadt entwickelt", sagt Frank Meyer stolz. "Menschen legen sogar bei schlechtem Wetter ihre täglichen Wege zur Arbeit oder Schule mit dem Rad zurück und verzichten auf das Auto." Das habe positive Auswirkungen auf Energie, Verkehr und damit auch auf die Umwelt.

Lust auf Radfahren

Die Umwandlung in einen Rad- und Fußweg über historische Viadukte und durch Tunnel fand unter Berücksichtigung des Artenschutzes statt. Wer sich auf der Strecke bewegt, kann nicht nur eine fantastische Aussicht genießen, sondern mitunter auch streng geschützte Tier- und Pflanzenarten entdecken. Die Bürger erleben ihre Stadt von oben, durch Naturräume, insgesamt von einer anderen Perspektive.

Wuppertal Lego-Brücke an der Schwesterstraße Foto: Stadt Wuppertal
Warum soll eine Stadt grau sein? Lego-Brücke in WuppertalBild: Stadt Wuppertal

Als nächstes planen die Stadtentwickler auf Dächern begrünte Landschaften und eine Seilbahn über der Stadt. Eine Homepage hat das Projekt bereits. Die Bahn soll vom Hauptbahnhof zur Universität auf dem Berg führen und die Studenten aus der gesamten Region klimaneutral zum Campus befördern. Für Frank Meyer ist das Vorhaben interessantes Neuland: "Da in Deutschland noch nie eine Seilbahn im urbanen Raum gebaut wurde, beschäftigt uns die Frage: Ist es aus juristischer Sicht ein Eingriff in die Privatsphäre, wenn man aus zwanzig Meter Höhe auf ein Privatgrundstück schauen kann?"

Wuppertal wieder zum Blühen bringen

Auch die Wirtschaft lässt sich vom Pioniergeist anstecken. Die Küpper-Gruppe zählt dazu. Das Immobilienunternehmen hat eine große Fläche in Hauptbahnhofsnähe gekauft, um dort Urban Farming zu ermöglichen: Mitten im Stadtzentrum sollen dauerhaft Pflanzen- und Fischzucht miteinander kombiniert werden. Es sollen keine Wohnungen entstehen, die der Investor teuer verkaufen könnte.

Schneidewind gehört dem wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung für globale Umweltveränderungen an. Im Projekt Transformationsstadt sieht er großes Potenzial für ganze Volkswirtschaften, da man davon ausgehen müsse, dass Wirtschaft im 21. Jahrhundert langsamer wachsen oder sich negativ entwickeln werde. "Wohlstand entsteht durch Resonanz, wenn man in Schwingungen kommt, mit anderen Menschen und der Natur, mit sich selbst. Das sind Momente, in denen wir ein hohes Maß an Qualität empfinden." Dazu brauche es Freiräume, kreative Flächen, Naturräume in der Stadt, die das soziale Miteinander fördern.

Wuppertal als Reallabor für die Welt

"Chinesische Städte, die schauen sehr interessiert darauf, was mit den Industriemetropolen hier im Ruhrgebiet in den letzten Jahren geschehen ist, weil den Asiaten ähnliche Strukturumwandlungsprozesse bevorstehen", sagt Uwe Schneidewind, dessen Wuppertal-Institut Städte in China berät. "Am Beispiel Wuppertals können wir Perspektiven von Stadttransformation und neuen Wohlstandsverständnissen in die internationale Debatte einbringen."