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Trügerische Harmonie

1. Oktober 2009

Die kleine, aber strategisch wichtige Insel Taiwan ist seit 60 Jahren de facto unabhängig von China und hat sich dazu noch zur Muster-Demokratie entwickelt. Den Machthabern in Peking ist das ein Dorn im Auge.

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Taiwanische Soldaten vor der Chiang - Kai - Shek - Gedenkhalle in Taipeh (Foto: DW / K.Bardenhagen)
Gedrillt darauf, eine chinesische Invasion abzuwehren: Taiwanische Soldaten vor der Chiang-Kai-Shek-Gedenkhalle in TaipehBild: DW / K.Bardenhagen

Für Peking ist Taiwan eine Provinz der Volksrepublik China. Also gibt es bei der Parade zum Nationalfeiertag auch einen eigenen Festwagen. Die Taiwaner selbst hatten dabei nichts mitzureden.

Shieh Jhy-wey, früher Minister und Vertreter Taiwans in Berlin, sagt: "Man hat in der Zeitung gelesen, einige Spezialitäten von Taiwan, einige bekannte Landschaften und so weiter würden auch dazu gehören. Taiwan wird also auf künstliche Weise für einen Tag beschlagnahmt. Und das halten wir für dumm und lächerlich."

Niemals von der Volksrepublik regiert

Denn Taiwan wurde noch nie auch nur für einen Tag von der Volksrepublik regiert. Als Mao vor sechzig Jahren in Peking den Sieg der Revolution verkündete, flohen die Verlierer des Bürgerkriegs Hals über Kopf vom Festland. Für die Truppen Nationalchinas unter Chiang Kai-shek blieb nur der Weg nach Taiwan. Als ehemalige japanische Kolonie war ihnen die Insel erst wenige Jahre zuvor in den Schoß gefallen. Mit sich brachten sie die Staatsbezeichnung "Republik China". So heißt Taiwan offiziell noch immer. Chiang Kai-shek errichtete auf der Insel eine von den USA gestützte Ein-Parteien-Diktatur und fantasierte davon, das Festland wieder zurückzuerobern. Gleichzeitig drohte Peking mit einer Invasion.

Ein Soldat hisst die Flagge der "Republik China" (Foto: DW / K.Bardenhagen)
De facto ein souveräner Staat: Ein Soldat hisst die Flagge der "Republik China"Bild: DW / K.Bardenhagen

Während des Kalten Krieges betrachteten beide Seiten sich als das rechtmäßige China und redeten überhaupt nicht miteinander. Das änderte sich erst in den neunziger Jahren, als Taiwan zur Demokratie wurde und die Volksrepublik sich wirtschaftlich öffnete. Seitdem machen beide Seiten fleißig Geschäfte miteinander. Geld verdienen geht immer, trotz aller politischen Gegensätze.

Heute ist in Taiwan wieder Chiang Kai-sheks alte Partei an der Macht, die Kuomintang. Präsident Ma Ying-jeou will politische Entspannung und noch engere wirtschaftliche Verflechtung mit dem Festland: "Beide Seiten waren über 60 Jahre lang Feinde. Nun reden sie plötzlich miteinander über Tourismus, Studentenaustausch und Handel. Das ist sehr wichtig und historisch."

Gutes Verhältnis zwischen den Parteien

Taiwans Kuomintang und die kommunistische Partei Chinas – ausgerechnet die beiden früheren Todfeinde kommen heute gut miteinander zurecht. Denn sie haben einen gemeinsamen Gegner: Taiwans Opposition. Die wünscht sich Unabhängigkeit unter dem Namen Taiwan. Für diesen Fall droht Peking aber offen mit Krieg.

Präsident Ma Ying-jeou stellt sich den Fragen der Presse (Foto: DW / K.Bardenhagen)
Umstrittene Annäherung an China: Taiwans Präsident Ma Ying-jeou von der Kuomintang-ParteiBild: DW / K.Bardenhagen

Die Kuomintang ist für die Kommunisten weniger unbequem. Sie hält an der Republik China fest, die laut Verfassung noch immer ganz China umfasst. Das verbindet, und das macht es einfacher für Präsident Ma: "Beide Seiten sind jetzt bereit, die strittigen Themen zurückzustellen und sich auf die Gemeinsamkeiten zu konzentrieren. Wenn eine Frage für die Gespräche hinderlich ist, klammern wir sie aus und konzentrieren uns auf die dringenderen und wichtigeren Themen."

Durch diese pragmatische Politik soll Taiwan von Chinas Wirtschaftsboom profitieren. Den politischen Status Quo will Ma beibehalten. Weder Taiwans Demokratie noch seine Eigenständigkeit seien gefährdet. Das sehen Oppositionsanhänger wie Shieh Jhy-wey ganz anders: "Für dieses vermeintlich friedliche Verhältnis hat die Regierung von Ma Ying-jeou einen hohen Preis gezahlt. Taiwan hat sich in den letzten 18 Monaten mehrmals bei den Chinesen anbiedern müssen."

Geld und Militär: Pekings Doppelstrategie

So versucht Taiwan neuerdings nicht einmal mehr, in die UN aufgenommen zu werden. Und die Regierung verweigerte kürzlich der chinesischen Dissidentin und Menschenrechts-Aktivistin Rebya Kadeer die Einreise – mit Argumenten, die man sonst nur aus Peking hört. Shieh Jhy-wey warnt: "Die Chinesen wenden jetzt sozusagen Soft Power an, um uns weichzuklopfen. Die haben jetzt ein anderes Lockmittel aufgetischt, mit Geld, mit Geschäftsmöglichkeiten. Die größte Drohung ist, dass man durch dieses Verlockungsmittel die Fähigkeit verliert, diese Maske zu durchschauen."

Denn nach wie bedroht Peking das demokratische Taiwan mit mehr als 1000 Raketen und rüstet ständig weiter auf. Amerikanische Militärexperten warnen: Eine Invasion Taiwans wäre noch vor zehn Jahren zum Scheitern verurteilt gewesen. Doch inzwischen habe das Kräfteverhältnis sich umgekehrt. Nach sechzig Jahren arbeitet die Zeit also für die Volksrepublik.

Autor: Klaus Bardenhagen, Taipeh
Redaktion: Diana Hodali