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Trübe Aussichten für EU-Wirtschaftswachstum

Barbara Wesel 4. November 2014

Die neue EU-Kommission startet mit schlechten Nachrichten: Fünf Jahre nach Beginn der Eurokrise schwächelt die Wirtschaft weiter. Jetzt werden dringend Rezepte gegen die Krise gesucht. Aus Brüssel: Barbara Wesel.

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Symbolbild Konjunktur - deutsche Exporte in der EU - ein Containerschiff in Hamburg
Bild: picture-alliance/dpa

Es ist nicht gerade ein guter Start für den frisch gebackenen Vizepräsidenten der EU-Kommission, Jyrki Katainen. Der frühere finnische Regierungschef ist jetzt für Jobs und Wachstum zuständig und gilt als Anhänger des Europäischen Stabilitätspakts. Das kann man von seinem Teamkollegen Pierre Moscovici nicht direkt sagen, denn der frühere französische Finanzminister wird von Kritikern für den überschuldeten Staatshaushalt in Frankreich mitverantwortlich gemacht. Er wird in der Kommission für Wirtschaft und Finanzen zuständig sein und muss mit Jyrki Katainen zusammenarbeiten. Dass das noch nicht so richtig funktioniert, wurde klar, als Moscovici auf der Pressekonferenz zur Herbstprognose plötzlich ankündigte, er wolle nach Griechenland fahren, um dort Gespräche über das anstehende Ende des europäischen Hilfsprogramms zu führen. Genau das wolle er auch, warf der Finne da ein, man könne ja vielleicht zusammen nach Athen fliegen. Als Erstes werden die beiden neuen Kommissare wohl lernen müssen, ihre Termine zu koordinieren.

Langsame Erholung

Was sie dann allerdings zu verkünden hatten, waren die kümmerlichen Zahlen für die europäische Wirtschaftsentwicklung, die noch ihre Vorgänger erhoben haben. Die Tendenz ist trüb, und Hoffnung auf Besserung müssen sich Katainen und Moscovici selbst einreden. Ging Brüssel noch im Frühjahr von 1,6 Prozent Wachstum für dieses Jahr aus, wird die europäische Wirtschaft in diesem Jahr tatsächlich nur um 1,3 Prozent gewachsen sein. Und es geht ähnlich schwach weiter, insbesondere in der Eurozone: Auch 2015 werden sich die Mitgliedsländer mit einem Wirtschaftswachstum von nur 1,1 Prozent zufrieden geben müssen, erst 2016 soll der Motor wieder etwas anspringen. Was ist der Grund für diese langsame Entwicklung? Kommissar Katainen nennt die grundlegenden strukturellen Probleme, die schon vor der Eurokrise bekannt waren. Er sieht zweitens den Überhang von öffentlichen und privaten Schulden und drittens Spannungen an den Finanzmärkten seit der Krise als Ursachen - und schließlich den unsicheren und nicht umgesetzten Reformkurs in einigen Mitgliedsländern.

Pierre Moscovici im Europaparlament (Foto: AFP)
Pierre Moscovici: Frankreich soll sparenBild: EMMANUEL DUNAND/AFP/Getty Images

Auch beim bisherigen Musterschüler Deutschland sieht es nicht mehr so gut aus: 2014 wird die deutsche Wirtschaft am Rande einer Rezession entlang schrammen. Sie erzielt aber immerhin noch 1,3 Prozent Wachstum. Im nächsten Jahr wird es auf ähnlich niedrigem Niveau weitergehen und erst 2016 kommt die deutsche Konjunktur wieder in Gang - so die Vorhersage der EU-Kommission. Seine Rolle als europäische Konjunktur-Lokomotive wird Deutschland vorerst nur begrenzt spielen können. Kommissar Katainen empfiehlt vor diesem Hintergrund Investitionen in Infrastruktur und Bildung.

Sorgenkind Frankreich

Richtig düster aber sind die Aussichten für die zweitgrößte Volkswirtschaft in der Eurozone: In Frankreich liegt das Wachstum in diesem und im nächsten Jahr bei unter einem Prozent. Das ist nicht genug, um den Schuldenabbau vorantreiben zu können. Und die Neuverschuldung steigt unaufhaltsam: Bis 2016 soll sie auf 4,7 Prozent geklettert sein. Damit kommt der französische Staatshaushalt nicht einmal in die Nähe der Neuverschuldung von maximal drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die der Europäische Stabilitätspakt eigentlich vorschreibt.

Fabriken in Florange in Frankreich (Foto: L'est Republicain)
Frankreichs Industrie braucht ReformenBild: picture-alliance/dpa

Die Frage ist, ob und wie die EU-Kommission Frankreich nun noch mehr Zeit zum Schuldenabbau geben kann. Bis Ende des Monats muss sie sich zum Haushaltsentwurf aus Paris äußern. Eine Abmahnung aus Brüssel wird es zunächst nicht geben, so viel ist klar. Wie aber ein glaubwürdiger Spar- und Reformkurs für Frankreich aussehen könnte, ist noch offen.

Der französische Kommissar Pierre Moscovici sieht die europäische Politik unter Handlungsdruck: "Bei den letzten Europawahlen gab es von den Wählern eine für uns beunruhigende Nachricht: Sie sagen uns, dass sie Wachstum und Jobs wollen. Deshalb ist es richtig, dass Präsident Juncker uns die 'Kommission der letzten Chance' nennt." Wenn es in den nächsten fünf Jahren keinen klaren Willen und kein entschiedenes Handeln für Wachstum und Arbeitsplätze gebe, könnten die Leute am europäischen Projekt verzweifeln. "Und deshalb müssen wir der europäischen Politik eine neue Dimension hinzufügen. Stabilisierung ist und war notwendig - jetzt brauchen wir mehr Dynamik." Damit meint er Investitionen, und liegt nach wie vor auf einer Linie mit der Regierung in Paris. Für die Europäische Kommission aber soll der Schub aus dem 300 Milliarden Euro schweren Investitionspaket entstehen, das Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker angekündigt hat, dessen Einzelheiten aber nach wie vor unbekannt sind.

Frühere Krisenländer erholen sich

Doch es gibt auch positive Entwicklungen: Die Wirtschaft in Irland ist um sensationelle 3,6 Prozent gewachsen - da verblasst bereits die Erinnerung an den Schock der Schuldenkrise. Auch in Spanien geht es wieder deutlich bergauf - für das kommende Jahr werden 1,7 Prozent Wachstum erwartet.

Katastrophal hoch ist dort allerdings nach wie vor die Arbeitslosigkeit mit deutlich über 20 Prozent. Insgesamt gilt für die Eurozone: Die Arbeitslosigkeit wird in den nächsten zwei Jahren nur unwesentlich sinken und weiterhin bei über zehn Prozent liegen. Als Gegenmittel verschreibt die Kommission weiterhin ehrgeizige Strukturreformen und öffentliche Investitionen. Die Frage, warum ausgerechnet der Euroraum das schwächste Wirtschaftswachstum von den entwickelten Wirtschaftsregionen der Welt zu verzeichnen hat, kann Kommissar Katainen allerdings nicht so richtig beantworten. Zum einen schlage sich die weltweite Krisenlage von der Ukraine bis zum Nahen und Mittleren Osten besonders auf Europa nieder. Und im Rückblick hätten sich einige Mitgliedsländer wohl auch in falscher Sicherheit gewiegt, fügt er hinzu. Schließlich kann auch die Eurozone nur so stark sein, wie die Summe ihrer Mitglieder.