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Tourismusflaute in der Türkei

Susanne Güsten4. Juli 2006

Zweistellige Zuwachsraten vermeldete der türkische Tourismus seit Jahren ebenso regelmäßig wie zuverlässig. Doch plötzlich ist es mit der Euphorie vorbei und die Anbieter verzeichnen Rückgänge von bis zu 50 Prozent.

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Blick auf das St. Peter Kastell in BodrumBild: picture-alliance/ dpa

In jedem Sommer der letzten Jahre reisten ein paar Millionen mehr Westeuropäer in die Türkei, die dank Massentourismus und Alles-Inklusive-System immer billiger wurde. Nun aber gehen die Buchungen bei Reisebüros, Hotels und Agenturen zurück. Ob das an den Terrordrohungen der Kurdengruppe TAK liegt, an dem Ausbruch von Vogelgrippe in der Türkei vor ein paar Monaten oder an der Karikaturenkrise, darüber wird in der Branche heftig diskutiert. Die Ursache mag noch im Dunkeln liegen, doch die Wirkung ist bereits sichtbar - zum Beispiel im Tourismusort Bodrum an der Ägäis.

Vogelgrippe Türkei
Auch in der Türkei grassiert seit einigen Monaten die VogelgrippeBild: dpa

Im Hafen von Bodrum schwappt das Wasser zwischen der Kaimauer und einer lückenlosen Reihe von Ausflugsbooten hin und her. Selbst zur heißesten Zeit am frühen Nachmittag ist kein einziges Boot draußen auf dem Meer, alle dümpeln am Kai vor sich hin. Murat Zümrüt von der Bodrumer Kapitäns-Kooperative sieht kein Land mehr: "Die Geschäfte gehen schlecht. Ob das an der Fußball- Weltmeisterschaft liegt, am Wetter oder an den Preisen - wer weiß". Doch was er weiß, ist, dass sehr wenige Touristen da sind. "Wir haben den Preis für eine Tagestour von 25 Euro auf 15 Euro gesenkt, das Mittagessen inklusive. Trotzdem kommt keiner."

Lokomotive Tourismus

Und das ist kein einseitiger Eindruck. Selbst die Touristen finden, dass wenig los ist in Bodrum, etwa die Urlauberin Eva Rauscher aus München: "Es ist eher leer, würde ich sagen. Auch wo wir wohnen, ist es leer. Ein Drittel bis die Hälfte, höchstens. Sehr ruhig." Für die Touristen mag das ganz geruhsam sein, für die Bootsbetreiber aber nicht, wie Murat Zümrü sagt: "Für uns Schiffer ist das schlimm. Die Saison währt ja nur wenige Monate, im Winter müssen die Schiffe gewartet und gestrichen werden, das ist teuer". Nur eine Saison, die ins Wasser fällt, sag Zümrü, kann für die Schiffer existenzgefährdend sein.

Türkei: Hafenstadt Bodrum
Im Hafen von Bodrum sieht es derzeit ruhig aus, anders als in den letzten JahrenBild: picture-alliance/ dpa

Und nicht nur für die Schiffer. Gut ein Viertel weniger Touristen als vor einem Jahr sind derzeit in Bodrum, sagt Mahmut Kocadan, der Vorsitzende der örtlichen Handelskammer. Und das bedeute für die Stadt und ihre Bewohner einen Schicksalsschlag: "Der Tourismus ist unser größter Sektor und unsere Lokomotive. Weil die Saison schlecht läuft, stehen die Hotels leer und beschäftigen keine Arbeitskräfte, die Händler verkaufen nichts, und das setzt sich im Domino-Effekt durch alle Branchen fort." Weit über Bodrum hinaus reichen die Folgen dieser Flaute, sagt Kocadan. Denn die meisten Beschäftigten im Bodrumer Tourismus seien Saisonarbeiter, die im Sommer aus der ganzen Türkei hierher kommen. "In diesem Jahr haben viele keine Arbeit bekommen. Hier bleiben können sie auch nicht, weil das Leben hier teuer ist. Also fahren sie in ihre Dörfer zurück und warten am Telefon, ob sich nicht doch noch ein Job ergibt."

Durchschlagen bis zum nächsten Sommer

Selbst für diejenigen, die noch Arbeit haben, brechen harte Zeiten an. In der Bar, in der Kellner Ahmet Dikmen arbeitet, sind die Umsätze um die Hälfte zurückgegangen: "Viele Kollegen haben ihren Job schon verloren, andere bekommen ihren Lohn nicht ausgezahlt. Das wird noch Ärger geben". Das Leben der Saisonarbeiter in Bodrum ist hart. Sie müssen im Sommer für das ganze Jahr verdienen, weil es im Winter keine Arbeit gibt. "Aber wenn das so weitergeht, werde ich meine Familie diesen Winter gerade mal einen Monat lang ernähren können", sagt Dikmen. "Danach werden wir Freunde und Verwandte anpumpen müssen, um uns bis zum nächsten Sommer durchzuschlagen."

Nicht nur den Angestellten, auch den Unternehmern geht es an die Existenz. Händlern wie dem T-Shirt-Verkäufer Erdal Dilek mangelt es nicht nur an der Masse der Touristen, sondern auch an der Klasse: "Miserabel gehen die Geschäfte. Das liegt nicht nur daran, dass weniger Touristen kommen, das liegt auch an dem zunehmenden Billigtourismus". Früher kamen betuchtere Urlauber nach Bodrum. "Aber diese Touristen, die jetzt kommen", sagt er, "die feilschen um jeden Pfennig, die wollen alles zum halben Preis. Und für uns Händler bleibt nichts mehr zum Leben."

Fast nur noch Billigtouristen

Die Klagen über die Billigheimer aus Westeuropa sind in Bodrum an jeder Ecke zu hören. Barmann Hüseyin Sengal ist verbittert: "Früher war das ein guter Urlaubsort hier, aber inzwischen kommen fast nur noch Billigtouristen. Dadurch hat sich Bodrum verändert, hier das Hafenviertel etwa. Früher waren hier gute Läden und Restaurants, jetzt gibt es überall nur noch die Stände mit billigen Markenimitationen. Billiges Zeug eben." Profitieren werde davon auf Dauer niemand, meint T-Shirt-Verkäufer Dilek, weder die Türken noch die Touristen: "Irgendwann funktioniert diese billige Tour nicht mehr, irgendwann wird es den Urlaubern selbst zu blöd. Diese Abwärtsspirale von Preis und Qualität führt ins Aus, und dann kommt überhaupt niemand mehr in die Türkei."