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Tourismus als Entwicklungsmotor?

10. März 2010

Nur wenige Nahost-Urlauber verbringen längere Zeit in der Westbank: Bethlehem, Hebron - und dann sind sie wieder weg. Palästinensische Organisationen wollen das jetzt ändern und setzen auf Tourismus als Wirtschaftsmotor.

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Idylle vor Grenzzaun: Szene nahe Bil´in, Foto: Knipp
Ganz anders als die Schlagzeilen: Die Palästinenser wollen ihr Image im Tourismus verbessernBild: Kersten Knipp

Man muss sich schon etwas bücken, um die kleine Pflanze in das Erdloch zu setzen. Soeben haben ein paar Männer und Frauen noch mit Sitzhacke und Schaufel kleine Kuhlen gegraben, jetzt stecken sie einen Windschutz über den zarten Stamm, in der Hoffnung, dass er die nächsten tausend oder gar zweitausend Jahre wachsen und gedeihen möge: 40 Besucher, alle aus Europa und Amerika, sind damit beschäftigt, Olivenbäume in Palästina zu setzen. An diesem milden Wintertag sind sie in Jab'a, einem kleinen Ort wenige Kilometer südwestlich von Bethlehem, nahe der Grenze zu Israel.

Pflanzarbeiten nahe Beit Ommar, Foto: Knipp
Platz ist auch am engsten Hang: Pflanzarbeiten nahe Beit OmmarBild: Kersten Knipp

Hier lebt Hamad Ali Habdan. Der Bauer ist ausgesprochen stolz auf die Pflanzen. Die Qualität des palästinensischen Olivenöls sei weltweit einzigartig, erklärt er. Es gebe kein besseres Öl als das palästinensische. Es habe einen der niedrigsten Säurewerte weltweit – und außerdem schmecke es so gut wie nirgends sonst auf der Welt, schwärmt er.

Nun schmeckt Olivenöl aus Spanien, Italien oder Griechenland auch nicht schlecht, aber darüber wollen die Besucher nicht diskutieren. Sie sind gekommen, um den Bauern zu helfen. Denn an der Grenze zu Israel, in der Nähe der Mauer oder der Grenzzäune, duldet Israel Olivenhaine nur ungern. Viele wurden mit Verweis auf Sicherheitsbedenken gekappt. Da das Land der Bauern aber oft in erheblichem Maß konfisziert wurde, sind sie darauf angewiesen, ihr Land auch in Nähe der Grenze und der Siedlugen zu bebauen. Dabei helfen ihnen die Touristen und bekommen zugleich einen Einblick in die politische Wirklichkeit Palästinas.

Tourismus und Politik

Was das bedeutet, erfahren die 40 Besucher im Gespräch mit den Farmern und aus eigener Anschauung. Sie nehmen teil an einem Olivenanbauprogramm, das von der "Alternative Tourism Group", einem privaten palästinensischen Tourismus-Unternehmen, veranstaltet wird. Spaziergänge durch die wunderbar sanfte Landschaft um Bethlehem gehören ebenso zum Programm wie die Arbeit auf dem Feld. Dabei lernen die Besucher die Lebenswirklichkeit der palästinensischen Bauern kennen. Und darauf kommt es den palästinensischen Organisatoren solcher Touren an.

In Palästina, erläutert Rami Al Qassis, der Direktor der "Alternative Tourism Group", sei der Tourismus nicht nur wirtschaftlich von Bedeutung. Israel habe den Tourismus dominiert, seit es Palästina besetzt habe. In Israel habe man sehr genau gewusst, wie man mit Hilfe des Tourismus das Image des Landes beeinflusse. Zwar seien die Touristen auch nach Palästina gekommen, doch hätten sie ihre Touren meist mit israelischen Führern gemacht. Ebenso hätten sie auch israelischen Hotels übernachtet. Auch hätten sie sich überwiegend mit Israelis unterhalten. Das sei für Palästina nicht ohne Folgen geblieben: Die Touristen seien mit negativen Vorstellungen über die Palästinenser in ihre Heimatländer zurückgekehrt, so Al Qassis, und sie selbst hätten keine Chance gehabt, den Besuchern ihre Sicht der Dinge darzulegen.

Olivenernte im Westjordanland, Foto: Hodali
Palästinensisches Olivenöl hat den niedrigsten Säurewerte weltweit – und außerdem schmecke es so gut, wie nirgends sonst auf der Welt, schwärmt Hamad Ali Habdan.Bild: DW/ Diana Hodali

Dialog und Annäherung

Den Zahlen nach könnten sich die Palästinenser über mangelnden Tourismus eigentlich nicht beklagen: Über zweieinhalb Millionen Reisende besuchten das Land im Jahr 2009 – ihre Zahl steigt seit Jahren. Das Problem ist nur: Sie bleiben nicht lange. Die allermeisten sind nur auf Kurzvisite da, besuchen für einige Stunden die heiligen Stätten in Bethlehem oder Hebron und sind dann wieder weg. Mit Palästinensern kommen sie während dieser Zeit kaum in Kontakt. Oftmals, berichten Gastwirte, nähmen sie nicht einmal ihre Mahlzeiten in Palästina zu sich. Umso wichtiger sind Aktivitäten wie die der "Alternative Tourism Group", die auch mit anderen Organisationen zusammenarbeitet.

So etwa mit dem "Center for Freedom and Justice“, einer Organisation, die sich ebenfalls für den Tourismus organisiert. Younes Arar, einer ihrer Mitarbeiter, führt die 40 Europäer und Amerikaner zu einem Feld nahe einer jüdischen Siedlung. Auch hier werden junge Olivenbäume gepflanzt. Die Nichtregierungsorganisationen, erklärt Arar am Rande der Arbeiten, setzten ihr gesamtes Wissen daran, Menschen nach Palästina einzuladen. Man suche den Kontakt mit ihnen – und zwar auch, um von ihnen zu lernen. Seine Organisation kümmere sich um Touristen, erklärt er. Sie suche aber auch den Kontakt zu NGOs aus dem Ausland, um mit ihnen Erfahrungen auszutauschen und die Techniken der Öffentlichkeitsarbeit weiter zu entwickeln.

Bezaubernde Landschaft, freundliche Menschen

Younes Arar versichert: Die Begegnungen zwischen Touristen und Palästinensern verliefen ebenso herzlich wie intensiv. In alle Richtungen abgeschnitten durch nicht leicht zu durchschreitende Grenzen, bei Reisen ins Ausland immer auf die Erlaubnis des israelischen Staates angewiesen, freuen sich die Palästinenser über Besucher und lieben es, sich mit ihnen zu unterhalten. Und die Gäste werden sich wundern: Denn anstatt religiöser Extremisten begegnen ihnen viele hoch gebildete und entgegenkommende Menschen. Angesichts ihrer Freundlichkeit sowie der Schönheit der Landschaft ist es erstaunlich, dass die meisten Touristen nicht für mehr als nur ein paar Stunden in das Land kommen. Schuld daran ist das schlechte Image der Palästinenser, ein Image, wie es nur in einer Krisenregion entstehen kann. Genau das, erklärt Rami Al Qassis, wollten die palästinensischen Tourismus-Organisation nun überwinden.

Straßenszene in Hebron, Foto: Knipp
Alles für den Erdbeermund: Straßenszene in HebronBild: Kersten Knipp

Allzu lange hätten die Palästinenser nicht daran gedacht, den Tourismus für ihr Anliegen zu nutzen, erklärt er. Das wolle man nun aber ändern, allerdings nicht auf propagandistischem Weg, sondern indem man den Besuchern die Gelegenheit gebe, beide Seiten kennen zu lernen. Man wolle den Besuchern ermöglichen, die Lage mit eigenen Augen zu sehen. Dadurch, so hofft er, könne man Vorbehalte gegenüber den Palästinensern überwinden.

Am Ende haben die 40 Touristen aus Europa und Amerika über 1600 junge Olivenbäume gepflanzt. Das ist eine sehr handfeste Hilfe für die palästinensischen Bauern. Es ist aber auch ein Zeichen der Hoffnung - der Hoffnung auf weitere Gäste in einem Land, das seine Besucher mit offenen Armen empfängt.

Autor: Kersten Knipp

Redaktion: Ina Rottscheidt