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Top-Designer findet WM-Kampagne "beschämend"

Kyle James / (fb)13. Juni 2006

Erik Spiekermann, einer der angesehendsten Designer Deutschlands, hält nicht viel vom Werbe-Konzept der Fußball-WM - vom Maskottchen bis zum Logo. In einem Interview mit DW-WORLD.DE verrät er, warum.

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Das Logo enthält zu viele Informationen, sagt SpiekermannBild: picture-alliance/ dpa
Erik Spiekermann
Erik SpiekermannBild: Andreas Deffner

Erik Spiekermann gehört zu Deutschlands bekanntesten Typographen und Designern. Er ist Mitbegründer von "MetaDesign", einem deutschlandweit führenden Studio für Corporate Design und Markenbildung, zu deren Kunden die Firmen Apple, Audi, VW, IBM und Nike gehören. Er hat die Fahrgastinformationssysteme für die Deutsche Bahn entworfen und war an der Neugestaltung des Magazins "The Economist" beteiligt. Er ist Honorarprofessor an der Hochschule der Künste in Bremen und früherer Präsident des International Institute for Information Design. An der Gestaltung für die Fußball-Weltmeisterschaft war er nicht beteiligt.

DW-WORLD.DE: Sie haben sich sehr kritisch über das Maskottchen der Weltmeisterschaft, Goleo, geäußert. Warum?

Erik Spiekermann: Nicht nur über das Maskottchen, sondern über die ganze Angelegenheit. Ich meine, das Maskottchen selbst ist das typische Ergebnis zu vieler Beteiligter. Es ist ein Löwe, der keinerlei historischen Bezug zu Deutschland aufweist. Da hätte es Adler, Gnomen, Gartenzwerge oder sonst irgendwas gegeben, aber keine Löwen. Die tauchen in England oder Frankreich auf. Das Maskottchen heißt Goleo, "Gol" wie das spanische Wort für "Tor" und "leo" wie das italienische, lateinische oder spanische Wort für Löwe. Offensichtlich versucht man damit, ein weltweites Publikum anzusprechen, was nett gemeint ist, aber doch etwas herablassend wirkt. Warum bleiben wir nicht in Deutschland und nennen es "Fritz" oder so ähnlich? Wir sind Deutsche und das sollten wir uns eingestehen. Dieser künstliche Löwe ist weder niedlich, noch hässlich, noch passend; er ist einfach nur peinlich.

Zu viele Köche verderben den Brei. Trifft dies hier zu?

BdT Freundschaftsspiel Ronaldo & Friends vs. Zidane & Friends gegen den Hunger, Fußball, Goleo
Goleo IV - ofizielles und oft verspottetes Maskottchen der WMBild: AP

Als ich den Löwen und das Logo, also das gesamte Design-Konzept für die WM, das erste Mal sah, dachte ich: "Oh mein Gott, die armen Designer". Ich war da und habe mit einigen der Kunden verhandelt. Ich habe einige der Designer getroffen, die dieses Design verbrochen haben und ich weiß, dass sie von Anfang an benachteiligt waren. Jeder hat eigene Vorstellungen von einem Design für ein Event dieser Größenordnung, vom Geschäftsführer bis zu seiner Frau gibt es da eine ganze Reihe von Leuten. Und es gibt viel zu viele Gremien und Sitzungen, wo Änderungen von Leuten gefordert werden, die nicht wirklich wissen, was sie tun. Am Ende, nach all dem Aufwand, ist der gemeinsame Nenner nur noch ein sehr, sehr kleiner. Ich würde keinem der Leute einen Job geben, die hinter diesem Design stecken.

Warum glauben Sie nicht daran, dass dieses Konzept funktionieren kann, allem voran das Logo?

Zuallererst, weil es darin zu viele Botschaften gibt. Der erste Auftrag war: Wir müssen Deutschland da mit reinbringen, dann auch noch 2006, und die FIFA, dann müssen fröhliche Menschen dazu, die Farbe Grün für den Rasen, und dann natürlich auch noch die deutschen Nationalfarben. Also haben wir Grün und Schwarz und Rot und Gelb und fröhliche Gesichter und die FIFA, viel zu viele Botschaften. Wenn sie sich das ansehen und die einzelnen Motive zählen ist das eine Ohrfeige für effektive Kommunikation.

Gab es in der Vergangenheit bessere Beispiele in Deutschland?

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"Waldi" hieß das Maskottchen der Olympischen Spiele von 1972Bild: dpa

Ja. Da gibt es ein ganz offensichtliches Beispiel: die Olympiade von 1972. Das war genau die andere Seite deutschen Designs. Sie wurde von einer Gruppe rund um Otl Aicher gestaltet, einem Begründer der alten Schule, der sehr dem Bauhaus verpflichtet war, deutsche, protestantische Tradition. Es war ein sehr strenges Design, aber es ist ihnen gelungen, pastellene, helle Farben mit hineinzubringen, wodurch es sauber und aufgeräumt und dadurch deutsch aussah, aber immer noch lustig und intelligent wirkte.

Und das Maskottchen war ein kleiner Dackel und deutscher geht es ja nun wirklich nicht mehr. Er wurde über mehrere Jahre hinweg entworfen, von den Besten, die es damals gab, aber die Jungs in München, die für dieses Jahr die WM gestaltet haben, sind bloß deshalb ausgewählt worden, weil sie irgend einen hochrangigen Funktionär der FIFA kennen. So etwas schadet unserem Ansehen.

Warum denken Sie, dass die WM-Designer es vermieden haben, zu "deutsch" zu wirken?

Das liegt zum Teil daran, dass wir immer noch dieses Kreuz zu tragen haben. Du kannst nicht stolz darauf sein, Deutscher zu sein, weil wir eine so schlimme Geschichte haben, zumindest geht das meiner Generation so, und ich wurde 1947 geboren. Die Kunden in diesem Fall entstammen dieser Generation oder sind noch älter, und ich denke, sie haben versucht, der Welt alles in einem einzigen, mit Fröhlichkeit gefüllten Paket zu verkaufen. Es ist so, als würde man einen Witz gestalten wollen, und das geht einfach nicht. Ich denke, der ursprüngliche Arbeitsauftrag wird über allem geschwebt haben. Mit all den Dingen, die es zu vermeiden galt und all den Dingen, die man unbedingt mit hineinbringen wollte, war es unmöglich, ein gutes Ergebnis zu erzielen. Außer natürlich für einen Designer mit starker Persönlichkeit, der den Entscheidungsträgern zu verstehen gegeben hätte, dass sie sich nicht einmischen sollten, was die Designer in diesem Fall aber nicht getan haben. Sie haben nur ihr Geld genommen und sind abgehauen.

Bei der Weltmeisterschaft soll es in erster Linie um Fußball gehen. Warum ist das Design überhaupt so wichtig?

Es erfüllt eine ganz direkte Funktion, es zeigt Dir den Weg, führt Dich zum Ziel, die Leinwände, die Stadien, viele Dinge. Es sagt den Leuten: "Diese Botschaft betrifft die Weltmeisterschaft." Es ist ähnlich wie bei den meisten Orts- oder Event-Gestaltungen: Du musst den Leuten deine Anwesenheit verkaufen, dich bekannt machen. Wenn sie einmal in dem System drin sind, sagt ihnen das Design, ob sie auf dem richtigen Weg sind und zeigt ihnen, was mit ihnen passieren wird. Design hat eine funktionale Rolle, aber es erzeugt auch eine Stimmung.

Welche Botschaft transportiert denn das aktuelle Design Ihrer Meinung nach?

Regierungserklärung, Bundeskanzlerin Merkel
Ist das WM-Design ein Spiegel der großen Koalition unter Leitung von Franz Müntefering und Angela Merkel?Bild: AP

Es kommuniziert die Tatsache, dass die Leute, die es entworfen haben, kein Vertrauen in ihre Fähigkeiten hatten und dass sie versuchen wollten, es allen recht zu machen. Sie sind überorganisiert; es gibt zu viele Botschaften; und niemand will die Verantwortung übernehmen. Tatsächlich ist das ein perfekter Spiegel der aktuellen gesellschaftlichen Situation in Deutschland. Das ist ähnlich wie in der großen Koalition - zwei große Parteien, die sich gegenseitig aushebeln, weil niemand in der Lage ist, Entscheidungen zu treffen. Jeder versucht nur nett zu sein. Jeder weiß, dass wir etwas tun müssen, die Gesellschaft verändern, unser Verhalten ändern und die Wirtschaft, aber niemand will den ersten Schritt machen, weil wir zu träge sind. Wir haben es uns unter unserer Decke gemütlich gemacht. Wir wissen, da draußen ist es kalt, also bleiben wir drin und kuscheln. Diese Form des WM-Designs ist einfach eine Form des gemeinschaftlichen Kuschelns - der Versuch, es jedem Recht zu machen und bloß keinen Finger unter der Decke hervorgucken zu lassen.

Um jeden Preis Diskussionen verhindern?

Genau. Und am Ende wird es darauf hinauslaufen, dass es unglaublich langweilig wird. Deutsches Design hat einen Namen, es ist bekannt dafür, deutsch zu sein. Man kauft einen Porsche oder einen BMW oder einen Audi, weil er deutsch ist, nicht obwohl er deutsch ist. Das mag nicht jeder. Das Design ist markant; es ist nicht herablassend. Dasselbe gilt für das Grafik-Design, das bei uns eine große Tradition hat. Aber genau aus diesem Grund hat es keinen Eingang in den Fußball gefunden. Das ist eine Schande, denn die Menschen, die von überall her gekommen sind, werden jetzt denken, dass deutsches Design eben so ist und für mich persönlich ist das peinlich. Am liebsten würde ich mich verstecken und behaupten, ich sei Gehirnchirurg oder sonst was.

Was würden Sie den Designern des WM-Projekts sagen?

Seht zu, dass ihr euer Geld in einem anderen Job verdient.