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Politik

Todesstrafe: Der lange Weg zur Ächtung

Nermin Ismail
8. September 2018

Jahrtausendelang war die Todesstrafe weltweit eine übliche Strafform. Seit Beginn der Aufklärung im 18. Jahrhundert geriet sie zunehmend in Verruf. Heute ist die Todesstrafe auf dem Rückzug - wenn auch nicht überall.

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Aktion gegen Folter und Todesstrafe
In Berlin wurde gegen die Todesstrafe weltweit demonstriertBild: Picture-alliance/dpa/W. Steinberg

Zuerst wurde der 39-jährige Lee Hung-chi wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Obere Gericht Taiwans veränderte später aber die Strafe in eine Todesstrafe. Ende August, an einem Freitagnachmittag, wurde der Mann durch einen gezielten Schuss ins Herz hingerichtet. Eigentlich wollte Präsidentin Tsai Ing-wen in ihrer Regierungszeit auf eine Abschaffung der Todesstrafe hinarbeiten. Doch nun wurde zum ersten Mal seit ihrem Amtsantritt im Mai 2016 wieder ein Todesurteil in Taiwan vollstreckt.

In Saudi-Arabien bezichtigt die Regierung eine schiitische Menschenrechtlerin  Israa al-Ghomghamder der Aufwiegelung. Der 29-Jährigen und vier weiteren Aktivisten droht momentan die Todesstrafe. In Saudi-Arabien erfolgt diese durch Enthauptung. Sie war Anfang Dezember 2015 festgenommen worden und seitdem ohne Rechtsbeistand im Gefängnis. Ihr Verbrechen: "Teilnahme an Protesten".

Dies sind nur zwei von tausenden aktuellen Fällen weltweit, in denen die Todesstrafe ausgesprochen wurde. Dabei gab es - nicht zuletzt bedingt durch die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs - ab 1945 eine breite Bewegung, die dafür eintrat, die universalen Grundrechte aller Menschen vertraglich festzuschreiben. 1948 wurde daher in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgehalten: "Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person". Doch auch heute halten laut der Menschenrechtsorganisation Amnesty International weltweit noch immer 56 Staaten an der Todesstrafe fest - auch wenn die Zahl der Staaten in den vergangenen Jahren immer weiter zurückging.

Deutschland: Letzte Vollstreckung 1981 in der DDR

Die Todesstrafe, das juristisch legitimierte Töten eines Menschen, gehört zu den ältesten Strafmethoden der Welt und findet seit Jahrtausenden Anwendung. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war die Exekution eine übliche Strafform in nahezu jedem Justizsystem der Welt. Mit der dann einsetzenden Aufklärung entstand im europäischen Humanismus eine erste wirkliche Opposition gegen die Todesstrafe. Ein bekanntes Werk dieser Zeit, das die Ungerechtigkeit der Hinrichtung erläuterte, schrieb der italienische Jurist Cesare Beccaria im Jahre 1764: "Dei delitti e delle pene" (dt.: "Von den Verbrechen und von den Strafen"). Schon damals forderte er die Abschaffung dieser Strafform und zeigte Fälle von Justizirrtümern auf.

Im Zuge der Märzrevolutionen von 1848/49 fanden die Forderungen nach einer Abschaffung der Todesstrafe auch Einzug in die bürgerlichen Parlamente, insbesondere in die französische Nationalversammlung und in die Frankfurter Paulskirche. Auch wenn die Revolutionen scheiterten, diskutierten Akademiker fortan intensiv über die Todesstrafe. Vertreter der Demokratiebewegung und der Arbeiterbewegung forderten zusammen mit Bürger- und Menschenrechten die allgemeine Abschaffung der Todesstrafe.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kamen in zahlreichen Ländern Europas faschistische und totalitäre Regime an die Macht. Besonders in der Sowjetunion und im Dritten Reich kam es zu massenhaften Justizmorden. Die Todesstrafe erwies sich damit als missbrauchbares Herrschaftsinstrument. Darum wurde nach Kriegsende in vielen westlichen Gesellschaften zunehmend ihre Abschaffung gefordert.

In der Bundesrepublik Deutschland wurde die Todesstrafe erst durch das Grundgesetz 1949 abgeschafft. In den 1950er Jahren gab es Versuche, sie wieder einzuführen. Doch diese scheiterten. Anders in der DDR: Dort wurden Todesurteile erst durch die Guillotine, dann durch Erschießen, noch bis weit in die Nachkriegszeit hinein vollstreckt. Die letzte Exekution fand 1981 statt. Abgeschafft wurde die Todesstrafe sogar erst 1987 auf Beschluss des Staatsrates.

In Europa wurde 1982 erstmals ein rechtlich bindendes Instrument zur Abschaffung der Hinrichtung verabschiedet. "Die Todesstrafe ist abgeschafft. Niemand darf zu dieser Strafe verurteilt oder hingerichtet werden", heißt es im Protokoll 6, welches ergänzend zur Europäischen Menschenrechtskonvention aufgenommen wurde. Ausnahmen galten lediglich für Kriegszeiten. Unter allen Umständen wurde die Todesstrafe in Europa erst 2002 verboten. Heute ist Weißrussland das einzige Land des Kontinents, in dem sie noch angewendet wird.

Argumente der Befürworter

Um die Beibehaltung der Todesstrafe zu rechtfertigen, argumentieren die Befürworter damit, dass die Exekution als Abschreckung für Verbrechen benötigt werde. Doch kaum eine wissenschaftliche Untersuchung unterstützt diese These. Im Gegenteil: 2002 lieferte eine Studie des Zentrums für Kriminologische Forschung an der Universität Oxford Beweise, die die Abschreckungsthese widerlegen. Auch das Argument, diese Strafform würde Gerechtigkeit schaffen, wird von der Praxis entkräftet. Immer noch bestehe das Risiko der Hinrichtung Unschuldiger, so Alexander Bojčević von Amnesty International: "Das zentralste Menschenrecht ist das Recht auf Leben. Der Staat darf in keinem Fall töten - außer bei äußerster Notwehr." Die Gefahr von Willkür oder politischem Missbrauch sei immer gegeben. Das Völkerrecht beschränkt die Todesstrafe zwar auf die "schwersten Verbrechen". Aber wie diese zu definieren sind, das bestimmen die despotischen Machthaber mancher Staaten selbst. 

In der Praxis gehe es um andere Fragen:  "Es geht nicht um Kant und Voltaire, es geht um brutale Gewalt, die oft willkürlich stattfindet. Diese Prozessfilme, die wir kennen, wo alles schön nach Regeln der Justiz läuft, das entspricht nicht der Realität. In der Realität werden Geständnisse unter Folter erpresst und von Gerichten anerkannt", meint Experte Bojčević. Ein Rückschritt sei laut Amnesty International die Zunahme von Prozessen, die nicht den internationalen Rechtsstandards entsprechen. 

Dieses Jahr erklärte der Vatikan die Todesstrafe als unzulässig. In einer offiziellen Änderung des Katechismus heißt es, die Todesstrafe sei nun von der Lehre ausgeschlossen, "weil sie gegen die Unantastbarkeit und Würde der Person verstößt". Der Sinn von Strafen habe sich heute gewandelt und auch die Haftsysteme seien inzwischen wirksamer. Somit könne sowohl die Besserung des Täters als auch die Sicherheit der Bürger gewährleistet werden, ohne jemanden das Leben endgültig zu nehmen.

Internationale Situation

Die Weltgemeinschaft macht diesbezüglich Fortschritte: Immer mehr Staaten schaffen die Todesstrafe ab. 2017 wurden insgesamt 2591 Menschen in 53 Ländern zum Tode verurteilt. 2016 waren es 3117 in 55 Ländern. Die meisten Hinrichtungen fanden im Vorjahr in China, im Iran, in Saudi-Arabien, im Irak und in Pakistan statt. China nimmt die meisten Hinrichtungen vor. Eine genaue Anzahl der vollzogenen Exekutionen ist nicht bekannt, da das Land sie als Staatsgeheimnis behandelt und seit 2009 nicht mehr veröffentlicht. 

Und doch ist eine Fortführung des Trends hin zur weltweiten Abschaffung der Todesstrafe nicht garantiert. Die internationale Bewegung zu ihrer Abschaffung ist ein relativ junges Phänomen. In manchen Ländern, etwa in der Türkei oder in Israel, gibt es Bestrebungen, die bereits abgeschaffte Todesstrafe wieder einzuführen oder die Tatbestände, für die sie ausgesprochen wird, auszuweiten.