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Tierbesitzer suchen Hilfe bei Tiertafeln

1. November 2010

In Deutschland fehlt es immer mehr Menschen an Geld für die Ernährung ihrer Haustiere. Um Tieren und Menschen zu helfen, haben Tierfreunde den gemeinnützigen Verein "Tiertafel" ins Leben gerufen. Der Bedarf wächst.

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Syliva Menge bei der Futterausgabe (Foto: DW / Seiler)
Syliva Menge bei der Futterausgabe - 150 Bedürftige kommen jede WocheBild: Marco Glas

Es sind vor allem arme Rentner, Arbeitslose oder Obdachlose, die vor der Münchener Tiertafel stehen und in das alte Gebäude neben den Eisenbahnschienen drängen - viele haben ihren Hund dabei. Die Räume der Tiertafel wirken trotz des baufälligen Zustandes freundlich. Die ehrenamtlichen Helferinnen haben sich viel Mühe gegeben. An den Wänden sind orangefarbene und grüne Hundetatzen aufgemalt. Fotos der Mitarbeiterinnen mit Spendern hängen an den Wänden. In den Regalen lagert kiloweise Tierfutter.

Vor der Ausgabetheke stehen fünf Tierhalter und warten auf das Futter für ihre vierbeinigen Freunde. Susanne M. hat gerade ihre Karteikarte abgeholt - ohne die geht nichts. Darauf sind alle wichtige Daten vermerkt: Seit wann sie arbeitslos ist, das Geburtsdatum ihrer Schäferhündin Lila sowie Krankheiten, Impfungen und die Menge des Futters, das Lila zusteht. Ehrenamtlerin Sylvia Menge, die hinter der Theke bedient, begrüßt Schäferhündin Lila. Susanne M. muss Lila mit allen Leibeskräften zurückhalten. Denn ihre Schäferhündin versucht, auf die Theke zu springen. Dort liegen kleine Leckereien für die Hunde.

Kundenanzahl hat sich vervierfacht

Sylvia Menge geht offen und unbeschwert auf ihre Kunden und Hunde zu, um ihnen gleich von Anfang an die Scheu zu nehmen. Susanne M. kommt seit Anfang des Jahres zur Tiertafel. Nach einem schweren Unfall musste sie ihr Geschäft aufgeben: "Dann hatte ich noch meine Hündin, die ich versorgen musste. Ich wusste einfach nicht mehr, wie es weitergehen soll." Sie sei überglücklich gewesen, als sie von der Tiertafel gehört habe, denn sonst hätte sie ihre Hündin weggeben müssen. Zwar unterstützt der Staat Susanne M. mit einer Grundsicherung, dem sogenannten Arbeitslosengeld 2, auch Hartz IV genannt. Das aber reicht gerade für das eigene Überleben.

Leiterin Michael Köhler mit Hund - seit zwei Jahren gibt es die Tiertafel auch in München (Foto: DW / Seiler)
Leiterin Michael Köhler - seit zwei Jahren gibt es die Tiertafel auch in MünchenBild: Marco Glas

Vor allem seit der Wirtschaftskrise wachse die Zahl der Bedürftigen, erzählt Michaela Köhler, die Leiterin der Münchener Tiertafel. "Es kommen immer mehr Menschen, die Mitte 50 ihren Job verloren haben und nicht mehr in den Arbeitsmarkt reinkommen." Im letzten Jahr habe sich die Kundenanzahl vervierfacht.

Tierschutz ist Menschenschutz

In Deutschland gibt es inzwischen 25 Tiertafeln. In jeder Ausgabestelle arbeiten 12 bis 15 Helfer. Bei der Münchener Tiertafel geht jedes Wochenende eine halbe Tonne Tierfutter über die Ausgabetheke, gespendet von Privatleuten und Tierhandlungen. Dazu kommen Sachspenden, wie Hundeleinen, Käfige oder Katzenbäume sowie Geldspenden. 600 Euro kommen pro Monat zusammen. Davon bezahlt die Tiertafel die Miete, Tierarztkosten oder auch mal ein Hundetraining.

Die Kunden holen sich jede Woche Futter für fünf Tage. Tiere seien für viele Menschen ein wichtiger Halt, berichtet Michaela Köhler. Gerade bei älteren Leuten könne man das sehen: "Nimmt man einer alten Dame ihren Hund weg, dann hat das schlimme Folgen: Sie kommt nicht mehr raus, sie übernimmt keine Verantwortung mehr und hat keine Struktur mehr im Tagesablauf." Jeder Tierbesitzer wisse, dass ein Tier zur Familie gehöre. Wenn es dann finanziell eng sei und das Tier weg müsse, sei das eine Katastrophe.

Viel ehrenamtliches Engagement

Vier Frauen in einer Reihe stehend - die ehrenamtliche Helferinnen der Münchner Tiertafel (Foto: DW / Seiler)
Die ehrenamtlichen Helferinnen der Münchner TiertafelBild: Marco Glas

Die Ehrenamtlichen geben nicht nur Futter aus, sondern beraten ihre Kunden auch bei Problemen mit ihren Tieren oder Erfahrungen im Umgang mit Tieren ganz allgemein.

Die 48-jährige Sylvia Menge ist mit Hunden groß geworden. Sie ist seit 2008 bei der Münchener Tiertafel. Hauptberuflich ist sie Personalleiterin eines Medizintechnikkonzerns, hat eine eigene Familie. Der Tiertafel widmet sie acht Stunden pro Woche. Zuviel werde ihr das nicht. Für sie stehe Tier- und Nächstenliebe im Vordergrund, das gäbe ihr Kraft: "Ich könnte mir fast nichts Schlimmeres vorstellen, als wenn man in einer Notlage ist und dann noch den besten Freund wegen ein paar Euros verliert."

Autorin: Anja Seiler
Redaktion: Matthias von Hein / Kay-Alexander Scholz