1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Der Boom der Terrorismusversicherung

Sabrina Müller-Plotnikow
1. Dezember 2017

München, Ansbach, Berlin: Nach Anschlägen stellt sich die Frage, wer für die Folgen aufkommt. Die Nachfrage nach speziellen Versicherungen steigt. Doch nichts lässt sich schwerer berechnen als das Risiko dieser Taten.

https://p.dw.com/p/2ob1s
Nach Amoklauf am Olympia Einkaufszentrum in München Trauer (Foto: picture-alliance/AP Photo/J. Meyer)
München 2016: Die anfänglich als Terroranschlag eingestufte Tat entpuppte sich als Amoklauf Bild: picture-alliance/AP Photo/J. Meyer

22. Juli 2016: Der 18-jährige Schüler David S. erschießt im und am Olympia-Einkaufszentrum in München Kinder und Jugendliche. In der ganzen Metropole herrscht danach Ausnahmezustand. Die Münchener Polizei sperrt das Einkaufszentrum und umliegende Bezirke und verfolgt mit Hochdruck den Täter. Doch der vermutete Terroranschlag entpuppt sich als Amoklauf eines rechtsextremen Einzelgängers. Neun Menschen sterben. Nur zwei Tage später zündet ein syrischer Flüchtling vor einem Lokal in Ansbach in Bayern eine Bombe. Bei dem Anschlag werden 15 Menschen verletzt, der 27-jährige Attentäter kommt dabei ums Leben. Später wird bekannt, dass er Verbindungen zur Terror-Organisation "Islamischer Staat" hatte.

Verfolgungsjagd durch Berlin

19. Dezember 2016: Gegen 20 Uhr steuert der islamistische Attentäter Anis Amri einen LKW auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz. Elf Besucher sterben, mehr als 50 Menschen werden verletzt, einige lebensbedrohlich. Während der Verfolgungsjagd werden die Straßen rund um den Platz an der Berliner Gedächtniskirche gesperrt. Der Weihnachtsmarkt bleibt geschlossen.

Terrorwaffe LKW bei Berliner Weihnachtsmarktanschlag (2016)
Terrorwaffe LKW bei Berliner Weihnachtsmarktanschlag (2016): Unkalkulierbares RisikoBild: picture-alliance/rtn-radio tele nord rtn/P. Wuest

Nach diesen Anschlägen ist innerhalb kürzester Zeit die Angst vor weiteren Terroranschlägen in Deutschland gewachsen. Viele sind der Ansicht, dass es nur noch eine Frage der Zeit sei, wann ein noch größerer Terrorakt passiert. Innenminister Thomas de Maizière schätzt die Zahl der gewaltbereiten Salafisten auf 690 - so viele Gefährder wie nie zuvor. "Wir müssen davon ausgehen, dass mit weiteren Anschlägen durch Einzeltäter oder durch Terrorkommandos auch in Deutschland gerechnet werden muss", so de Maizière.

Gerhard Heidbrink
Extremus-Chef Heidbrink: "Hohes Bedrohungsrisiko"Bild: Extremus AG

Ein Bedrohungspotenzial, das die Versicherungswirtschaft bereits seit den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA entdeckt hat. Die Nachfrage steigt, bestätigt Gerhard Heidbrink, Vorstandsvorsitzender der Extremus Versicherungs-AG. Im Jahr 2004 hatte der Versicherer eine Gesamtversicherungssumme von 410 Milliarden, die bis heute auf eine Versicherungssumme von 670 Milliarden Euro angestiegen ist. Schon damals habe man das Bedrohungsrisiko hoch eingeschätzt, und die Zahlen der Versicherungs-AG zeigten, dass das Bedrohungspotenzial und der Wille, solche Versicherungen abzuschließen, gestiegen seien, so Heidbrink im DW-Interview. Nach den Terroranschlägen in Paris 2015 seien die Versicherungssummen deutlich gestiegen. Der Versicherer verzeichnete in diesem Zeitraum einen Anstieg von rund 25 Prozent, sagt der Extremus-Chef.

Seit gut 15 Jahren gibt es spezielle Terrorismusversicherungen. Die Extremus Versicherungs-AG wurde von den führenden deutschen Versicherungsgesellschaften - von A wie Allianz bis Z wie Zurich - gegründet. Die Gesellschafter decken zusammen Versicherungssummen ab 25 Millionen Euro und privatwirtschaftlich Sachschäden durch terroristische oder politisch motivierte Taten in Deutschland sowie daraus resultierende Betriebsunterbrechungen bis zu 2,5 Milliarden Euro. Für höhere Gesamtschäden wurde mit der Bundesregierung eine Staatsgarantie vereinbart. Somit stehen als Höchstentschädigung insgesamt zehn Milliarden Euro pro Jahr für Terrorschäden zur Verfügung. Die Entschädigung der Anschlagsopfer ist kein Bestandteil der Deckung von Extremus. 

Umdenken nach 9/11

Anschlag auf New Yorker World Trade Center (2001)
Anschlag auf World Trade Center (2001): 58 Milliarden Dollar SchadenBild: AP

Die islamistischen Anschläge des 11. September gelten als die Geburtsstunde der Terrorversicherungen auf weltweiter Basis. 9/11 war für den Versicherungsmarkt der teuerste Schadensfall der Geschichte. Rund 58 Milliarden Dollar kosteten Versicherungen und Rückversicherungen die Anschläge - ein Branchenrekord.

Die Zerstörung des World Trade Centers in New York machte auch der deutschen Versicherungswirtschaft schlagartig bewusst, wie mögliche Milliardenschäden in deutschen Metropolen den Markt kollabieren lassen könnten. Denn bis dahin waren in Deutschland Schäden durch Terrorakte unter den Sachversicherungsverträgen nicht ausgeschlossen und es gab für sie eine unbegrenzte Deckung. Auch in vielen Unternehmen habe es ein Umdenken gegeben, die sich gegen finanzielle Verluste bei Sach- und Betriebsausfallschäden versichern wollten, sagt Versicherungschef Heidbrink. Denn gravierender als der Sachschaden sei für viele Unternehmen der daraus entstehende sogenannte "Betriebsunterbrechungsschaden", wodurch es zu hohen Einkommensverlusten kommen kann. 

Millionenschäden zwingen Versicherer in die Knie

"Es gibt den Einzeltäter, der mit einer Pistole oder einem Auto eine Menschenansammlung angreift. Da ist der Sachschaden gering. Aber bei einer bewaffneten Terrorgruppe mit Sprengstoffgürteln, wie wir es im Flughafen Brüssel erlebt haben, können Summen in Größenordnungen von bis zu 500 Millionen Euro erreicht werden", sagt Heidbrink. Den Schaden in Brüssel schätzt er auf insgesamt 300 bis 400 Millionen Euro - eine Deckung, die letztendlich die Leistungsfähigkeit des einzelnen Versicherers überschritten hätte. Dabei gibt es ein Problem: "In Deutschland haben wir kaum Schadenserfahrung, und wir haben auch keine Vorstellung, wie groß die Schäden sein können", sagt Heidbrink.

Versicherungsexperte Björn Reußwig (Foto: Privat)
Alianz-Terrorismusexperte Reußwig: "Herausforderung"Bild: Privat

Nichts ist schwieriger als die Kalkulierbarkeit von extremistischen Taten. Ein Risiko, das kaum zu berechnen ist - nicht nur in Ort und Zeit, sondern auch in der Art der Durchführung eines Anschlags. "Das stellt uns natürlich vor eine gewisse Herausforderung, aber wir versuchen das mit bestem Wissen und Gewissen zu analysieren und entsprechend auch zu tarifieren", sagt Björn Reußwig, der Terrorismusexperte des globalen Allianz-Industrieversicherungsspezialisten AGCS. Bei der Gefahreneinschätzung kooperiert die Allianz-Tochter mit dem weltweiten Krisenmanagement-Dienstleisters red24, der die Sicherheitsrisiken weltweit analysiert.

Auch Bedrohungslagen werden versichert

Hauptgefährdungspotenzial sind Anschläge auf Personen bei Großveranstaltungen, auf Infrastruktur, Bauwerke und große Industrieunternehmen. Die Extremus Versicherungs-AG versichert beispielsweise Fußballstadien, Einkaufszentren, Verkehrsbetriebe, Bauwerke, die eine besondere Bedeutung haben wie große Kirchen, Bürotürme, Flughäfen oder Bahnhöfe. Das Portfolio der Versicherungsgesellschaften wird stetig erweitert.

Seit dem 1.Januar 2017 bietet Extremus Versicherungs-AG einen weiteren Baustein an, die sogenannte "Bedrohungsversicherung". Die übernimmt die Kosten, wenn eine Behörde beispielsweise ein Kaufhaus schließt, weil vermutet wird, dass dort ein Terroranschlag verübt werden soll. "In dem Bereich hatten wir in diesem Jahr drei Schäden dazu", berichtet Vorstandsvorsitzender Gerhard Heidbrink. "Einer davon ist nicht unerheblich." Weil von den Behörden ein terroristischer Akt angenommen wurde, ersetzte Extremus die entstandenen Verluste, obwohl sich nachher herausstellte, dass kein entsprechender Hintergrund vorlag.