Tennis in Deutschland: Was kommt nach der Generation Zverev?
15. Januar 2025Schaut man in die Liste der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Australian Open, offenbart sich das Nachwuchsproblem, dass das deutsche Tennis derzeit hat. Beim ersten Grand-Slam-Turnier des Jahres haben es neben Top-Spieler Alexander Zverev vier weitere Männer und vier Frauen ins Hauptfeld geschafft. Allerdings sind alle deutschen Tennis-Profis, die in Melbourne teilnehmen, keine jungen Talente mehr und haben teilweise bereits den Herbst ihrer Karriere erreicht.
Tatjana Maria (38 Jahre), Laura Siegemund (36), Jan-Lennard Struff (34 Jahre), Yannick Hanfmann (33) und Dominik Koepfer (30) gehören bereits zur Ü30-Generation. Jule Niemeier (25) und Daniel Altmaier (26) sind nur ein paar Jahre jünger und auch Zverev ist bereits 27 und wartet nach wie vor auf seinen ersten Sieg bei einem der vier Major-Turniere. Einzige Ausnahme bildet die 23-jährige Eva Lys, die es über die Qualifikation knapp als sogenannter "Lucky Loser" ins Hauptfeld von Melbourne schaffte.
"Wir sind nicht zufrieden mit der aktuellen Situation im Ganzen, aber natürlich ist es wichtig, Alex [Zverev] als Nummer zwei der Welt zu haben", sagt Veronika Rücker der DW. Sie ist seit Juli 2022 als Geschäftsführerin Sport für den Deutschen Tennisbund (DTB) tätig. Das Gesamtbild, gibt sie zu, müsse verbessert werden. "Zudem haben wir ein relativ hohes Durchschnittsalter in der Spitze. Wenn wir langfristig an der Weltspitze stehen wollen, müssen wir jetzt handeln, damit wir in den nächsten acht Jahren die Früchte dieser Arbeit ernten können."
Breite Basis, wenige Top-Wettkampfspieler
Tennis hat in Deutschland nach wie vor eine breite Basis - mit fast 1,5 Millionen Mitgliedern in knapp 9.000 Vereinen. Allerdings kommt es darauf an, die vorhandene Begeisterung für den Sport in mehr Wettkampfspieler umzuwandeln. Um das zu erreichen, möchte der DTB seine Talentförderung verändern.
"Ich denke, unsere Talentsichtung ist vielleicht ein bisschen zu früh. Ich kann nicht sagen, wie viel Potenzial ein Kind hat, wenn ich es nur punktuell sehe. Wir müssen mehr Zeit damit verbringen, die Entwicklung der Spieler zu beobachten und uns grundsätzlich mehr auf die Entwicklung als auf die Ergebnisse konzentrieren."
Erschwerend kommt hinzu, dass es kompliziert sein kann, den Leistungssport in das Leben eines viel beschäftigten Teenagers zu integrieren. "Eine digitale Schule wäre großartig für uns", sagt Rücker. "Tennis ist ein reiselastiger Sport, und der Turnierbetrieb im Jugendtennis geht von Dienstag bis Sonntag - Woche für Woche. Auch wenn unsere Talente gerne in der Schule wären, ist es für die Kids eine echte Herausforderung, mit dem aktuellen Wettkampfkalender Schritt zu halten."
Ehrgeizige Ziele des DTB
Der Plan für den deutschen Tennissport ist es, bis 2032 zwischen acht und zehn Spielerinnen und Spieler unter den Top 100 der Welt zu haben, Zehn Frauen unter 21 Jahren unter den Top 400 und zehn Männer unter 23 Jahren unter den Top 500. "Das ist ehrgeizig, aber das sind die Ziele, die wir uns setzen müssen, wenn wir in der Weltspitze bleiben wollen", so Rücker.
Aktuell gibt es mit Max Hans Rehberg (21 Jahre/Position 257), Marko Topo (21/391), Justin Engel (17/393) und Tom Gentzsch (21/437) nur vier Top-500-Spieler dieser Altersklasse. Bei den Frauen gibt es mit Ella Seidel (19/142) momentan nur eine einzige Top-400-Spielerin aus Deutschland, die die Altersvorgaben des DTB erfüllt.
Hilfe von Wimbledon-Siegerin Angelique Kerber
Bei den deutschen Frauen möchte die letzte deutsche Grand-Slam-Siegerin mithelfen, die Ziele zu erreichen. Angelique Kerber, die 2018 in Wimbledon als letzte Deutsche ein Major-Turnier gewann, soll nach ihrem Karriereende im vergangenen Sommer den DTB-Talenten als Beraterin und Mentorin zur Verfügung stehen. Sie arbeitet dabei eng mit dem neuen Bundestrainer Torben Beltz, ihrem ehemaligen Coach, zusammen.
"Wir wollen das deutsche Frauentennis nach vorne bringen und Strukturen schaffen, damit sich junge Talente optimal entwickeln können", sagte Kerber vor einigen Tagen in einem Interview mit der Tageszeitung "Frankfurter Neue Presse".
Allerdings warnte sie gleich: "Wir werden Geduld brauchen. Alles andere wäre eine falsche Erwartungshaltung. Bei den Juniorinnen, die jetzt 15, 16 Jahre alt sind, gibt es vielversprechende Talente, was ich mitbekommen habe. Die werden aber mit 18, 19 noch nicht auf dem Top-Level spielen, sondern behutsam aufgebaut werden müssen."
Klaffende Lücke hinter Alexander Zverev
Auch bei den Männern wird der Generationenwechsel nicht nahtlos funktionieren. Hier wird Alexander Zverev auf absehbare Zeit das Gesicht des deutschen Tennis sein. Dahinter klafft eine Lücke. Und auch der 27-Jährige kommt langsam in ein Alter, in dem er Gefahr läuft, das Zeitfenster zu verpassen, um eines der vier großen Turniere zu gewinnen.
"Er ist jetzt in einem Alter, wo er es machen muss. Für mich muss Sascha in den nächsten 18 Monaten den ersehnten Grand-Slam-Titel holen, weil sonst wird es sehr viel schwieriger als es jetzt der Fall ist", sagte Deutschlands Tennislegende Boris Becker vor den Australian Open im Podcast "Becker Petkovic", den er neuerdings gemeinsam mit der früheren Tennisspielerin Andrea Petkovic aufnimmt.
Zverev war bislang zweimal in einem Grand-Slam-Finale: 2020 unterlag er bei den US Open dem Österreicher Dominic Thiem, 2024 bei den French Open verlor er gegen den Spanier Carlos Alcaraz.
Auch Veronika Rücker würde einen Grand-Slam-Titel für Deutschlands Star natürlich begrüßen, vor allem wegen der Bedeutung, die ein solcher dieser Erfolg für die nächste Generation hat. "Sportliche Vorbilder haben einen großen Einfluss auf Kinder", sagte Rücker. "Wir brauchen Vorbilder für diejenigen, die am Anfang ihrer Tenniskarriere stehen, aber auch für diejenigen, die bereits im Tennis aktiv sind."
Rücker: "Wir sind ein bisschen ungnädig"
Auch ohne einen Turniersieg in Melbourne, Paris, Wimbledon oder New York findet sie, könne man Zverevs Verdienste nicht hoch genug bewerten. "Ich glaube, viele von denen, die uns von außen kritisieren, haben keine Ahnung, wie hart die Arbeit und der Weg an die Spitze ist", sagt sie. Um bei den Australian Open dabei zu sein, seien viele der deutschen Spielerinnen und Spieler bereits vor den Feiertagen angereist und hätten auf Weihnachten oder Silvester mit ihren Familien verzichtet.
"Ich glaube, viele Leute wissen nicht zu schätzen, was es bedeutet, ein Profisportler zu sein. Alex ist die Nummer zwei der Welt, aber alle reden nur darüber, dass er noch keinen Grand-Slam-Titel gewonnen hat. Manchmal denke ich, dass wir ein bisschen ungnädig sind, wenn wir über Erfolg sprechen."
Der Text wurde aus dem englischen Original "German tennis aims to improve 'overall' in 2025 and beyond" adaptiert.