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Politik

"Tatsächlich deutliche Unterschiede"

4. Juni 2018

Israels Premier Netanjahu kommt an diesem Montag nach Deutschland - in politisch aufgewühlter Zeit. Der Israel-Experte Peter Lintl sieht neben gemeinsamen auch viele unterschiedliche Positionen zwischen beiden Ländern.

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Benjamin Netanjahu in Berlin / Archivbild
Bild: Reuters/F. Bensch

DW: Herr Lintl, Benjamin Netanjahu besucht Deutschland in einer politisch sehr aufgewühlten Zeit. Der Nahe Osten verändert sich dramatisch - am riskantesten für Israel ist derzeit wohl das Vordringen des Iran. Wie positioniert sich Deutschland in dieser Frage zu Israel?

Peter Lintl: Die iranische Präsenz in Syrien stellt für Israel eine unmittelbare Bedrohung dar. Hier steht Deutschland an der Seite Israels und erkennt voll umfänglich das Recht des Landes auf Selbstverteidigung gegenüber einem Iran an, der Israel von Syrien aus bedroht. Dabei betont Deutschland aber auch die Beilegung des Konflikts mit friedlichen Mitteln und spricht sich für eine Deeskalation aus.

Anders sieht es mit Blick auf das Atomabkommen aus.

Da gibt es tatsächlich deutliche Unterschiede. Deutschland ist der Ansicht, das Atomabkommen mit dem Iran war ein Schritt in die richtige Richtung. Israel hingegen sagt, das Abkommen biete dem Iran sehr wohl die Möglichkeit, eine Atombombe zu entwickeln - und zwar, dank des Abkommens, auch noch unter dem Schutzmantel einer angeblichen Legitimität.

Auch die jüngsten Ereignisse rund um den Gazastreifen dürften Thema der Gespräche werden. Es gab dort ja Dutzende von Toten.

Peter Lintl Israel Experte
Peter Lintl, Stiftung Wissenschaft und PolitikBild: SWP

In Deutschland stellt man die Frage, ob es wirklich nötig war, Scharfschützen einzusetzen. Allerdings befanden sich an der Grenze ja nicht nur Demonstranten, sondern auch Personen, die den Grenzzaun überschreiten wollten. Wenigstens wurden laut israelischem Militär durch den Einsatz mehrere Attentatsversuche verhindert. Allerdings ist das von außen sehr schwer zu beurteilen.

Im Grunde sind die jüngsten Vorfälle nur eine Fortsetzung der grundsätzlichen Problematik, die auf die Isolation und die schwierigen Lebensverhältnisse der Palästinenser im Gazastreifen zurückgehen. Man muss aber auch sehen, dass die Palästinenser, so verzweifelt wie sie in dieser Situation sind, ihren Teil zu dem Konflikt beitragen. Wenn sie etwa mit Hakenkreuzen bemalte und mit Molotowcocktails versehene Drachen in Richtung Israel aufsteigen lassen, trägt das wenig dazu bei, den Israelis den Eindruck zu vermitteln, es handle sich um einen friedlichen Protestmarsch.

Uneins sind Deutschland und Israel in der Debatte um Jerusalem als israelische Hauptstadt.

Deutschland lehnt jegliche Verlegung von Botschaften nach Jerusalem vor dem Hintergrund ab, dass Israel Ost-Jerusalem 1980 annektiert und zur vereinten Hauptstadt erklärt hat. Daraufhin gab es zwei UN-Resolutionen, die die Staaten, die damals Botschaften in Jerusalem hatten, aufgefordert haben, diese zurückzuziehen. Auf diese Weise sollte ein Zeichen gesetzt werden, dass die Zwei-Staaten-Lösung bzw. die Grenze von 1967 für die internationale Staatengemeinschaft weiterhin Bestand hat. Vor diesem Hintergrund muss man die deutsche Position sehen. Jede Verlegung einer Botschaft nach Jerusalem bedeutet natürlich implizit, dass die Annexion anerkannt werden sollte.

In Israel, beispielsweise in der Zeitung "Jerusalem Post", ist bisweilen zu hören, Europa könne sich in seiner - vergleichsweise - sicheren Lage die Bedrohung, in der Israel sich befindet, nicht angemessen vorstellen. Wie sehen Sie dieses Argument?

Einerseits stimmt das natürlich. Ich glaube, viele Europäer tun sich tatsächlich schwer, sich in die Lage der Israelis zu versetzen. Das betrifft nicht einmal nur die unmittelbare Entwicklung, etwa die Raketenangriffe aus Gaza oder den blutigen Krieg im Nachbarland Syrien. Stattdessen geht es vor allem um die Vorstellung, sich in einem über hundertjährigen Konflikt mit den Palästinensern zu befinden. Zudem wird die Legitimität Israels immer noch diskutiert. Diese Frage geistert immer noch durch die Medien. Die daraus entstehende Verunsicherung, kombiniert mit der Sicherheitslage, können sich viele Europäer sicher nicht vorstellen.
Allerdings wird das Argument der anderen Seite mitunter von Israelis auch benutzt, um die Europäer mundtot zu machen. Dann heißt es, die Europäer sollten sich mit Kritik zurückhalten, da sie überhaupt nicht wüssten, wovon sie sprächen. Aus europäischer oder deutscher Perspektive gilt es da natürlich, die Dinge angemessen zu gewichten. Einerseits muss man sich äußern können. Andererseits muss man auch versuchen, die israelische Position zu verstehen.

Israelische Panzer auf den Golanhöhen
Den Europäern fremd: Anspannung als Lebensgefühl. Szene von den Golanhöhen, Mai 2018Bild: Getty Images/AFP/J. Marey

In Deutschland und Europa scheint es neben dem üblichen rechten nun auch einen islamischen Antisemitismus zu geben. Wie wird darüber in Israel diskutiert?

Die Israelis sind natürlich besorgt. Allerdings sorgen sie sich natürlich über jegliche Form des Antisemitismus. Ob er nun islamisch, rechts oder links ist, ist für sie unerheblich. Dabei steht der islamisch geprägte Antisemitismus allerdings oftmals mit dem Nahostkonflikt in Verbindung. Er hat dazu geführt, dass der Blick der islamischen oder arabischen Staaten auf Israel von vornherein eher negativ ausfällt.

Interessant ist eine weitere Entwicklung: Viele konservative Regierungen - etwa in Polen oder Ungarn - wie auch die Trump-Administration in den USA schauen mit Skepsis in die arabische Welt. Die entsprechenden Regierungen begründen ihre Ablehnung der Migration unter anderem damit, die Zuwanderer teilten nicht die westlichen Werte. Außerdem, so der Vorwurf, brächten sie einen gewissen Antisemitismus mit.

Allerdings weisen zwei Studien nun nach, dass der dezidiert pro-zionistische Kurs, den einige konservative Regierungen vertreten, zugleich einen latenten Antisemitismus überschatten, der vielen rechten Regierungen in Osteuropa zumindest in Teilen inhärent ist. Paradoxerweise mischt sich auf diese Weise ein prozionistischer Standpunkt mit antisemitischen Motiven.

Benjamin Netanjahu ist ein umstrittener Politiker. Seine Kritiker werfen ihm vor, er betone die Bedrohung von außen zu sehr, um sich im Inneren zu profilieren. Wie sehen Sie diesen Vorwurf?

Auf der einen Seite trifft die Kritik zu. Mit dem Argument, er sei gewissermaßen Israels "Mr. Security", kann Netanjahu tatsächlich Wähler von sich überzeugen. Das hat man ganz deutlich beim letzten Wahlkampf gesehen. Als er diesen zu verlieren drohte, spielte er die Sicherheitskarte. Diese Karte impliziert, dass man einen Feind braucht. Das waren zum Teil die israelischen Palästinenser, zum Teil auch der Iran. Netanjahu ist darauf angewiesen, diese Karte zu spielen.

Auf der anderen Seite ist Netanjahu von seiner Sicht überzeugt. Es handelt sich nicht um reinen Zynismus. Seine Kritik am Atomabkommen mit dem Iran entstammt der ernsthaften Überzeugung, dass das Abkommen schlecht für Israel ist. Selbst, wenn dies die Europäer anders sehen. Ein israelischer Kollege von mir bringt die unterschiedlichen Einschätzungen von Israelis und Europäern bezüglich der Gefahrenlagen Israelis immer mit einem etwas überspitzten Bonmot auf den Punkt: Bloß weil man schizophren ist, heißt das nicht, das man nicht verfolgt wird. Von daher: Natürlich gewinnt Netanjahu mit seiner Wortwahl Wählerstimmen. Auf der anderen Seite ist es ihm aber trotzdem ernst. 

Das Gespräch führte Kersten Knipp.

Der Politologe Peter Lintl leitet an der Berliner "Stiftung Wissenschaft und Politik" das Projekt "Israel in einem konfliktreichen regionalen und globalen Umfeld: Innere Entwicklungen, Sicherheitspolitik und Außenbeziehungen".

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika