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Taiwans Wirtschaft hängt an China

Klaus Bardenhagen
5. November 2021

Trotz Eiszeit zwischen Taiwan und Festland sind die Handelsbeziehungen eng. Aber Taiwan strebt auf neue Märkte, was politische Folgen haben könnte.

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Taiwan Symbolbild Konflikt mit China
Bild: Dado Ruvic/REUTERS

Mit Militäraktionen und markigen Reden hat China Anfang Oktober die Taiwanfrage wieder weltweit in den Fokus gerückt. Dass chinesische Kampfflugzeuge in Taiwans Luftraumverteidigungszone eindrangen, war zwar an sich nichts Neues. Doch die schiere Menge von 149 Flugzeugen innerhalb von vier Tagen markierte eine neue Qualität der Spannungen. Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping betonte zum wiederholten Mal, wie wichtig eine Vereinigung Taiwans mit der Volksrepublik sei, Joe Biden sprach von militärischem Beistand im Fall eines Angriffs, und Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen bestätigte erstmals, dass amerikanische Soldaten als Militärausbilder auf der Insel sind.

USA entsenden Kriegsschiff durch Taiwanstraße
US-Präsident Biden sendet zu Beginn seiner Amtszeit Signal an Peking: Lenkwaffenzerstörer USS John S. McCain in der Straße von Taiwan Anfang Februar 2021Bild: U.S. Navy/Zuma/picture alliance

Doch die Stimmung auf der Insel ist nicht besonders erregt. Andere Themen bestimmen die Agenda mindestens genauso stark. Die Taiwaner diskutieren übers Impfen gegen Corona, die Abberufung eines parteilosen Abgeordneten und den neuen Parteichef der Opposition. Beim nächsten politischen Großereignis, vier Volksabstimmungen im Dezember, geht es um Energiepolitik und Fleischimporte - nicht um China.

Mäßig besorgt

Andererseits macht sich eine Mehrheit der Taiwaner von 58 Prozent durchaus Sorgen wegen einer möglichen Kriegsgefahr, wie eine Umfrage der US-Denkfabrik Brookings Institution ergab. Und zwar quer über politische Lager und auch Generationen hinweg. Selbst bei den zuweilen als zu blauäugig kritisierten 20-29-Jährigen gaben 54 Prozent zu Protokoll, sie sorgten sich vor einem Krieg. Durchgeführt wurde die Umfrage im Mai. Auch damals gab es chinesische Flugbewegungen und militärisches Säbelrasseln. 79 Prozent sagten, Chinas Militäraktivitäten hätten zugenommen. Doch zugleich waren nur 30 Prozent deshalb besorgter als ein halbes Jahr zuvor, und nur 46 Prozent hielten einen chinesischen Angriff für wahrscheinlicher als vor fünf Jahren. Damals hatte China nach dem Amtsantritt von Präsidentin Tsai die offiziellen Gesprächskanäle gekappt, gleichzeitig begann die aktuelle Spannungsspirale.

Druck und Verflechtung auf wirtschaftlichem Gebiet

Was politische und militärische Risiken angeht, schätzen die Taiwaner die unmittelbare Gefahr also nicht als besonders hoch ein, sind aber grundsätzlich sensibilisiert. Auffallend wenig wird jedoch über ein anderes Feld diskutiert, auf dem China Taiwan unter Druck setzen könnte: Die Wirtschaft.

Taiwan Taipei | Ananasgericht im Marriott Hotel
Vermehrt Ananas-Gerichte in Taiwans Restaurants nach dem Import-Stopp des Festlands im März Bild: Sam Yeh/AFP

Abgesehen von der Beschränkung des Tourismus vom Festland in den Jahren vor der Pandemie versuchte Peking in jüngster Zeit nur zweimal offensichtlich, wirtschaftlich die Daumenschrauben anzuziehen. Anfang 2021 wurde zunächst der Import von Schweinefleisch aus Taiwan, einige Wochen später der von Ananas unterbrochen. Das sollte womöglich Taiwans Landwirte gegen die eigene Regierung aufbringen, schlug aber fehl: Taiwaner sowie Japaner machten in einem postwendenden Akt demonstrativen Ananas-Kaufrausches die Absatzverluste mehr als wett.

Solche volkswirtschaftlich unbedeutenden Erfolge gegen wirtschaftlichen Druck vom Festland können nicht über Taiwans enge wirtschaftliche Verflechtungen mit der Volksrepublik hinwegtäuschen. Obwohl Präsidentin Tsai seit ihrem Amtsantritt betont, Taiwan müsse sich breiter aufstellen und dürfe bei Handel und Investitionen nicht nur aufs Festland setzen, hat sich daran wenig geändert - im Gegenteil.

Der wichtige Markt des Festlands

Das Pandemiejahr 2020 war für Taiwan nicht nur deshalb erfolgreich, weil es mit seinen Erfolgen gegen das Coronavirus international Anerkennung ernten konnte. Während die meisten entwickelten Volkswirtschaften einbrachen, wuchs Taiwans Wirtschaft mit 3,1 Prozent zum ersten Mal seit drei Jahrzehnten sogar stärker als Chinas. Das lag auch daran, dass Taiwans Handel mit China neue Rekorde erreichte. Mit 44 Prozent ging fast die Hälfte von Taiwans Exporten in die Volksrepublik inklusive Hongkong und Macao - zwölf Prozentpunkte mehr als noch 2019.

Präsentation Foxconn  Elektroauto Platform
Taiwans Elektronik-Gigant Foxconn, Partner von Apple, steigt auch in E-Mobilität ein Bild: Foxconn

Dass Taiwan dabei erneut einen großen Handelsüberschuss verbuchte, lag vor allem an einer Produktklasse: Halbleiter. Ihr Absatz stieg im Vergleich zum Vorjahr um 27 Prozent und machte wertmäßig gut die Hälfte von Taiwans Exporten nach China aus. Wichtigster Grund für den Boom war die gestiegene Nachfrage nach Elektronik in der Pandemie.

Niemand sonst kann so fortgeschrittene Halbleiter in so riesigen Stückzahlen produzieren wie Taiwan, allen voran Weltmarktführer TSMC, dessen Fabriken für die aktuellsten Produktgenerationen bislang ausschließlich auf der Insel stehen. Wie zentral die Versorgung mit Mikrochips für die Weltwirtschaft geworden ist, zeigt die aktuelle Chip-Knappheit, deren Auswirkungen auch die deutsche Autoindustrie treffen.

Taiwans "Schild aus Silikon"

Die Halbleiterindustrie gilt daher als Taiwans "Schild aus Silikon". China braucht die Chips, um die Werkbank der Welt zu bleiben. Mit Schikanen oder gar der Zerstörung der Anlagen würde es seiner eigenen Wirtschaft schaden. Zugleich braucht Taiwan die Volksrepublik noch immer als Absatzmarkt und als Produktionsstandort. So ist der taiwanische Foxconn-Konzern mit mehr als einer Million Beschäftigten in seinen chinesischen Hardware-Fabriken der größte private Arbeitgeber des Landes.

TSMC Logo
Logo des taiwanischen Chip-Herstellers TSMC Bild: David Chang/EPA/dpa/picture alliance

Wie groß die Risiken dieser gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeit für Taiwan sind, sehen Experten unterschiedlich. Peking wäre zwar in der Lage, das Geschäft von taiwanischen Konzernen mit großer Präsenz in China empfindlich zu stören, schreiben Bonnie Glaser und Jeremy Mark in einem Beitrag für "Foreign Policy". Doch damit würde es zugleich seine langjährige Strategie aufgeben, eine Vereinigung durch die Kombination von wirtschaftlicher Integration mit militärischem und diplomatischem Druck zu erreichen.

Viele taiwanische Unternehmen investieren bereits weniger in China als vor zehn oder 20 Jahren der wandern ab. Yang Wen-jen, Präsident des Fahrradherstellers Wheeler, sagt der DW, dass seine taiwanischen Zulieferer ihre Fabriken nach und nach aus China nach Südostasien verlagern. Gestiegene Arbeitskosten seien die wichtigsten Gründe. Sein Unternehmen habe sich aus Qualitätsgründen schon vor zehn Jahren aus China zurückgezogen und plane nun neue Montagewerke in Europa mit den wichtigsten Absatzmärkten. Polen, Rumänien oder die Ukraine kämen in Frage. Eine Bedrohung für Taiwans Wirtschaft aus China fürchte er nicht, sagte Yang. Größere Sorgen bereiteten ihm logistische Probleme und lange Lieferzeiten als Folge der Pandemie.

"Handelsbeziehungen wichtiger als Waffenlieferungen"

Chinas wirtschaftliche Anziehungskraft auf Taiwan sei so stark, dass sie eine unfreiwillige Vereinigung immer wahrscheinlicher mache, sagte dagegen Syaru Shirley Lin bei einem Panel der US-Denkfabrik Atlantic Council. Sie ist Autorin eines grundlegenden Buchs über den langfristigen Wandel der Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Seiten. Um dieser Gefahr entgegenzuwirken, müssten andere Länder - gleichgesinnte Demokratien - Taiwan helfen, sich zu internationalisieren. "Verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit ist der beste Weg, Taiwan zu stärken und entscheidende Lieferketten zu sichern. Sie ist genauso wichtig wie Waffenlieferungen", sagte Lin.

Allen voran seien nun die USA gefragt, ein Handelsabkommen mit Taiwan auf den Weg zu bringen. Dies könne auch den Weg für andere Verbündete wie Australien, Japan und Europa markieren.

Taiwan | EU Delegation in Taipei
EU-Parlamentarierdelegation bei Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen am DonnerstagBild: Taiwan Presidential Office/AP Photo/picture alliance

Tatsächlich forderte das Europäische Parlament im Oktober mit großer Mehrheit eine engere Partnerschaft mit Taiwan, Taipeh schickte im Oktober eine Delegation in osteuropäische EU-Staaten. In der Slowakei, Tschechien und Litauen unterzeichnete man insgesamt 18 gemeinsame Absichtserklärungen zur Zusammenarbeit in Bereichen wie Cybersicherheit, erneuerbarer Energie oder Biotechnologie.

Außerdem beantragte Taiwan im September einen Beitritt zum Handelsabkommen CPTPP. Das "Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership" für Anrainerstaaten des Pazifik war ursprünglich von den USA unter dem Kürzel TTP als Gegengewicht zum von China dominierten asiatischen Handelsabkommen RCEP geplant. Unter Trump verabschiedeten sich die Amerikaner jedoch von dem Projekt, in dem nun Japan dominiert. Tokio hat ebenso wie Washington ein politisches Interesse, Taiwans wirtschaftliche Abhängigkeit von China zu verringern. Allerdings scheint China die Gefahr gewittert zu haben und stellte eine Woche vor Taiwan ebenfalls einen Mitgliedsantrag. Das könnte Taiwans Beitritt verhindern oder verzögern.

Fixierung auf das Festland 

Dass Taiwans Handelsverbindungen noch so stark ausbaufähig sind, liegt für Beobachter wie Lin zum Teil an Chinas erfolgreichem Druck auf das Ausland, Taiwan keine Bühne zu bieten. Aber Chinas Größe und Nähe sowie die gemeinsame Sprache machten es vielen Taiwanern leichter, dort zu wachsen, als neue Märkte zu erschließen. Der politische Konflikt hat das offenbar noch immer nicht entscheidend geändert.