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"Tagebücher gesucht" - Kultur von unten

Petra Tabeling 31. Januar 2002

Sorgen, Ängste und Freuden - festgehalten in Briefen und Tagebüchern. Ehrliche Dokumente der Zeitgeschichte und Lebensarten. Das Tagebuchachiv in Emmendingen trägt die Gedanken der Deutschen zusammen.

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"Schreib in dies Buch soviel du magst, was du dir denkst und keinem sagst", sagte Carl Zuckmayer einmal. Tagebücher und Briefe sind die Hüter von Geheimnissen, privater Erinnerungen und Eindrücken. Und somit lebendige Geschichte von unten - für die Gründerin des ersten deutschen Tagebucharchivs Frauke von Troschke. Sie hat 1997 im südbadischen Emmendingen einen Ort geschaffen, an dem "allerheiligstes" gesammelt und öffentlich zugänglich wird. Und jeder seine privaten Notizen einreichen kann - für die Zeitgeschichte.

Italien war Vorbild

Die Idee zu dieser ungewöhnlichen Sammlung kam der gebürtigen Hamburgerin bei einem Besuch in der Toskana. Dort stiess von Troschke auf ein italienisches Tagebuchmuseum, das der Journalist Saverio Tutino vor 18 Jahren gegründet hatte. Die Idee private Dokumente zu sammeln, auszuwerten und einer Öffentlichkeit zu präsentieren, hat sie begeistert. "Da habe ich erst einmal gestaunt und mich umgehört, ob es so etwas auch in Deutschland gibt", so die begeisterte Tagebuch-Leserin gegenüber DW-WORLD.

Museum aus Eigeninitiative

Da sie nichts derartiges in Deutschland entdeckte, gründete von Troschke kurzerhand ihr eigenes Museum in ihrer Wahlheimat Emmendingen. Mit viel harter Arbeit, großer Energie und der Suche nach Sponsoren. Heute bekommt das Tagebuch-Projekt Gelder vom Land Baden-Württemberg. Die staatlichen Fördermittel ermöglichen zumindest einen festen Arbeitsplatz. Mit diesen Mitteln liess sich mittlerweile ein umfangreiches Archiv aufbauen: 650 Manuskripte, Tagebücher, Lebenserinnerungen und Briefwechsel, sind mittlerweile zusammengekommen. Und es werden immer mehr.

Geschichten, die das Leben schrieb

Die wahren Geschichten, die das Leben schreibt, seien manchmal spannender als ein Roman, so Frauke von Troschke zu DW-WORLD. Das älteste Manuskript stammt aus dem Jahr 1793. Darin beschreibt der Feldprediger Johann Heinrich Holekamp die unsäglichen Unterbringungsbedingungen zur Zeit der Koalitionskriege gegen Frankreich: "Unsere Stube war so schwarz wie ein Schornstein und die Leute so unreinlich, dass uns fast aller Appetit zu essen verging." Ein junger Handwerker aus dem Saarland beschreibt 1843 in seinem Reisetagebuch die ersten Erlebnisse mit der Eisenbahn: "Eine fürchterliche Dunkelheit durch diesen unterirdischen Weg, zuweilen durch die aus der Maschine fallenden Funken blitzartig erleuchtet und dazu dieser höllische Lärm." Auch Erinnerungen ausgewanderter Deutscher sind in dem kuriosen Archiv nachzulesen.

Seit Gründung des Archivs kommen jedes Jahr ca. neue 200 Manuskripte hinzu, freiwillig von den Schreibern oder Verwandten der Verfasser eingeschickt. "Die Menschen vertrauen uns ihr geschriebenes Leben an", so die dankbare Empfängerin Frauke von Troschke. Und die Zeugnisse sind in guten Händen: 50 ehrenamtliche Leser treffen sich einmal im Monat um die Texte zu sichten, zu diskutieren und zu erfassen - dank einer eigens programmierten Datenbank. Manchmal geht das Archiv auch auf "Lesetour". Dann tragen die Sammler die spannenden Texte aus dem Leben einem interessierten Publikum vor. Denn die Texte "gehen eigentlich alle Deutschen etwas an", so von Troschke. Auch an anderen Projekten in Deutschland, die Erinnerungen sammeln, ist sie interessiert. Erst vor kurzem war sie bei dem bekannten deutschen Gegenwartsautor Walter Kempowski zuhause. Der began mit seinem Buch "Echolot" 1993 deutsche Kriegserinnerungen zu sammeln.

Demokratie von unten

Die Gründerin ist energisch in ihrer Sache. Sie sammelt nicht nur aus Leidenschaft, sondern weil sie die Tagebücher als wichtige Zeitdokumente einschätzt. Mit einem demokratischen Grundgedanken: "Wir wollen Geschichte von unten machen und jedem eine Stimme geben. Für diejenigen, die nicht offiziell gehört werden." Denn bislang seien Tagebücher doch nur interessant gewesen, wenn sie von Prominenten geschrieben werden. "Aber jeder hat das Recht gehört zu werden", sagt die Initiatorin. Und mit Engagement hat sie Erfahrung: Seit 20 Jahren ist von Troschke Stadträtin in Emmendingen und hat dort u.a. auch einen Kinderschutzbund aufgebaut. "Ich hab mich immer für Schwächere eingesetzt", sagt sie heute. Und das Sammeln von Lebenserinnerungen und Briefen aus dem gesamten Bundesgebiet um sie für die Forschung zugänglich zu machen, gehört irgendwie dazu.

Führen Sie Tagebuch?

Jeder und jede Interessierte könne seine autobiographischen Texte abgeben. "Ganz dringend fehlen uns noch Texte aus den neuen Bundesländern" appelliert Frauke von Troschke an die DW-WORLD-User. Denn dann lasse sich endlich ein besserer Vergleich zwischen deutsch-deutscher Geschichte ziehen.