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Freispruch

21. September 2006

Ein türkisches Gericht hat die Schriftstellerin Elif Shafak am Donnerstag vom Vorwurf der Verunglimpfung des Türkentums freigesprochen. Die EU fordert seit langem, dass das umstrittene Gesetz abgeschafft wird.

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Die türkische Autorin Elif Shafak
Die türkische Autorin Elif ShafakBild: AP

Das Strafverfahren ist am Donnerstag (21.9.) kurz nach Prozessbeginn mangels Beweisen eingestellt worden. Das Gericht in Istanbul sah den der Autorin vorgeworfenen Straftatbestand als nicht erfüllt an. Die Schriftstellerin war nach dem von der EU heftig kritisierten Paragrafen 301 angeklagt, der für Verunglimpfung staatlicher Institutionen und Beleidigung des Türkentums Gefängnisstrafen von bis zu drei Jahren vorsieht. Den Prozess, der am Vormittag unter großen Sicherheitsvorkehrungen eröffnet worden war, hatten türkische Nationalisten angestrengt.

Die 34-jährige Autorin, die fünf Tage zuvor eine Tochter geboren hatte und deshalb nicht zur Verhandlung erschienen war, nannte die Entscheidung des Gerichts "sehr erfreulich" für sie persönlich. Allerdings sei zu befürchten, dass die Welle von Prozessen gegen Schriftsteller und Journalisten in der Türkei weitergehen werde. Der EU-Parlamentsabgeordnete Joost Lagendijk, der als Beobachter nach Istanbul gekommen war, nannte es problematisch, dass der Prozess gegen Shafak überhaupt eröffnet worden sei und bekräftigte die EU-Forderung nach einer Änderung des türkischen Strafrechts.

Schlägerei nach Freispruch

Die Erfolgsautorin war angeklagt worden, weil sie eine armenische Figur in einem ihrer Romane von "türkischen Schlächtern" hatte sprechen lassen. In dem Roman "Der Bastard von Istanbul" geht es um die Massentötung von Armeniern gegen Ende des Osmanischen Reichs. Shafak drohten drei Jahre Haft.

Türkische Nationalisten, die den Prozess angestrengt hatten, lieferten sich nach der Gerichtsentscheidung eine Schlägerei mit Prozessgegnern, die aber schnell von der Polizei beendet wurde.

EU begrüßt Richterspruch

Ähnliche Prozesse gegen andere türkische Schriftsteller in der Vergangenheit wurden zumeist ebenfalls eingestellt. Shafak erklärte, das Gesetz gegen die Verunglimpfung des Türkentums werde als Waffe verwendet, um viele Menschen zum Schweigen zu bringen. "Mein Fall ist vielleicht nur ein weiterer Schritt in dieser langen Kette", sagte sie.

Die Europäische Union (EU) hat den Freispruch einer türkischen Schriftstellerin vom Vorwurf der "Beleidigung des Türkentums" begrüßt. "Dies ist offensichtlich eine gute Nachricht", sagte eine Sprecherin der EU-Kommission am Donnerstag in Brüssel. Zugleich bekräftigte sie am Donnerstag die Kritik der Gemeinschaft an dem Straftatbestand. Das entsprechende Gesetz "stellt weiterhin eine wesentliche Gefahr für die Meinungsfreiheit in der Türkei dar und für alle, die ihre Meinung auf nicht-gewaltsame Weise äußern".

Die EU fordert, dass das umstrittene Gesetz abgeschafft wird. Die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat erklärt, es gebe keine Pläne, Gesetze zur Meinungsfreiheit zu ändern. Sie verwies darauf, dass ungerechtfertigte Klagen letztlich eingestellt und Angeklagte freigesprochen würden.

Tabuthema

Die Tötung von bis zu 1,5 Millionen Armeniern von 1913 bis 1925 ist in der Türkei bis heute ein Tabuthema. Nach offizieller Darstellung wird die Zahl der Opfer bei den Ereignissen vor rund 90 Jahren stark übertrieben. Es habe sich nicht um eine planmäßige Tötungs- und Vertreibungsaktion oder Völkermord, sondern um Bürgerkriegswirren im zerfallenden Osmanischen Reich gehandelt. (stl)