1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Türkische Lehrer unter Verdacht

Naomi Conrad
6. April 2017

Die Türkei entsendet seit Jahrzehnten Lehrer an deutsche Schulen, um türkischstämmige Schüler zu unterrichten. Machen sie dort Propaganda für Präsident Erdogan? Naomi Conrad berichtet aus Berlin.

https://p.dw.com/p/2aiIw
Deutschland Schule Mäppchen einer Schülerin Türkei Schriftzug
Bild: picture alliance/dpa

Als Kind, so erinnert sich ein Deutscher türkischer Abstammung, sei er jede Woche zu seinem Türkisch-Unterricht gegangen: Dort sei versucht worden, den Schülern den Ruhm der Türkischen Republik und deren Kampf gegen den feindlichen Westen im Ersten Weltkrieg "einzuimpfen". Er war einer von tausenden Kindern mit türkischen, aber auch portugiesischen, serbischen oder griechischen Wurzeln, deren Eltern sie zu kostenlosem Unterricht in der Sprache ihrer Herkunftsländer schickten. Die Lehrer stammten aus diesen Ländern und wurden auch von ihnen bezahlt.

Dieses Angebot wurde vor mehr als 40 Jahren eingerichtet, als hunderttausende sogenannte Gastarbeiter aus Südeuropa und der Türkei nach Deutschland gekommen waren, um den damals herrschenden Arbeitskräftemangel der florierenden westdeutschen Wirtschaft auszugleichen. Man glaubte, sie und ihre Familien würden irgendwann in ihre Heimat zurückkehren. Muttersprachlicher Unterricht sollte ihnen helfen, sich dann dort besser zurechtzufinden.

"Wir wissen nicht, was dort passiert"

Viele von ihnen blieben allerdings in Deutschland. In mehreren deutschen Bundesländern gibt es aber nach wie vor das Angebot des muttersprachlichen Unterrichts - oft in staatlichen Schulen. Die Verantwortung für diesen Unterricht liegt aber einzig und allein bei den Konsulaten der jeweiligen Heimatländer: Sie erstellen Lehrpläne, wählen die Lehrer aus und bezahlen sie. Da viele dieser Lehrer kaum Deutsch sprechen, gibt es meist nur wenig Kontakt zwischen ihnen und ihren deutschen Kollegen. 

Deutschland | Türken stehen für Referendum an
Türken in Deutschland warten auf ihre Stimmabgabe beim Verfassungsreferendum. Es geht um mehr Macht für Erdogan Bild: Getty Images/S. Gallup

Lange schien es niemanden zu stören, dass türkische Behörden die Lehrpläne dieser Kurse erstellen, die jede Woche tausende Kinder in Deutschland besucht haben. Viele dieser Kinder sind längst deutsche Staatsbürger, doch die deutschen Behörden und Schulen haben keine Aufsicht über diesen muttersprachlichen Unterricht. Doch jetzt, da die türkisch-deutschen Beziehungen auf einem Tiefpunkt angekommen sind, fordern Politiker verschiedener Parteien eine stärkere Aufsicht.

"Das Problem ist, dass wir gar nicht wissen, was im Unterricht passiert", sagt Hildegard Bentele, bildungspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Es sei Zeit, sagt sie der Deutschen Welle, sich diesen Unterricht genauer anzusehen und ihn langfristig durch ein staatlich finanziertes und beaufsichtigtes Angebot zu ersetzen. Sie befürchtet, dass die "beunruhigenden Entwicklungen in der Türkei nach Deutschland und in unsere Schulen getragen werden".

Deutsch-türkische Beziehungen auf dem Tiefpunkt

Die türkisch-deutschen Beziehungen sind in den vergangenen Monaten immer schlechter geworden, vor allem seit dem Putschversuch im Juli vergangenen Jahres. Die türkische Regierung reagiert mit repressiven Maßnahmen gegen die angeblichen Putschisten und jeden, der als Gegner von Präsident Recep Tayyip Erdogan gilt. Deutsche Politiker beurteilen dieses Vorgehen ausgesprochen kritisch. Der immer schärfere Streit zwischen Erdogan-Unterstützern und -Gegnern ist auch nach Deutschland übergeschwappt. Kurz vor dem türkischen Referendum über eine Verfassungsreform gipfelte er vor wenigen Wochen in Auftrittsverboten für türkische Politiker in Deutschland, woraufhin Erdogan Deutschland "Nazi-Methoden" vorwarf.

Dazu kommt, dass die Türkei den deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel inhaftiert hat, und dass von der Türkei entsandte Imame in Deutschland ebenso wie türkische Geheimagenten politische Gegner und sogar Politiker in Deutschland ausspioniert haben könnten.

Jetzt steht zu befürchten, dass Erdogans nationalistische Agenda auch in deutsche Klassenzimmer getragen wird. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) läutet bereits die Alarmglocken: Lehrpläne würden immer nationalistischer und religiöser. GEW-Sprecher Matthias Schneider räumt jedoch ein, es sei schwierig, das zu belegen, weil niemand den Unterricht kontrolliere. "Wir hatten einige Klagen, aber wir wissen einfach nicht, was da passiert", sagt Schneider.

Bundestag T-Shirts Free Deniz Bundestag Berlin
Auch deutsche Bundestagsabgeordnete fordern die Freilassung von Deniz YücelBild: picture alliance/dpa/M.Kappeler

"Wir haben nichts zu verbergen"

Die Kritiker führen an, es sei kaum anzunehmen, dass Ankara Lehrer bezahle, die Erdogan-Gegner seien, zumal die türkische Regierung mit ihren Säuberungen auch vor Schulen und Universitäten nicht haltmache. Die Berliner CDU-Bildungspolitikerin Hildegard Bentele verweist auf acht neue türkische Lehrer, die dieses Jahr ihre Arbeit an Berliner Schulen aufnehmen: "Ich bin ziemlich sicher, dass sie Erdogan gegenüber loyal sein werden."

Sebastian Krebs von der GEW sagt, einige Türkischlehrer, die in Nordrhein-Westfalen von der Landesregierung eingestellt wurden, befürchteten, dass Eltern ihre Kinder von den regulären Türkischklassen abmelden, weil sie den staatlich beaufsichtigten Unterricht für zu Erdogan-kritisch halten.

Doch Ayfter Yücetas widerspricht dieser Darstellung energisch. Yücetas ist selbst Lehrerin und koordiniert die Arbeit der 55 Türkischlehrer in Berlin. Sie sagt, sie sei enttäuscht und wütend über die "falsche Darstellung" des Unterrichts durch Politiker und Medien. "Mit der Realität hat das nichts zu tun", sagt sie der Deutschen Welle. "Natürlich habe ich meine politische Meinung, aber ich trage sie nicht ins Klassenzimmer". Sie ergänzt: "Wir haben absolut nichts zu verbergen."

Eine Anfrage der DW an das türkische Konsulat, den von ihm organisierten Unterricht zu besuchen, wurde abgelehnt. "Derzeit" sei ein solcher Besuch nicht möglich, so eine Mitarbeiterin. Warum konnte sie nicht sagen.