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Politik

Türkei: Es trifft die Schwächsten

Daniel Heinrich
13. Februar 2017

Am 16. April steht in der Türkei das Verfassungsreferendum an. Staatspräsident Erdogan will seine Macht ausbauen. Die innenpolitische Lage ist angespannt. Viele Kurden fühlen sich schon jetzt ihrer Rechte beraubt.

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Tayyip Erdogan Präsidnet Türkei
Bild: Reuters/Turkey Presidential Palace

Ali Topraks Stimmung schwankt zwischen Ironie und blankem Zynismus. Der 48-Jährige ist der Vorsitzende der kurdischen Gemeinde in Deutschland. Er lebt seit Jahren in Hamburg, geboren ist er jedoch in der türkischen Hauptstadt Ankara. Auf die politischen Zustände in seiner alten Heimat blickt er mit einer gehörigen Portion Fatalismus:

"Natürlich macht es mir Angst, dass gerade die letzten Reste der Demokratie in der Türkei abgewickelt werden. Falls dieses Verfassungsreferendum Mitte April durchgeht, können wir nicht mehr von einer parlamentarischen Demokratie sprechen. Allerdings haben wir ja schon längst ein Ein-Mann-Regime in der Türkei. Ich nenne die derzeitige Staatsform in der Türkei eine 'Präsidialdiktatur'."

Bis zum 16. April, dem Tag des Referendums, sind es nur noch wenige Wochen. 'Ruhe vor dem Sturm' nennt Kristian Brakel die Stimmung im Land. Der Türkei-Experte leitet das Büro der Heinrich Böll Stiftung  in Istanbul:

"Prinzipiell müssen sich alle Menschen in der Türkei Gedanken machen, was in der Türkei nach einem erfolgreichen Referendum passieren wird. Es geht nicht nur um die Festschreibung des Status Quo. Es geht nicht nur um noch mehr Kompetenzen für Staatspräsidenten Erdogan, sondern es geht hier um die formelle Abschaffung der Gewaltenteilung in der Türkei. Dort wo Rechtsstaatlichkeit leidet, trifft es vor allem die Schwächsten der Gesellschaft, die Minderheiten." 

Deutschland Kurden demonstrieren in Köln
Immer wieder kommt es bei kurdischen Demonstrationen auch zu Solidaritätsbekundungen für Abdullah ÖcalanBild: picture-alliance/dpa/M. Hitij

Europaweite Proteste der Kurden

Mit knapp 20 Prozent machen die Kurden in der Türkei die größte ethnische Minderheit aus. Wie sehr sich gerade diese Sorgen um die Zukunft machen, konnte man am Wochenende in Straßburg erleben. Laut Polizei waren es bis zu 15.000 Kurden, die aus ganz Europa angereist waren, um für ihre Rechte zu protestierten. Ali Toprak sieht einen direkten Zusammenhang zu dem Referendum Mitte April:

"Diese Demonstrationen in Europa haben direkt mit den innenpolitischen Ereignissen in der Türkei zu tun. Die Kurden sind die größte Opposition gegen Präsident Erdogan in der Türkei. Sie leisten den größten Widerstand gegen die Regierung. Das ist auch der Grund, warum Erdogan so grausam gegen die Kurden vorgegangen ist in den letzten Jahren".

Ali Toprak
Ali Toprak: Vorsitzender der Kurdischen GemeindeBild: privat

Der Kurdenkonflikt in der Türkei ist wieder voll entflammt. Die türkische Regierung macht dafür hauptsächlich die kurdische Terrororganisation PKK verantwortlich. 

Auch in Straßburg protestierten die Demonstranten für die Freilassung Abdullah Öcalans. Der ehemalige Anführer der Terrororganisation PKK ist seit 1999 inhaftiert. Für die türkische Regierung ist klar: Die politische Partei, die HDP, ist mit der PKK gleichzusetzen. Für den Türkei-Experten Kristian Brakel hinkt diese Analyse:

"Es gibt Verbindungen zwischen HDP und PKK. Beide Organisationen fordern mehr Rechte für die Kurden in der Türkei. Aber es gibt diese Verbindung nicht in dem Ausmaß, wie es die türkische Regierung oft darstellt. Die HDP beruft sich zwar ideologisch auf die PKK, aber sie ist nicht der verlängerte Arm der PKK. Ganz im Gegenteil: Wir haben in den vergangenen Jahren große Diskrepanzen gesehen. Die HDP hat sich entschieden dagegen gewehrt, dass die PKK mit Gewalt gegen Zivilisten vorgegangen ist." 

HDP Politiker inhaftiert

Türkei Polizei verhaftet Unterstützer der pro kurdischen Halkların Demokratik Partisi Partei
Anfang November kam es zu Protesten von Anhängern der HDP. Zuvor waren führende Köpfe der HDP inhaftiert worden.Bild: Getty Images

Genutzt haben die öffentlichen Abgrenzungen der HDP wenig. Führende Köpfe der Partei, darunter die Parteivorsitzenden Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag, sind inhaftiert, viele HDP Bürgermeister sind ihres Amtes enthoben worden. Der jetzige Umgang der Regierung mit den Kurden lässt Ali Toprak für die Zukunft schwarz sehen. Für ihn spielt es gar keine Rolle mehr, wie das Referendum ausgeht:

"Selbst wenn das Referendum abgelehnt würde, Präsident Erdogan mit seinen Plänen nicht durchkommen würde, hätte das nichts zu bedeuten. Erdogan würde das Ergebnis nicht akzeptieren und er würde einfach Neuwahlen ansetzen. Genau so, wie er es bei den Wahlen 2015 gemacht hat."

Bei den Parlamentswahlen im Sommer 2015 war es der HDP aus dem Stand gelungen, 15 Prozent der Wählerstimmen zu erhalten. Die Regierungspartei AKP hatte empfindliche Stimmenverlust erlitten. Kurz darauf kündigte die türkische Regierung den Waffenstillstand mit der PKK. Die türkische Armee rückte mit aller Härte in die Kurdengebiete im Osten des Landes vor. Nach Schätzungen von Amnesty International mussten seitdem über eine halbe Millionen Menschen aus den betroffenen Gebieten fliehen.