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"Kriegsverbrecher wurden von USA unterstützt"

Nastassja Shtrauchler5. Juli 2016

Laut Amnesty International sollen syrische Rebellengruppen massiv gegen das Völkerrecht verstoßen haben. Doch wieso wurde bislang kaum darüber gesprochen? Nahost-Experte Günter Meyer hat eine Erklärung dafür.

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Kämpfer der Nusra Front in Syrien. (Foto: Medyan Dairieh/ZUMA)
Bild: picture alliance/ZUMA Press/M. Dairieh

DW: Herr Professor Meyer, die Menschenrechtsorganisation Amnesty International wirft syrischen Rebellengruppen Kriegsverbrechen vor. Unter anderem ist die Rede von Folterungen und standrechtlichen Tötungen. Wie überrascht sind Sie darüber?

Günter Meyer: Überraschend ist, dass diese Informationen erst so spät veröffentlicht wurden. Bisher hat sich die Weltöffentlichkeit auf Folter und Kriegsverbrechen konzentriert, die von Seiten des Assad-Regimes verübt worden sind. Dokumentiert wurden diese beispielsweise durch die sogenannten Caesar-Fotos. Das waren Aufnahmen von fast 7000 getöteten Häftlingen, die ein syrischer Fotograf zwischen 2011 und 2013 gemacht hatte. Die Inhaftierten waren von der syrischen Geheimpolizei verhaftet, dann gefoltert und anschließend in ein Militärkrankenhaus gebracht worden, wo sie brutal bis zum Tode weiter gefoltert wurden. Bekannt sind auch die Gräueltaten des sogenannten Islamischen Staates (IS).

Bei dem, was nun Amnesty International veröffentlich hat, fällt besonders auf, dass es nicht nur die Dschihadisten der zu Al-Kaida gehörenden Nusra-Front und der Ahrar al-Scham sind, die Kriegsverbrechen begangen haben. In dem Bericht werden auch die drei Milizen Nureddin Sinki, die Levante-Front und die 16. Division der Freien Syrischen Armee aufgeführt. Viele dieser Kämpfer wurden von den USA sowohl ausgebildet als auch mit Waffen versorgt. Die Amerikaner haben aber immer betont, dass sie nur moderate Kräfte und nur handverlesene syrische Kämpfer unterstützen. Was wir daran sehen, ist, dass auch Kriegsverbrecher von den USA unterstützt worden sind.

Professor Günter Meyer, Leiter des Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt an der Universität Mainz. (Foto: Peter Pulkowski)
Günter Meyer war 2012 das letzte Mal in SyrienBild: Peter Pulkowski

Wussten die Amerikaner davon und wenn ja: Wieso haben sie das akzeptiert?

Durchaus wussten sie davon. Westliche Medien haben auch immer wieder darauf hingewiesen, dass syrische Kämpfer, die von den USA in der Türkei ausgebildet wurden, nach ihrer Rückkehr nach Syrien mit ihren Waffen reihenweise zur Nusra-Front und auch zum sogenannten Islamischen Staat übergelaufen sind. Die Amerikaner haben das so hingenommen mit der klaren Zielsetzung, auf diese Weise das Assad-Regime schwächen zu können. Genauso wie der US-Führung spätestens seit 2012 die Gefahr der Entstehung des IS bekannt gewesen ist, sie aber nichts dagegen unternommen hat, weil es in ihrem Interesse war, das Assad-Regime zu stürzen.

In dem Bericht von Amnesty International werden weitere Staaten aufgeführt, die die bewaffneten Gruppierungen trotz ihres brutalen Vorgehens offenbar unterstützen. So beispielsweise Saudi-Arabien, Katar und die Türkei. Welche Rolle spielen diese Länder?

Saudi-Arabien ist als Hauptunterstützer der Ahrar al-Scham anzusehen, einer dschihadistischen Gruppierung, die ebenfalls mit größter Brutalität vorgeht. Katar und die Türkei hingegen unterstützen vor allem jene Rebellengruppen in Syrien, die der Muslimbruderschaft nahestehen. Auch für Gewalttaten dieser Milizen gibt es zahlreiche Hinweise.

Welche religiösen und politischen Ziele verfolgen diese Gruppen? Gibt es Übereinstimmungen in der Ausrichtung?

Die Zielsetzung aller dieser Gruppen ist es, gegen all jene zu kämpfen, die sie als Ungläubige betrachten: beispielsweise Schiiten, die Heilige und deren Gräber verehren. Vorgegangen wird auch gegen Frauen, die kein Kopftuch tragen und sich in den Augen der Fundamentalisten damit als Anhängerinnen des säkularen Assad-Regimes zu erkennen geben. Die Einführung der Scharia ist die gemeinsame Basis der verschiedenen Gruppierungen. Ihnen geht es darum, in Syrien einen Staat zu errichten, in dem das islamische Gesetz das Zusammenleben regelt.

Ein Kämpfer der al-Nusra-Front in Syrien sitzt auf einem Panzer. (Foto: REUTERS/Ammar Abdullah)
Kämpfer der Nusra-Front, die der Al-Kaida nahe stehtBild: Reuters/A. Abdullah

Inwiefern unterscheiden sich diese Gruppen damit noch vom sogenannten Islamischen Staat?

Die Brutalität des IS ist vom religiösen Ansatz her nicht zu übertreffen: beispielsweise beim Ausmaß der Körperstrafen wie Auspeitschungen oder auch die Zahl der Hinrichtungen. Die Terrormiliz ist eine eigene Kategorie, weil sie zu keinerlei Kompromissen bereit ist.

Wurden die syrischen Oppositionsgruppen Ihrer Meinung nach bislang falsch oder zu verklärt dargestellt?

In arabischen Medien, insbesondere im Libanon, wird immer wieder darüber berichtet, dass die oppositionellen Milizen auch gegeneinander kämpfen. Solche Meldungen sind aber meistens nicht so spektakulär, dass sie auch von westlichen Medien aufgegriffen werden. Es gibt eine Vielzahl von Angriffen, die "unter falscher Flagge" von Anti-Assad-Milizen durchgeführt wurden und dann dem Regime untergeschoben worden sind. Beispielsweise der Giftgaseinsatz in der Region Ghouta bei Damaskus 2013: Mittlerweile gibt es klare Belege dafür, dass das Giftgas dafür in der Türkei produziert, vom türkischen Geheimdienst nach Damaskus gebracht wurde und dann von Oppositionellen eingesetzt wurde.

Welche Partner sind in Syrien überhaupt verlässlich? Mit wem kann oder sollte man eigentlich Friedensverhandlungen führen? Mit wem besser nicht?

Wenn wir uns im Moment die Machtverhältnisse anschauen, dann haben wir als stärkste Macht Russland und das Regime von Baschar al-Assad. So lange dieses Regime weiter besteht, bleibt das gegenwärtige Militär der wichtigste Partner für einen zukünftigen Friedensschluss. Der große Vorteil besteht darin, dass wir damit noch ein funktionierendes Ordnungsystem in Syrien haben. Darauf kann man aufbauen und das Land vielleicht wieder stabilisieren. Dass auch die USA inzwischen davon absehen, gezielt gegen Assad vorzugehen, entspricht dem, was die Militärs schon 2013 gesagt haben: Wenn das Regime gestürzt wird, bedeutet das, dass die dschihadistischen Gruppen die Macht übernehmen. Dann kann es nur noch schlimmer werden. Dann hätten wir nur noch einen völlig gescheiterten Staat.

Professor Dr. Günter Meyer ist Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt an der Universität Mainz.

Das Interview führte Nastassja Shtrauchler.