1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Atomunfall Majak

Nina Fedorova (rri)29. September 2007

Am 29. September 1957 kam es im Südural zu der ersten Atomkatastrophe in der UdSSR. Sie war größer als der GAU von Tschernobyl. Moskau hielt den Unfall lange geheim. Jetzt fordern Überlebende höhere Entschädigungen.

https://p.dw.com/p/BkmN
Turbinenraum eines Kraftwerks (Quelle: dpa)
Einige Atomkraftwerke, wie dieses im sibirischen Tomsk (Turbinenraum) sind bereits 40 Jahre in BetriebBild: picture-alliance/dpa

"Die Menschen wurden strahlenkrank. Die Ärzte wussten nicht, um welche Krankheit es sich handelt und warum sich die Sterberaten so erhöht hatten. Über radioaktive Strahlung hatte niemand ein Wort verloren." Das sagt Ljubow Malzewa, eines der Opfer der ersten großen Atomkatastrophe vor 50 Jahren. Heute engagiert die Rentnerin sich in der Nichtregierungsorganisation "Sojuz Majak", um den Opfern des Unfalls verspätet zu ihrem Recht zu verhelfen.

Die von Malzewa beschriebene Verstrahlung geschah vor genau 50 Jahren im Südural in der Produktionsgenossenschaft "Majak": Am Kystym-See explodierte ein unterirdisches Lager mit Flüssigkeit aus radioaktiven Abfällen. Beim Zerfall radioaktiver Substanzen entsteht immer Wärme, weshalb die Behälter ständig gekühlt werden mussten. Dafür hatte man ein spezielles Wasserkühlungssystem entwickelt. Doch an dem verhängnisvollen Tag fiel eine der Pumpen aus und verursachte den ersten großen Atomunfall in der Sowjetunion.

Atomforschung ohne Schutzmaßnahmen

Der Atombetrieb "Majak" wurde in der Nähe der Stadt Osjersk gegründet, um Uran-235 und Plutonium-239 zu produzieren, das für Nuklearwaffen benötigt wird. Am 22. Juni 1948 war der erste Reaktor einsatzbereit. 1949 folgte der erste Atomwaffenversuch. 1956 arbeiteten in "Majak" bereits fünf Reaktoren. Die Arbeiter im Betrieb trugen fast keine Schutzkleidung. Radioaktive Abfälle wurden direkt in einen nahen Fluss geleitet, aus dem die Menschen Trinkwasser bezogen. Statistiken über Strahlenopfer wurden nicht geführt.

"Die Mitarbeiter haben an ihrem Arbeitsplatz viel Plutonium inhaliert", erläutert Peter Jacob, Leiter der Arbeitsgruppe "Risikoanalyse" des GSF-Forschungsinstituts für Umwelt und Gesundheit bei München. "Unter ihnen stellt man heute eine starke Erhöhung von Lungenkrebs fest. Das sind tatsächlich die einzigen Daten, mit denen wir [mehr über] das Risiko von Plutonium lernen können."

32 Jahre Schweigen

Karte Europe-Russland mit orangenen Markierungen
So breitete sich die radioaktive Wolke (orange) nach dem Unfall von Tschernobyl aus

Am 29. September 1957 nimmt die Katastrophe ihren Lauf. Eine unsichtbare radioaktive Wolke steigt rund 1000 Meter hoch und verbreitet sich auf einer Fläche von 23.000 Quadratkilometern – der so genannten "ost-uralischen Spur der Verseuchung". Auf diesem Territorium ist in der Folge der ganze Nadelwald abgestorben. Die Arbeit im Atombetrieb "Majak" ging jedoch ununterbrochen weiter.

Die sowjetische Führung verschwieg die Explosion und die Folgen für die betroffenen Menschen. Ganze Dörfer wurden umgesiedelt, doch die Dorfbewohner erfuhren nichts über den Grund. Erst 1989 berichtete die sowjetische Führung der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) über den Fall. Zwei Jahre zuvor war die Herstellung des waffenfähigen Plutoniums bei "Majak" gestoppt worden. Seitdem wird dort in nur noch zwei der ursprünglich sechs Reaktoren Kernbrennstoff angereichert.

Belastung 100-fach höher als Tschernobyl

Zerstörter Reaktor (schwarz-weiß) (Quelle: AP)
Der Super-Gau von Tschernobyl (Bild) und der Unfall von Majak gelten als die schwersten AtomunfälleBild: AP

Der nahe Fluss Tetscha bleibt radioaktiv verschmutzt. Die radioaktive Belastung des Wassers liegt noch immer 100 mal höher als die in Tschernobyl, erklärte der EU-Chefexperte für Nuklearsicherheit, Derek Tailor, im Jahre 2000. Dort und in den angrenzenden Gebieten sind Hunderttausende Menschen betroffen. "Durch den Unfall ist ein größeres Gebiet radioaktiv kontaminiert worden. Das ist nach wie vor abgesperrt und nicht zugänglich", sagt Peter Jacob. Auch andere Gebiete im Ural wiesen diese Kontamination auf, zum Beispiel der Oberlauf des Flusses Tetscha. "Doch das ist entstanden durch die normalen Freisetzungen in der "Majak"- Produktionsgenossenschaft." Darüberhinaus gebe es die geschlossene Zone, in der sich die Stadt Osjersk und die "Majak"- Produktionsgenossenschaft selbst befinden. "Außerhalb dieser drei Gebiete gibt es keine Radioaktivität", erläutert Jacob.

Die Opfer des ersten sowjetischen Atomunfalls hoffen auf eine Erhöhung ihrer Entschädigungen vom russischen Staat. Die Auszahlungen sind bislang sehr gering – etwa 280 Rubel im Monat, das entspricht ungefähr acht Euro. Doch vor kurzem stellte sich heraus, dass diese Summen auch früher wesentlich höher hätten sein sollen. Nun versuchen die meist betagten Überlebenden ihr Glück vor russischen Gerichten.