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Sturm auf Botschaften der EU und Dänemarks

3. Februar 2006

Gewaltandrohungen und Angriffe auf Botschaften auf der einen Seite - Solidarisierungen und Appelle an die Pressefreiheit auf der anderen Seite. Der Karikaturen-Streit zieht immer weitere Kreise.

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Die Nerven sind angespannt: In der dänischen Botschaft in Damaskus gab es falschen BombenalarmBild: dpa

Aus Wut über die Karikaturen des Propheten Mohammed haben aufgebrachte Moslems Europäern Gewalt angedroht. Jeder Däne, Norweger und Franzose in den Palästinensergebieten sei "eine Zielscheibe", erklärten das "gemeinsame Kommando" der radikalen El-Aksa-Brigaden und das Komitee für den Volkswiderstand am Donnerstag (2.2.2006) im Gazastreifen. Dänemark, Frankreich und Norwegen sollten ihre Büros und Konsulate in den Palästinensergebieten schließen, "sonst zögern wir nicht, sie zu zerstören", erklärten die beiden radikalen Gruppen.

Ein Sprecher des Widerstandskomitees sagte, die Drohung sei ernst zu nehmen und werde auf jedes Land ausgeweitet, in dessen Medien die umstrittenen Karikaturen nachgedruckt würden. Norwegen schloss daraufhin seine Vertretung im Westjordanland.

Die Al-Aksa-Brigaden in Nablus im Westjordanland suchen gezielt nach Ausländern, berichtet die Nachrichtenagentur dpa. Männer aus den Reihen der bewaffneten Gruppe fragten in Hotels der Stadt nach, ob sich dort Bürger aus Dänemark, Norwegen oder Frankreich aufhielten, sagte der palästinensische Hotelbesitzer Awad Hamdan. Die Al-Aksa-Brigaden im Gazastreifen haben bereits mehrfach Ausländer verschleppt.

Schüsse auf das EU-Büro

In der Stadt Gaza drangen am Donnerstag etwa fünfzig maskierte und mit Schnellfeuergewehren und Panzerfäusten bewaffnete Palästinenser in den Vorgarten des dortigen EU-Büros ein und feuerten Schüsse ab. Wie erst am Donnerstag bekannt wurde, hatte die Europäische Union ihre Vertretung im Gazastreifen wegen des Streits bereits geschlossen. Das Büro war deshalb unbesetzt. Bei dem Protest seien auch Schüsse auf das Gebäude abgegeben worden, sagte ein EU-Mitarbeiter weiter. Wann die Arbeit wieder aufgenommen werde, sei nicht bekannt.

Indonesien: Sturm auf dänische Botschaft

In der indonesischen Hauptstadt Jakarta stürmten Moslems am Freitag (3.2.2006) das Haus, in dem die dänische Botschaft untergebracht ist. Sie protestierten gegen die Veröffentlichung der Karikaturen des Propheten Mohammed und forderten die Aufgabe der diplomatischen Beziehungen zwischen Indonesien und Dänemark sowie die Ausweisung des dänischen Botschafters aus dem Land.

Die etwa dreihundert Moslems der extremen "Islamischen Verteidigungsfront" (FPI) drangen nach Angaben eines Augenzeugen in die Lobby des Gebäudes ein, in dem die Botschaft untergebracht ist. Sie zerschlugen Lampen mit Bambusstöcken und warfen Stühle umher. Auf das Schild der dänischen Botschaft warfen sie faule Eier und Tomaten. Die Botschaft selbst liegt im 25. Stock des Gebäudes. Bis dahin drang die Menge aber nicht vor, da sie an den Sicherheitskräften in der Lobby nicht vorbeikam. Etwa 100 indonesische Polizisten beobachteten den Protest, der nach einer Stunde beendet war. Verhaftet wurde offenbar niemand.

Trotzige Nachdrucke

Mohammed Zeichnung Demonstration gegen Dänemark Irak
Anti-dänische Proteste auch im Irak in NajafBild: AP

Die französische Boulevardzeitung "France Soir" verteidigte den Nachdruck der umstrittenen Bilder. Zwar sei die Abbildung des Propheten Mohammed im Islam verboten, hieß es im Leitartikel des Blattes. "Die Frage ist nur: Müssen sich alle, die keine Moslems sind, an das Verbot halten?" Wegen des Nachdrucks wurde der Chef der Boulevardzeitung, Jacques Lefranc, entlassen. Die Tageszeitung "Le Monde" druckt in ihrer Freitagsausgabe eine eigene Karikatur des Propheten Mohammed auf der Titelseite.

Pressefreiheit bedroht

In Deutschland warnten Politiker und Journalistenverbände angesichts militanter muslimischer Proteste gegen die Karikaturen vor einer Einschränkung der Medienfreiheit.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hat eine Entschuldigung der Regierung für Veröffentlichungen der Karikaturen in der deutschen Presse abgelehnt. "Warum sollte sich die Regierung für etwas entschuldigen, was in Ausübung der Pressefreiheit passiert ist?", sagte Schäuble der Tageszeitung "Die Welt". Das Blatt hatte am Mittwoch mehrere der umstrittenen Zeichnungen nachgedruckt. "Wenn sich da der Staat einmischt, dann ist das der erste Schritt zur Einschränkung der Pressefreiheit", sagte Schäuble. Andererseits müsse die Presse mit dem, "was sie anstellt, selbst umgehen".

Auch die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", die "tageszeitung" und "Die Zeit" bekannten sich zu einem Abdruck.

Ein Fall für die UN?

Die Proteste könnten sogar das Europäische Parlament beschäftigen. "Wenn die Eskalation weiter getrieben wird, kann das keinem Demokraten gleichgültig sein", sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Liberalen im EU-Parlament, Silvana Koch-Mehrin, der "Netzeitung". "Natürlich kann man über die Karikaturen im Einzelnen diskutieren, ob sie geschmacklich gelungen sind", sagte das FDP-Präsidiumsmitglied. "Aber es ist nicht akzeptabel, wenn Fundamentalisten mit Gewalt darauf reagieren."

Die jordanische Wochenzeitung "Schihane" druckte drei der umstrittenen Karikaturen ab und rief die Moslems zur Mäßigung auf. Auch die Organisation Reporter ohne Grenzen forderte "Vernunft und Ruhe".

Kritik an den Zeichnungen kam vom Deutschen Orient-Institut (DOI). Die Veröffentlichungen seien eine gezielte Provokation, sagte DOI-Direktor Udo Steinbach in der Deutschen Welle. Die Beziehungen zwischen der muslimischen Minderheit und der dänischen Mehrheit verschlechterten sich seit drei bis vier Jahren. "Hier tut sich ein Graben auf, der zum Teil
rassistisch ist", sagte Steinbach. Er finde die Zeichnungen "recht primitiv".

UN-Generalsekretär Kofi Annan äußerte sich besorgt über die Kontroverse. Die Freiheit der Presse sollte so ausgeübt werden, dass stets die Glaubensgrundsätze der Religionen respektiert werden, heißt es in einer Erklärung Annans am Donnerstag in New York. Er betonte, wie wichtig es sei, Missverständnisse und Feindseligkeiten zwischen Menschen unterschiedlicher Glaubensrichtungen und Kulturen auszuräumen. Das sei vor allem durch friedlichen Dialog und gegenseitigen Respekt möglich. (kas/mas)