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Studiogespräch: Forschung bedeutet auch, Risiken einzugehen

19. Mai 2014

Europa forscht gemeinsam – im Programm "Horizon 2020“ stehen dazu über 70 Milliarden Euro bereit. Aber es gibt auch Kritik: zu viel Geld gehe an anwendungsorientierte Projekte, zu wenig an die Sozial- und Geisteswissenschaften. Wie sich die europäische Forschung entwickelt, darüber sprechen wir mit Dr. Jochen Gläser vom Zentrum für Technik und Gesellschaft an der Technischen Universität Berlin.

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DW:
In Europa werden einige Leuchtturmprojekte richtig gut gefördert, aber sollte man nicht vielleicht doch mehr auf die Vielfalt setzen, damit man das Geld wie mit einer Gießkanne gleichmäßiger auf viele Projekte verteilt?

Jochen Gläser:
In manchen Fällen ist es gut, die Förderung zu konzentrieren. Aber natürlich ist es für die Forschungsförderung ganz wichtig, die Diversität von Themen und die Diversität von Formen, in denen Forschung durchgeführt wird, zu fördern.


Das heißt, man muss auch ein gewisses Risiko eingehen? Diversität ja, aber immer wieder das Geld auch fokussieren? Es gibt einige Leuchtturmprojekte, wie zum Beispiel auch das Human Brain Project, die eine Förderung von einer Milliarde Euro erhalten.


Ja, man muss Risiken eingehen. Aber auch die Förderung der gesamten Bandbreite der Forschung ist wichtig, weil daraus viele wichtige Erkenntnisse hervorgehen können. Forschungsförderung ist immer mit Risiken verbunden. Und das Schlimmste, was man meiner Ansicht nach in der Forschungsförderung tun kann, ist Risiken zu vermeiden.


Mit der Forschungsförderung ist die Erwartung verbunden, dass man damit Dinge in die Welt bringt, die irgendwann auch einen großen wirtschaftlichen Output haben. Kann man tatsächlich so gezielt steuern und fördern, dass am Ende Geld fließt?


Es ist am Besten Grundlagenforschung in ihrer ganzen Breite zu fördern, ohne direkte Nutzenerwartungen zu adressieren. Und dann aber auch Wissenschaftlern, die in die Richtung von Anwendung gehen wollen und Forschungsthemen, die Anwendungsnutzen versprechen, ebenfalls Geld bereitzustellen. Also mehr im Sinne von Verlockung, als im Sinne von Zwang zum Nachweis eines Nutzens, der am Anfang der Förderung steht.


Tatsächlich passiert doch in Europa etwas anderes, weil gerade die Geisteswissenschaften, bei denen man sich eben keinen direkten Nutzen versprechen kann, ein Schattendasein bezüglich der Förderung führen. Würden Sie sich die Balance zwischen anwendungsorientierter Forschung und Grundlagenforschung anders wünschen?


Ich hätte mir von Horizon 2020 gewünscht, dass die Förderung der Grundlagenforschung ausgeprägter wäre und dass vor allem die Förderung der Geistes- und Sozialwissenschaften breiter gewesen wäre, dass deren Eigenwert, der sich nicht mit wirtschaftlich-orientierten Nutzenerwartungen deckt, stärker anerkannt wird.


Dazu muss man wissen, dass Sie Sozialwissenschaftler sind.


Ja, natürlich. Wobei ich eher sogar in einem anwendungsorientierten Bereich forsche, unter anderem auch zu den Geisteswissenschaften. Es geht mir darum, dass wir verstehen müssen, dass die eben ganz anders funktionieren und unter Umständen nicht in unserem Sinne direkt gesellschaftlich nützlich sind, aber trotzdem gesellschaftlich unheimlich wichtig sein können.

Interview: Ingolf Baur