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Politik

Mutters Job ist entscheidend

27. Juni 2018

Vater arbeitet, Mutter ist zu Hause: Dieses lange verbreitete Modell birgt viele Risiken. Denn wenn die Mutter nicht erwerbstätig ist, droht oft Kinderarmut, so eine Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung.

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Deutschland Schulkinder mit Schulranzen
Bild: picture-alliance/W. Rothermel

Kino wird zum unerschwinglichen Luxus, normale Hobbys unerreichbar: Viele Kinder und Jugendliche in Deutschland haben so wenig Geld zur Verfügung, dass sie am alltäglichen Leben ihrer Klassenkameraden nicht teilhaben können. Schon seit Jahren beschäftigen sich Wissenschaftler mit Kinderarmut in Deutschland. Nun hat eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung herausgefunden, dass gerade das klassische und vor allem in Westdeutschland häufig noch gelebte Familienmodell - der Vater arbeitet, die Mutter kümmert sich um Haushalt und Kinder - mit dafür verantwortlich sein könnte. Denn das Einkommen der Mutter entscheidet laut der Studie maßgeblich darüber, ob ein Kind in Armut aufwächst oder nicht.

Zerrieben zwischen Erziehungsarbeit und Job 

"Es hat uns wirklich erstaunt, wie stark der Einfluss der Mütter-Erwerbstätigkeit auf die Situation der Kinder ist", sagte Projektmanagerin Sarah Menne von der Bertelmann-Stiftung der DW. Laut der Studie sind fast alle Kinder finanziell abgesichert, wenn die Mutter voll- oder zumindest teilzeitbeschäftigt ist. Wenn die Mutter hingegen länger aus dem Beruf aussteigt, erlebte fast ein Drittel des Nachwuchses dauerhaft oder immer mal wieder sogenannte Armutslagen. Laut der Studie spricht man dann von einer Armutslage, wenn Familien mit weniger als 60 Prozent des mittleren Haushaltsnettoeinkommens auskommen müssen oder staatliche Grundsicherungsleistungen beziehen. Weitere 30 Prozent waren zumindest kurzzeitig von einem Abrutschen in die Armut gefährdet. Für die Untersuchung wurden bei 3.180 Kinder Informationen über einen Zeitraum von fünf Jahren ausgewertet.

Sarah Menne
Sarah Menne von der Bertelsmann-Stiftung: Für Alleinerziehende ist es besonders schwierigBild: Bertelsmann Stiftung/Kai Uwe Oesterhelweg

Für Alleinerziehende sieht die Lage noch düsterer aus. Nur wenn die Mutter es schaffte, mindestens 30 Wochenstunden zu arbeiten, konnte ein Aufwachsen nahe der Armut in vielen Fällen verhindert werden. Für viele Alleinerziehende ist aber genau das ein Drahtseilakt: Denn die alleinige Verantwortung für die Betreuung der Kinder lässt oft keinen Vollzeit- oder vollzeitnahen Job zu. Bei einem Teilzeitjob erlebten mindesten etwa ein Fünftel der Kinder immer wieder Armut, weiteren 40 Prozent zumindest zeitweise. War die Mutter hingegen nicht erwerbstätig, drohte den Kindern fast immer Armut.

Für das Deutsche Kinderhilfswerk sind diese Ergebnisse erschreckend: "Alleinerziehende sind immer noch strukturell benachteiligt, auch wenn schon lange ihre Unterstützung gefordert wird", sagte Nina Ohlmeier der DW. Sie fordert, dass Alleinerziehende über das Steuersystem noch stärker entlastet und der Mindestlohn weiter angehoben werden müsse. "Alleinerziehende üben oft zudem frauentypische Berufe aus, die schlecht bezahlt sind - hier muss definitiv etwas passieren." Auch ein Rückkehrrecht in Vollzeit müsse gesetzlich verankert werden.

Wer arm ist, hat weniger Freunde

Ob als Kind einer klassischen Familie oder einer Alleinerziehenden: Das Aufwachsen in Armut hat gravierende Folgen. Oftmals fühlen sich die Jugendlichen isoliert: "Kinder in dauerhafter Armut haben weniger Freunde, sie können seltener Mitglied im Sportverein sein, ins Kino gehen, anderen Hobbys nachgehen oder Freunde zu sich nach Hause einladen", sagt Menne von der Bertelsmann-Stiftung. "Das führt natürlich dazu, dass sie ein kleineres Netzwerk haben und sich weniger der Gesellschaft zugehörig fühlen." Die Kinder wüssten schon in jungen Jahren, dass sie weniger Chancen in unserer Gesellschaft hätten. Sie schätzten ihre Möglichkeiten deutlich geringer ein als die wohlhabenderer Kinder. "Das ist natürlich auch sozialer Brennstoff, wenn man an die Polarisierung der Gesellschaft denkt."

Das Bildungs- und Teilhabegesetz greife ihrer Meinung nach oftmals zu kurz. "Wir fordern deshalb, die familienpolitischen Leistungen anders zu gestalten und zu bündeln – in einem Teilhabegeld", sagte  Menne. Denn zur Zeit wird Kindergeld vollständig auf SGB-II-Leistungen für Kinder angerechnet. "Das Geld sollte unserer Meinung nach lieber dort eingesetzt werden, wo es am nötigsten gebraucht wird - mit dem Teilhabegeld fordern wir eine Leistung, die mit steigendem Einkommen der Eltern sinkt und die Kinder aus dem SGB-II-System herauslöst." Nur so könne Kindern und Jugendlichen geholfen werden - unabhängig vom Job ihrer Mütter. 

Stephanie Höppner Autorin und Redakteurin für Politik und Gesellschaft