1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Studie: Flüchtlinge zeigen sich bildungshungrig

Richard A. Fuchs
15. November 2016

Lange wurde gerätselt, wer als Flüchtling kam und warum. Eine Studie zeigt: Das Bildungsniveau der Asylsuchenden ist extrem unterschiedlich - allgemein hoch ist die Bildungsneigung. Das lässt Arbeitsmarktforscher hoffen.

https://p.dw.com/p/2SjGa
Symbolbild Bildung Migranten Schule Lernen Lesen Schulbuch
Bild: picture-alliance/Joker

Wer sind die nach Deutschland eingereisten Flüchtlinge? Und welche Qualifikationen bringen sie für eine erfolgreiche Integration mit? Viel wurde über diese Frage in den vergangenen Monaten gerätselt, viel haltlos spekuliert. Eine repräsentative Befragung unter der Federführung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) will jetzt Transparenz in die Debatte bringen. Dafür wurden in den vergangenen Monaten mehr als 2300 Geflüchtete befragt, die älter als 18 sind. Die Kernbotschaft der Studie lautet: Es gibt eine große Gruppe, die gut ausgebildet ist. Und eine große Gruppe, die auf niedrigem Ausgangsniveau eine hohe Bildungsbereitschaft zeigt. 

Polarisierung bei den Bildungsbiographien

Ausgangspunkt ist für die Forscher dabei die Erkenntnis, dass der Bildungshintergrund der seit 2013 nach Deutschland geflüchteten Menschen extrem unterschiedlich ist. Die Forscher sprechen gar von einer "Polarisierung" der Bildungsbiographien. So gibt es eine Gruppe extrem gut ausgebildeter Zuwanderer, und eine Gruppe mit geringen Schul- und Berufskenntnissen. Die mittleren Bildungsniveaus sind unterrepräsentiert.

Deutschland Osnabrück Schweiger eröffnet Flüchtlings-Kita
Prominenter Sprachtrainer: Schauspieler Till Schweiger (links) mit einem jungen Flüchtling in OsnabrückBild: picture-alliance/dpa/F. Gentsch

37 Prozent der befragten Flüchtlinge haben demnach eine weiterführende Schule besucht, 32 Prozent verfügen über einen Hochschul- oder Ausbildungsabschluss. Im unteren Qualifikationsspektrum haben zehn Prozent nur eine Grundschule besucht und neun Prozent gar keine Schulbildung. Insgesamt sagen 55 Prozent der Geflüchteten von sich, zehn und mehr Jahre in einer allgemeinen Schule verbracht zu haben. Zum Vergleich: unter der deutschen Bevölkerung liegt dieser Wert bei rund 88 Prozent.

Auch wenn die Bildungsvoraussetzungen damit sehr unterschiedlich sind, sprechen die Forscher durchgängig von einem hohen Maß an Bildungsbereitschaft. 46 Prozent der Befragten würden einen weiteren Schulabschluss in Deutschland anstreben, 66 Prozent planten, eine Ausbildung zu absolvieren. Und rund 23 Prozent strebten sogar einen Universitätsabschluss an. Wann und wie aus dieser Bildungsneigung echte Jobperspektiven werden, das vermögen die Forscher aus ihren Daten bisher nur annäherungsweise herauszulesen. Nur soviel sei aus den vergangenen Jahren bekannt, sagt Professor Herbert Brücker vom IAB: "Drei Jahre nach der Ankunft sind etwa 30 Prozent aller Flüchtlinge in einem Job, rund fünf Jahre danach etwa die Hälfte." Beim zuständigen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) glaubt man, dass dies realistische Zahlen seien. 

Fluchtpunkt Deutschland: Hier zählen Menschenrechte

Die Studie thematisiert auch die Lebensumstände, die Flucht und den Wertekanon der Flüchtlinge. Demnach lebt aktuell noch gut die Hälfte aller Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften. Das trübt die Stimmung vieler Migranten, sorgt für Spannungen, lässt sich aber nicht an den Daten zur allgemeinen Lebenszufriedenheit ablesen, sagen die Forscher. Die ist ähnlich hoch wie die der einheimischen Bevölkerung. 

Infografik Geflüchtete Gründe für das Zielland Deutschland

Auch zur "Blackbox Flucht" gibt es neue Zahlen. Rund 7000 Euro mussten die Geflüchteten im Durchschnitt für Schlepper und Transportmittel aufwenden. Eine Flucht, die im Durchschnitt 49 Tage dauerte. Auf die Frage, warum gerade Deutschland ihr Zufluchtsort sein sollte, antworten zwei von drei Flüchtlingen: Sie wollten in einem Land leben, das die Menschenrechte achtet (siehe Grafik). Als weitere wichtige Beweggründe für das Zielland Deutschland wurden vor allem das Bildungssystem, die Willkommenskultur und das Sozialsystem genannt.

Wer flieht, denkt ähnlich wie die Deutschen

Besonders erstaunt waren die Forscher darüber, mit welchen Ansichten und Wertvorstellungen viele nach Deutschland eingereist sind. Dabei gibt es wichtige Gemeinsamkeiten zwischen den Flüchtlingen und der deutschen Bevölkerung. So unterstützten 96 Prozent der Befragten die Aussage, dass man "ein demokratisches System haben sollte". Zum Vergleich: 95 Prozent aller Deutschen stimmen aktuell mit dieser Aussage überein. 92 Prozent der befragten Flüchtlinge sagen, dass "gleiche Rechte von Männern und Frauen" ein Bestandteil demokratischer Kultur sind. Auch unter der deutschen Bevölkerung ist dieser Wert exakt gleich hoch.

 "Wer hierher nach Deutschland flieht, tut dies im Bewusstsein, die Wertvorstellungen anzunehmen": So erklärt Nina Rother vom Forschungszentrum im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die auf den ersten Blick erstaunlichen Ergebnisse. 

Infografik Deutsche & Geflüchtete: Demokratieverständnis & Werte ähnlich

Unter den Flüchtlingen waren 25 Prozent Anhänger christlicher Konfessionen und rund 75 Prozent verschiedener muslimischer Traditionen. Signifikante Unterschiede zwischen diesen Gruppen, insbesondere in Bezug auf das Rollenverständnis von Mann und Frau, konnten die Forscher aber nicht herauslesen, sagt Professor Herbert Brücker vom IAB. Traditionelle Werte der Heimatländer würden schnell nach der Flucht an Relevanz verlieren. Ablesen lasse sich dies vor allem daran, dass unter den Befragten kaum Menschen waren, die das Urteil religiöser Führer höher bewerteten als Recht und Gesetz.

Während in den Herkunftsländern vieler Flüchtlinge über die Hälfte aller Bürger das Urteil von Religionsführern über das Gesetz stellt, stimmen dem nur 13 Prozent der befragten Flüchtlinge zu. Die Forscher lesen aus diesen Zahlen heraus, dass die in manchen Kreisen verbreitete Angst vor Islamisierung und Radikalisierung der Zuwanderungsgesellschaft eher unbegründet erscheint. Damit Erkenntnisse wie diese auch in geschlossenen Facebook-Gruppen und Filterblasen die Runde machen, soll die Befragung jährlich wiederholt werden.