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Politik

Wenn Licht und Wärme zum Luxus werden

4. Dezember 2017

Kein Strom in den Wintermonaten - für tausende Haushalte in Deutschland ist das die bittere Realität. Eine Caritas-Studie zeigt erstmals, wen die Stromsperren am ehesten treffen und wie man sie künftig vermeiden könnte.

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Stromzähler
Bild: picture-alliance/dpa/J. Stratenschulte

Auf einmal ist es dunkel, der Kühlschrank funktioniert nicht mehr, aus der Dusche kommt nur noch kaltes Wasser: In Deutschland wurde im vergangenen Jahr laut dem aktuellen Monitoringbericht der Bundesnetzagentur etwa 328.000 Haushalten der Strom abgestellt. Etwa 6,6 Millionen Haushalten wurde die Sperre zumindest angedroht.

Die Stromsperre ist oftmals das letzte Mittel der Stromanbieter, wenn Kunden Rechnungen nicht bezahlen. Sie wird erst dann vollzogen, wenn der Rückstand mehr als 100 Euro beträgt, bereits mehrmals gemahnt und die Stromsperre angedroht wurde. Für die Betroffenen wird es nach der Sperrung jedoch richtig teuer: Sie müssen nicht nur die offene Rechnung begleichen, sondern auch den Wiederanschluss bezahlen. Die Anschlussgebühr kann - je nach Versorger - bis zu 200 Euro kosten. Für viele Sozialhilfeempfänger und Geringverdiener in Deutschland sind diese Kosten kaum zu stemmen.

Im Behördendschungel

Die Zahlen für die Stromsperren sind seit Jahren etwa gleichbleibend. Unklar war jedoch bislang, wer am ehesten von den Stromsperren betroffen ist. Der Deutsche Caritasverband hat nun erstmals gemeinsam mit dem Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) einen intensiven Blick auf die stromlosen Haushalte geworfen. Die Ergebnisse der jetzt offiziell veröffentlichten Studie sind alarmierend: Stromsperren werden in Deutschland vor allem Familien angedroht. Tatsächlich gesperrt werden allerdings vor allem Singlehaushalte. Meistens haben die betroffenen Stromkunden wenig Geld, leben von Hartz IV oder sind bereits verschuldet. Besonders eine Gruppe ist überproportional betroffen: "Es scheint für Menschen mit geringem Bildungsniveau besonders schwierig zu sein, sich in der Gemengelage von drohender Stromsperre, möglicherweise bestehenden Schulden und nötiger Kommunikation mit Behörden zurechtzufinden", heißt es in der Caritas-Studie.

Wuppertaler Familie, der der Strom gesperrt wurde (2014)
Wuppertaler Familie, der der Strom abgestellt wurde (2014): Kalt duschen, um Sperre zu vermeidenBild: picture-alliance/dpa/J. Güttler

Für manch einen Betroffenen sind die Folgen dramatisch. So schreibt eine Userin in dem Internetforum "Gutefrage.net", dass einer verschuldeten Freundin der Strom abgestellt wurde - obwohl sie ein Baby von sechs Monaten zu versorgen hat: "Die Verpflegung des Babys ist nicht mehr gewährleistet - freue mich über schnelle Antworten."  Im schlimmsten Fall, so mutmaßt ein anderer User, müsste das Baby während der Zeit der Stromsperre sogar in eine Pflegefamilie.

Lernen, mit wenig Geld auszukommen

Die Studienautoren leiten aus ihren Ergebnissen Empfehlungen ab, wie das Problem der Stromsperren gelöst werden könnte. "Wir müssen die Lebensumstände stärker berücksichtigen", sagte Peter Heindl vom ZEW der "Zeit". Menschen, die verschuldet sind, müssten möglichst früh Hilfe bekommen. Schuldnerberatungen sollten ausgebaut werden. Außerdem sollten die Menschen lernen, sich selbst zu helfen. "Wir müssen die finanzielle Allgemeinbildung fördern", so Heindl. Derzeit bieten Verbände wie die Caritas beispielsweise an, Haushalte zu beraten, wie sie Strom sparen können.

Oliver Krischer
Grünen-Politiker Krischer: "Problem nicht angepackt" Bild: imago/J. Heinrich

Auch der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Oliver Krischer, plädiert für mehr Hilfen. Beratungen in Zusammenarbeit mit der Verbraucherzentrale und den Wohlfahrtsverbänden müssten verpflichtend werden. "In Wuppertal wird das schon so angeboten und es führt dazu, dass die Stromsperren vermieden werden. Doch das Problem wird einfach nicht bundesweit angepackt." Doch was ist, wenn trotz aller Bemühungen das Geld einfach nicht reicht? Seit dem Jahr 2000 haben sich für die Haushalte die Kosten pro Kilowattstunde verdoppelt, doch die Einkommen sind bei Weitem nicht so stark angestiegen. "Was bei Hartz IV für Stromkosten angesetzt wird, entspricht einfach nicht mehr dem, was man heute für Strom zahlen muss", sagte Krischer der Deutschen Welle.

Ein Leben lang kalt duschen? 

Auch der Diakoniepräsident Ulrich Lilie plädiert für eine Anhebung der Hartz-IV-Sätze. Im Hartz-IV-Satz, der 2018 von 409 auf 416 Euro im Monat leicht ansteigt, sind nur rund 35 Euro für Strom vorgesehen. "Das liegt immer noch deutlich unter den Stromkosten eines Durchschnittshaushalts", sagte Lilie dem Evangelischen Pressedienst. Zudem hätten Menschen, die Hartz IV beziehen oder über ein geringes Einkommen verfügen, kein Geld für energiesparende neuere Modelle. "Wenn da die Waschmaschine oder der Kühlschrank kaputtgeht, bleibt bedürftigen Familien häufig nur der Ersatz durch ein billiges Gebrauchtgerät, das mehr Energie frisst als ein modernes."

Doch nicht alle Hartz-IV-Bezieher scheinen gleichermaßen von Stromsperren betroffen. In der Caritas- und ZEW-Studie heißt es, dass vor allem Langzeitbezieher von Hartz IV seltener Stromsperren erhalten. Die Autoren leiten daraus ab, dass diese mit der Zeit gelernt hätten, mit dem Geld umzugehen. Der Politikwissenschaftler Christoph Strünck erinnerte in der "Zeit" jedoch daran, dass es sein könne, dass diese Betroffenen "auf notwendigen Strom verzichten müssen und nun unterversorgt sind". Möglich wäre demnach, dass diese Menschen zwar mit Geld umgehen können, aber davon so wenig haben, dass sie beispielsweise freiwillig kalt duschen - um eine Stromsperre zu vermeiden.

Stephanie Höppner Autorin und Redakteurin für Politik und Gesellschaft