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"Stresstest" für deutsche AKWs

31. März 2011

Nach dem Atomunglück von Fukushima ringt die deutsche Regierung um eine neue Linie in der Atompolitik. Nun soll die Kommission für Reaktorsicherheit alle deutschen AKWs mit strengeren Kriterien überprüfen.

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Bundesumweltminister Norbert Röttgen (Bild: dapd)
Bundesumweltminister Norbert RöttgenBild: dapd

Es galt als äußerst unwahrscheinlich, dass es in japanischen Region Fukushima jemals zu einem Erdbeben stärker als 8,25 kommen könnte. Das Erdbeben vom 11. März 2011 hatte dann eine Stärke von 9,0. Ein Fall, der in den Sicherheitsberechnungen für die sechs Reaktorblöcke nicht vorgesehen war, ebenso wenig wie der Tsunami, der kurz darauf die gesamte Infrastruktur inklusive der Stromversorgung lahmlegte und letztlich die Sicherheitssysteme kollabieren ließ.

Deshalb will die Bundesregierung nun die Sicherheit der 17 deutschen Atomkraftwerke unter neuen strengeren Kriterien überprüfen zu lassen. "Ich glaube, dass es für die Versachlichung der Debatte wichtig ist, eine sicherheitstechnische Einschätzung zu haben, die dann in die gesellschaftliche und politische Wertung eingeht", sagte Bundesumweltminister Norbert Röttgen am Donnerstag (31.3.2011) in Berlin.

"Immer etwas draufgepackt"

Das baden-württembergische Kernkraftwerk Phillipsburg (Bild:dapd)
Das baden-württembergische Kernkraftwerk Phillipsburg ist vorübergehend stillgelegtBild: dapd

Die Überprüfung wird von der Kommission für Reaktorsicherheit durchgeführt. In ihr sitzen Vertreter der technischen Überwachungsvereine (TÜV), die vom Staat regelmäßig mit verschiedenen Sicherheitsprüfungen beauftragt werden, Vertreter der Gesellschaft für Reaktorsicherheit, Mitarbeiter von atomkritischen Instituten, aber auch der Atomkonzerne.

Geleitet wird sie vom Vorsitzenden des TÜV Nord, Rudolf Wieland, der nun einen Fragenkatalog für die Überprüfung ausgearbeitet hat. Das Vorgehen bezeichnet er als "Stresstest": "Es wird immer etwas oben drauf gepackt, und dann wird geschaut, wie weit diese Anlage auch unter erhöhten Bedingungen die Sicherheitsziele noch einhalten kann."

Aus für älteste AKWS?

Die Auswirkungen von Naturkatastrophen wie Erdbeben und Überschwemmungen, von Staudammbrüchen oder dem Zusammenbruch des Stromnetzes sollen nun neu durchgespielt werden, unter der Annahme größerer Ausmaße als bisher. Auch Flugzeugabstürze werden ausdrücklich in die Neubewertung eingeschlossen. Beobachter gehen deshalb davon aus, dass die sieben ältesten Atommeiler, die derzeit abgeschaltet sind, nicht mehr ans Netz gehen werden. Ihre Betonhüllen gelten als zu dünn, um einem explodierenden Verkehrsflugzeug standzuhalten.

Noch allerdings wollte sich der Minister nicht auf eine Entscheidung über deren Abschaltung festlegen. Erst nach einer "breiten Meinungsbildung unter Einbeziehung aller Verantwortungsträger", sollten die Gesetze entsprechend geändert werden.

Fahne der Anti-Atomkraft-Bewegung (bild:dapd)
In der deutschen Bevölkerung wächst der Widerstand gegen die AtomkraftBild: dapd

Kritik der Opposition

Die Oppositionsparteien kritisieren die Reaktorsicherheitskommission. Als "schwammig und unverbindlich" bezeichnet der frühere Umweltminister Jürgen Trittin von den Grünen den Fragenkatalog. Er sei für einen Stresstest völlig ungenügend. SPD-Chef Sigmar Gabriel sprach von einem Versuch Röttgens, die Öffentlichkeit zu täuschen. Es sei keine neue Überprüfung nötig, um zu wissen, dass ältere Kernkraftwerke nicht hinreichend gegen Flugzeugabstürze gesichert seien.

Klaus Ernst, Vorsitzender der Linkspartei stellt das Vorgehen insgesamt in Frage: "Was ist eigentlich, wenn die Kommission feststellt, dass die Atomkraftwerke nicht sicher sind? Dieselbe Kommission hatte vor einem halben Jahr offensichtlich keine Einwände gegen die Sicherheit der Atomkraftwerke."

Autor: Mathias Bölinger

Redaktion: Michael Wehling