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Streit um Nelly-Sachs-Preis

Jochen Kürten
24. September 2019

Kamila Shamsie sollte den Nelly-Sachs-Preis erhalten. Weil sie Anhängerin der israelkritischen Boykottbewegung BDS ist, widerrief die Stadt Dortmund die Ehrung. Dagegen protestieren nun 250 Intellektuelle.

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Frankfurter Buchmesse 2018 Kamila Shamsie, Autorin
Bild: picture-alliance/SvenSimon

In einem offenen Brief, veröffentlicht in der "London Review of Books", wenden sich mehr als 250 renommierte Autorinnen und Autoren gegen die Entscheidung der Stadt Dortmund, die Schriftstellerin Kamila Shamsie nun doch nicht mit dem Preis auszuzeichnen. Die Liste der Unterzeichner klingt wie ein "Who's Who" der aktuellen Weltliteratur.

Arundhati Roy, Michael Ondaatje, John Burnside, Teju Cole und JM Coetzee sind einige der prominenten Namen auf der Liste, auf der auch viele Autorinnen und Autoren aus der arabischsprachigen Welt vertreten sind. Von deutscher Seite hat Alexander Kluge unterschrieben. Auch prominente Mitglieder des internationalen Autorenverbandes P.E.N. sind vertreten.

Die Jury revidierte ihre Entscheidung zu Ungunsten von Kamila Shamsie

Die Verfasser des offenen Briefs wenden sich gegen die Entscheidung von Jury und Stadt, Shamsie den Nelly-Sachs-Preis doch nicht zu verleihen. Ursprünglich sollte die 1973 in Karatschi geborene und heute vorwiegend in Großbritannien lebende Schriftstellerin die alle zwei Jahre vergebene Auszeichnung am 8. Dezember erhalten. Das hatte eine mehrköpfige Jury im September entschieden.

Literaturnobelpreisträgerin Nelly Sachs
Nelly SachsBild: picture-alliance/dpa/R. Witschel

Der Preis wird in Erinnerung an die von den Nationalsozialisten ins Exil vertriebene deutsch-schwedische Schriftstellerin Nelly Sachs verliehen und soll an Persönlichkeiten gehen, die "überragende schöpferische Leistungen auf dem Gebiet des literarischen und geistigen Lebens hervorbringen und die insbesondere eine Verbesserung der kulturellen Beziehungen zwischen den Völkern zum Ziel haben." Nelly Sachs selbst war 1961 erste Preisträgerin. Fünf Jahre später erhielt sie auch den Literaturnobelpreis.

Außerdem, so heißt es in den Statuten des mit 15.000 Euro dotieren Preises, sollen Menschen geehrt werden, die "sich der Förderung der zwischenstaatlichen Kulturarbeit als eines neuen und verbindenden Elements zwischen den Völkern besonders angenommen haben, die in ihrem Leben und Wirken die geistige Toleranz und Versöhnung unter den Völkern verkündet und vorgelebt haben." Zu den bisherigen Preisträgern gehören u.a. Bachtyar Ali, Marie NDiaye, Margaret Atwood, Milan Kundera, Christa Wolf und Per Olov Enquist.

BDS-Sympathie wurde Shamsie zum Verhängnis

Ein paar Tage nach der Jury-Entscheidung hatte das Gremium die eigene Entscheidung zurückgezogen. Zur Begründung hieß es: Kamila Shamsie unterstütze seit 2014 die israelkritische BDS-Bewegung ("Boycott, Divestment and Sanctions"), die sich zum Ziel gesetzt hat, den Staat Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch zu isolieren. Die Jury bedauere die nun eingetretene Situation "in jeder Hinsicht". Kamila Shamsies Engagement stehe aber "im deutlichen Widerspruch zu den Satzungszielen der Preisvergabe und zum Geist des Nelly-Sachs-Preises."
Die Bewegung BDS war 2005 von über 170 Gruppen und Vereinigungen gegründet worden und fordert ein Ende der israelischen Besatzung der Palästinenser-Gebiete, Gleichheit für palästinensische Bürger und ein Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge.

Abstimmung im Bundestag nach der Debatte um die BDS-Bewegung
Im Mai verurteilte der Deutsche Bundestag die BDS-BewegungBild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

Der BDS wird in Deutschland besonders kritisch gesehen

Ob die Ziele und Maßnahmen des BDS nun nur israelkritisch sind oder aber auch als antisemitisch eingestuft werden können, darüber streiten Intellektuelle, Publizisten und Politiker seit längerem. In Deutschland hatte der Bundestag im Mai über den BDS debattiert und mehrheitlich entschieden, ihn als antisemitisch einzustufen. Auch der Landtag in Nordrhein-Westfalen hatte so entschieden. In der Vergangenheit hatte es bei Kulturveranstaltungen in Deutschland bereits mehrfach Auseinandersetzungen um Künstler gegeben, die den BDS unterstützen oder ihm nahestehen.

Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hatte sich ebenfalls eindeutig in Sachen BDS positioniert: "Wer wie BDS das Existenzrecht Israels abstreitet und israelische Politik mit den Nazis gleichsetzt, der übt keine legitime Kritik an Israel mehr, sondern agiert im Kern antisemitisch", so Klein.

Der Antisemitismusbeauftragte Felix Klein
Felix KleinBild: Imago Images/epd/C. Ditsch

Kamila Shamsie sieht die aktuelle Politik Israels weiterhin kritisch

Das sehen Autorinnen und Autoren wie Kamila Shamsie freilich anders. Unter Verweis auf die aktuelle Situation in Israel nach den jüngsten Wahlen betonte die Schriftstellerin gerade noch einmal: "Bei den soeben abgeschlossenen Wahlen in Israel kündigte Benjamin Netanjahu Pläne an, unter Verstoß gegen das Völkerrecht bis zu einem Drittel des Westjordanlands zu annektieren." Auch sein Konkurrent um das Amt des Ministerpräsidenten, Benny Gantz, vertrete diese Politik. Für sie sei es, so Shamsie, nicht zu verstehen, "dass sich eine Jury dem Druck beugt und einen Schriftsteller, der von seiner Gewissens- und Meinungsfreiheit Gebrauch mache, einen Preis entzieht."

Ähnlich äußern sich nun die über 250 Intellektuellen in dem offenen Brief. Man habe mit Bestürzung von der Preisrücknahme wegen des Engagements Shamsies für den BDS erfahren. "Was bedeutet ein Literaturpreis, der das Recht, sich für die Menschenrechte einzusetzen, die Grundsätze der Gewissens- und Meinungsfreiheit und die Freiheit der Kritik untergräbt?" fragen die Unterzeichner in dem Brief. Ohne dieses Recht würden "Kunst und Kultur zu bedeutungslosem Luxus".

Jennifer Clement bei einer Lesung in Köln am 18.09.2014
Auch P.E.N.-Präsidentin Jennifer Clement unterzeichnete den offenen BriefBild: DW/H. Mund

Eine Schriftstellerin zwischen den Fronten: Kamila Shamsie

Dagegen hatten viele deutsche Publizisten die Entscheidung der Stadt Dortmund, den Preis nicht an Shamsie zu vergeben, ausdrücklich begrüßt. Shamsies literarisches Können wird dabei nicht bestritten. Doch, so die Kommentatoren, dürfe ein Preis, der an eine von Nazis vertriebene jüdische Autorin erinnert, nicht an eine BDS-Anhängerin gehen. Alan Posener kritisierte in der Tageszeitung "Die Welt" insbesondere Shamsies Weigerung, ihre Bücher ins Hebräische übersetzen zu lassen: "Sie hat ein Recht auf ihre Meinung. Worauf Shamsie aber kein Recht hat, das ist ein Preis, der nach Nelly Sachs benannt ist", so Posener.

Für ihr bisheriges Werk war Kamila Shamsie in der Vergangenheit mehrfach ausgezeichnet worden. Ihre Bücher kreisen um die Themen Heimat und Verlust, um den Zusammenprall von Kulturen, um Konflikte in einer globalisierten Welt und die Frage, wie Menschlichkeit bewahrt werden kann. In Deutschland liegen fünf ihrer Romane in Übersetzung vor.

(jk/mit Agenturen/London Review of Books/Welt/SZ/Nelly-Sachs-Preis)